Halbes Jahr nach Angriff Schiedsrichter aus Halle: "Ich lass' mir das nicht kaputtmachen"
Fabian Stegner will sich die Motivation als Schiedsrichter im Amateurfußball nicht nehmen lassen. Auch nach einem Angriff auf ihn. Ein halbes Jahr später steht er selbstbewusst auf dem Platz und pfeift ein Lokalderby. Der Ton bei den Spielen ist nach der Corona-Pandemie Zahlen zufolge oft rauer geworden. In Thüringen wird diskutiert, ob neue Fußballregeln in aggressiven Situationen auf dem Feld weiterhelfen können.
- Schiedsrichter Fabian Stegner ist bei einem Fußballspiel vor einem halben Jahr angegriffen und verletzt worden.
- Die Anzahl der Spielabbrüche hat nach der Pandemie zugenommen. In Thüringen wird beraten, ob Spielunterbrechungen eine Lösung sein können.
- Geld ist nicht die Motivation für Stegners Tätigkeit. Aber er sagt, er wolle sich den Sport "nicht kaputtmachen lassen."
Der Mund ist so weit aufgerissen, wie bei den meisten anderen Menschen nur beim Zahnarzt. Wenn Fabian Stegner lacht, nimmt er sich nicht zurück, sondern tut es mit vollem Herzen. Und so läuft er lachend mit den beiden Linienrichtern aufs Spielfeld, den Spielball unter dem rechten Arm. Das Lokalderby steht an: Zörbiger FC 1907 gegen TSV Blau-Weiß Brehna. "Ich wär' so gerne Millionär“, schallt es beim Einlaufen über den Rasen – ein Klassiker der Prinzen.
Dass Stegner heute ein Spiel leitet, ist nicht selbstverständlich. Vor einem halben Jahr pfiff er eine Begegnung in Halle, 30 Minuten vom heutigen Platz entfernt. Das Spiel lief aus dem Ruder. Als Stegner die fünfte rote Karte zeigte, stürmten Fans und Spieler auf ihn zu. "In dem Moment habe ich nur noch reagiert und bin gerannt. Ich bin wirklich gerannt, weil ich gesehen habe, fuck, jetzt bricht's", erinnert er sich. Ein Faustschlag streckte ihn nieder, dann folgten Tritte. Stegner muss in die Notaufnahme. Zwei Tage später leitete er das nächste Spiel. "Ich hatte unglaublich viel Glück. Also wirklich", sagt er.
An dem Tag, an dem wir ihn begleiten, beim Lokalderby in der Landesklasse 6, wird Stegner achtmal nach seinen Schiedsrichterkarten greifen.
Schiedsrichter Fabian Stegner (li.) wurde vor einem halben Jahr bei einem Fußballspiel angegriffen. Trotzdem pfeift er weiter Spiele.
Nach der Pandemie nahm die Gewalt zu
961 Amateurspiele mussten die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter wegen Gewalt- oder Diskriminierungsvorfällen in der Saison 2022/2023 abbrechen. So dokumentieren es die aktuellsten Statistiken des Deutschen Fußballbunds (DFB). Das entspricht einem von 1.250 Spielen. In jedem 200. Spiel wurde mindestens ein Gewalt- oder Diskriminierungsfall notiert. In dem Bereich heißt es, dass der Amateurfußball vor der Corona-bedingten Fußballpause weniger gewalttätig war.
Die Spielabbruchsquote sei der beste Wert, um die Gewalt im Amateurfußball zu verstehen, erklärt Dr. Thaya Vester vom Institut für Kriminologie der Universität Tübingen. Sie begleitet die Deeskalationsbemühungen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wissenschaftlich. "Ein Spielabbruch ist so gravierend, das ist der Worst Case im Fußball. Das heißt, der wird in der Regel dokumentiert", sagt sie. Hier gebe es eine geringe Dunkelziffer.
Schiedsrichter im Amateurbereich bekommen nur Aufwandsentschädigung
Schiedsrichter Stegner erlebte den Worst Case. Doch warum setzt er sich jedes Wochenende dieser Gefahr aus? Es ist die Verbundenheit mit dem Sport. Ruhm bleibt bei 8.-Liga-Spielen aus. Schaut man sich an, wie oft die Deutschen in den letzten fünf Jahren auf Google nach an "Fabian Stegner" gesucht haben, sieht man genau einen Ausschlag der Kurve: In der Woche des Angriffs auf ihn. Womöglich landete der Vorfall besonders häufig in den Schlagzeilen, weil sein Vater Ralf im Bundestag sitzt. "Ich wär‘ so gerne Millionär" tönt Sebastian Krumbiegel beim Einlaufen zum Lokalderby aus den Lautsprechern. Auch das scheint nicht Stegners Antrieb zu sein. Für ein Spiel bekommt er 30 Euro Aufwandsentschädigung. "Wer für Geld pfeift, macht das meistens nicht lange", sagt er.
Im Spiel der 6. Landesklasse in Sachsen-Anhalt liegt Gastgeber Zörbig früh zurück, die Zweikampfhärte steigt. In der 24. Minute zückt Stegner die erste gelbe Karte. Zur Pause steht es 1:1, danach nimmt die Frequenz an Toren und Fouls zu. Kurz vor Schluss liegt der Gastgeber 2:3 zurück, Stegner verteilt bereits die sechste Verwarnung. Dann geht es in eine hitzige Nachspielzeit.
Fabian Stegner ist der Sohn des Bundestagsabgeordneten Ralf Steger.
Neue Fußballregel: Stopp-Spielpause
Für Spiele, die zu überhitzen drohen, testen drei Thüringer Fußballkreise momentan eine neue Regel. Bei aggressivem Verhalten von Spielern oder Zuschauenden kann der Schiedsrichter sogenannte Stopp-Spielpausen einsetzen. Dazu pfeift er und zeigt das Unterbrechungszeichen. Beide Mannschaften müssen dann in ihre Strafräume. Fünf Minuten kann die Pause dauern. Bis zu zwei Spielunterbrechungen können die Unparteiischen einsetzen, bevor es zum Spielabbruch kommt.
"Wir wollen damit verhindern, dass Racheaktionen auf dem Platz passieren", erklärt Volker Westhaus. Er ist beim Thüringer Fußball-Verband zuständig für die Bereiche Gewaltprävention und Schiedsrichterwesen. Die Vereine seien durch die neue Regel automatisch dazu angehalten, dass ihre Zuschauer nicht aggressiv werden, weil sonst ein Spielabbruch drohe.
Verbände setzen auf Deeskalationstrainings
Auch Deeskalationstrainings sollen die Gewalt im Amateurfußball senken und Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen schützen. Catrin Wagner gibt im vergangenen Dezember bei einem Seminar in Neugattersleben in Sachsen-Anhalt den Teilnehmenden eine Maxime mit: "Wirklich zu überlegen, was kann ich jetzt tun und was ist Selbstschutz. Also wo muss ich auch für mich darauf achten, dass ich nicht gefährdet bin." Im Seminar übt sie zum Beispiel Abwehrtechniken mit den Armen und gibt Ratschläge zur richtigen Körpersprache.
Beim Deeskalationstraining werden unterschiedliche Techniken zur Beruhigung hitziger Situationen erlernt.
Gewalt droht beim Stegners Lokalderby heute nicht – sein Job wird in der Nachspielzeit aber zunehmend herausfordernder. Die Zörbiger kämpfen gegen die drohende Niederlage an. Stegner schickt die Nummer 15 durch eine gelb-rote Karte vorzeitig duschen – ohne Widerspruch. In der 96. Minute folgt eine weitere Verwarnung. Es ist die siebte des Spiels.
Dennoch ist Stegner am Ende zufrieden. Die Begegnung sei trotz allem nicht krass unfair gewesen, sagt er und schreibt den Spielbericht. Als das Schiedsrichterteam zum Feierabendbier zusammenkommt, sind die Katakomben schon leer. Gewalt sei im Amateurfußball ein Riesenproblem. "Aber wir lassen uns unseren Sport auch nicht kaputtmachen. Wir lassen uns das nicht wegnehmen", sagt Stegner. Dann stoßen sie an.