NDR-Sport Kwasniok, Blessin oder sogar Sagnol - Welcher Trainer passt zu St. Pauli?
St. Paulis Erfolgscoach Fabian Hürzeler ist weg und der Bundesliga-Aufsteiger sucht einen neuen Trainer. Gehandelt werden viele Namen, aber wer passt am besten zu den Hamburgern? Das sagen die Daten.
13 Jahre mussten die Fans der Hamburger auf die Rückkehr in die Beletage des deutschen Fußballs warten. Mit dem Trainingsstart am 8. Juli beginnt die Vorbereitung auf die Saison, die - so der Wunsch aller, die es mit den "Kiezkickern" halten - im besten Fall nicht wieder nur eine Stippvisite werden soll. Die Spielzeit 2010/11 war die bislang letzte des FCSP in der Bundesliga - nach dem Aufstieg ging es allerdings direkt wieder runter. Coach damals: Holger Stanislwaski.
"Wir haben die Chance, neue Lösungen zu finden, um die Herausforderung Bundesliga mit Klarheit und voller Konzentration anzugehen."
— St.-Pauli-Präsident Oke Göttlich
Dafür, dass es bei der Rückkehr im August besser klappt als beim bis dato letzten Versuch, fehlt St. Pauli aktuell vor allem eines - ein Trainer. Nachdem Aufstiegscoach Hürzeler am vergangenen Wochenende zu Brighton & Hove Albion in die Premier League gewechselt ist, soll die Entscheidung über die künftige Besetzung des Trainer-Teams "so schnell, wie es die Gesamtsituation zulässt, geklärt werden", hatte der Club umgehend mitgeteilt.
Präsident Oke Göttlich sieht in Hürzelers Abgang "die Chance, neue Lösungen zu finden, um die Herausforderung Bundesliga mit Klarheit und voller Konzentration anzugehen".
Eichner ist aus dem Rennen
Einer, das ist seit Freitag (21. Juni) klar, wird es nicht: der lange insbesondere vom Fußballmagazin "Kicker" gehandelte Christian Eichner. Der Coach soll in Karlsruhe bleiben und mit dem Zweitligisten über einen neuen Vertrag verhandeln.
Den Daten des Global Soccer Networks (GSN) nach wäre der 41-Jährige aber ohnehin nicht die beste Wahl gewesen. Das liegt einerseits an seinem im Vergleich zu anderen möglichen Kandidaten - Paderborns Lukas Kwasniok zum Beispiel, Daniel Thioune von Fortuna Düsseldorf oder Stefan Leitl von Hannover 96 - geringeren GSN-Trainer-Index.
Wie wird der GSN-Index bei Trainern erstellt?
Der GSN-Index bei Trainern setzt sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammen. Relevanz haben:
- die Stärke des eigenen Teams im Verhältnis zur Stärke der Liga - geholte Punkte werden faktorisiert.
- die Spielerentwicklung - entwickeln sich Spieler unter einem bestimmten Trainer weiter, stagnieren sie oder werden gar schlechter?
- taktische Flexibilität - schafft es ein Trainer, sein Team situationsbedingt taktisch umzustellen, um damit erfolgreich zu sein?
- statistische Werte der Mannschaft - auch taktisch und technisch.
Bewertungs-Skala:
- 85 - 100: Weltklasse-Trainer wie Klopp, Guardiola oder Flick
- 70 - 85: Trainer, die die Fähigkeiten haben, eine Nationalmannschaft zu coachen oder einen Club, der international spielt (innerhalb der Top-Fünf-Ligen)
- 60 - 70: Bundesliga-Trainer
- ...
Der liegt bei 58,41 - damit ist er den Daten nach ein guter Zweitliga-Trainer. Kwasniok (64,21, solider Bundesliga-Trainer), Thioune (63,50, unterdurchschnittlicher Bundesliga-Coach) und Leitl, der mit 60,48 an der Schwelle zwischen Bundesliga und 2. Liga steht, schneiden besser ab.
Hohe Übereinstimmung bei Kwasniok, aber ...
Andererseits gibt es laut der GSN-Datenanalyse mit seinem präferierten 4-3-1-2-System und seiner Philosophie nur zu etwa 82,8 Prozent eine Übereinstimmung mit den bisherigen Anforderungsprofilen an die Spieler, dem Kader und der Spielweise der Hamburger. Nur bei Thioune, der es als Ex-HSV-Trainer ("St. Pauli ist St. Pauli und der HSV ist Hamburg") wohl ohnehin schwer bei den Anhängern haben dürfte, ist der Wert noch geringer (81,98 Prozent).
Zum Vergleich: Bei Kwasniok, den die Daten im direkten Vergleich der vier Zweitliga-Coaches als Favoriten ausweisen, liegt dieser bei 89,37 Prozent. Ein Faktor: Genau wie Hürzeler, der ihn vor dem Duell im März (2:1) einen "Top-Trainer" genannt und seine Arbeitsweise gelobt hatte, favorisiert er das 3-4-3 als Formation. Die Mannschaft müsste sich unter Kwasniok nicht großartig umgewöhnen, zudem gibt es eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen den Anforderungsprofilen von Kwasniok für einzelne Positionen und dem aktuellen Kader.
... vielleicht hat er sich selbst unmöglich gemacht
Womöglich aber hat sich der 43-Jährige seinen unbestrittenen Qualitäten zum Trotz dennoch selbst am Millerntor als Coach unmöglich gemacht. Ende 2022 äußerte er in der "Neuen Westfälischen" Unverständnis für die Entlassung des damaligen Trainers Timo Schultz ("Es gibt keinen besseren Trainer für St. Pauli.") und kritisierte obendrein die Kaderplanung der Hamburger - und damit Sportchef Bornemann. Auch dürfte er vielen Fans nur schwer zu vermitteln sein, nachdem er im Mai 2023 auf Mallorca in Gewahrsam genommen worden war. Das Ermittlungsverfahren wurde allerdings eingestellt und Kwasniok blieb unbescholten.
Dennoch: Ginge es nur nach der sportlichen Qualifikation, könnte er dafür stehen, auch eine Liga höher das umzusetzen, was St. Pauli stark gemacht hat: dominanter Ballbesitzfußball.
St. Pauli will Spielidee beibehalten - Blessin die Lösung?
Da man sich im Club sicher zu sein scheint, diese Spielidee beibehalten zu wollen, will sich Bornemann nicht treiben lassen und den passenden Coach holen - und nicht für einen Namen alles über Bord zu werfen. Auch wenn mit den Hürzeler-Millionen eine möglicherweise zu bezahlende Ablösesumme leichter zu stemmen wäre.
Das könnte den Daten nach auch ganz andere Namen ins Spiel bringen: Alexander Blessin zum Beispiel, der aktuell bei Royale Union Saint Gilloise in der belgischen Jupiler Pro League als Trainer tätig ist. Er hat die größte Ähnlichkeit mit Hürzeler - bei ihm liegt die Übereinstimmung bei starken 90,93 Prozent. Der 51-Jährige gilt als ähnlich tatktikversessen wie Hürzeler, zudem bevorzugt er ebenfalls ein System mit Dreierkette.
Die Alternativen: Tudor und Sagnol
Spannend könnte der GSN-Analyse nach auch Igor Tudor sein. Dessen bevorzugtes System ist das 3-4-2-1, sein GSN-Trainer-Index liegt bei 68,07 (gut für die Bundesliga). Taktisch würde seine Verpflichtung allerdings eine gewisse Abkehr bedeuten. Da er verstärkt auf eine solide Defensive setzt, könnte er für St. Pauli als Aufsteiger dennoch interessant sein.
Zuletzt hat der Kroate für drei Monate bei Lazio Rom trainiert und auch davor schon bei Olympique Marseille und Hellas Verona auf hohem Niveau gecoacht. Hier könnten die Hürzeler-Millionen unter Umständen hilfreich sein - und vonnöten.
Und dann wäre da noch ein ehemaliges Kind der Bundesliga, das aktuell mit Georgien bei der Europameisterschaft ist: Willy Sagnol. Der EM-Neuling trat beim 1:3 gegen die Türkei im ersten Spiel trotz der Niederlage bärenstark auf und spielte begeisternden Offensiv-Fußball. Mit dem 1:1 im zweiten Spiel gegen Tschechien in Hamburg holte Georgien unter Sagnol den ersten Punkt bei einem großen Fußballturnier und hat so noch Chancen auf den Achtelfinaleinzug.
Sagnols GSN-Trainer-Index liegt bei 64,71 - der Wert eines soliden Bundesliga-Coaches. Seine bevorzugte Formation ist wie bei Hürzeler das 3-4-3. Ein weiteres Plus: Der Franzose kennt die Bundesliga als langjähriger Spieler des FC Bayern München.
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Sportplatz | 23.06.2024 | 09:56 Uhr