Ivan Martinovic und Timo Kastening jubeln.
interview

Überraschungsteam der HBL Melsungens Kastening - "Wir harmonieren auf der Platte jetzt besser"

Stand: 25.12.2023 10:21 Uhr

Timo Kastening erlebt als Kapitän mit der MT Melsungen die beste Halbserie seit Jahren. Im ersten Teil des großen Interviews mit dem Rechtsaußen spricht er über Grillabende, Nackenschmerzen und die Ziele mit dem Überraschungsteam.

Lange fiel er mit einem Kreuzbandriss aus, nun führt Timo Kastening als bester Werfer und Kapitän die MT Melsungen in die Spitzengruppe der Handballbundesliga. Auch im Pokal könnte das Team das prestigeträchtige "FinalFour" erreichen. Hier blickt der Nationalspieler zurück und voraus.

hessenschau.de: Timo Kastening, der Interviewtermin stand lange fest, doch findet jetzt ausgerechnet nach einem in letzter Sekunde verlorenen Hessenderby bei der HSG Wetzlar statt. Haben Sie es schon verdaut?

Kastening: Ja und nein. In den letzten Sekunden der Partie war alles möglich, von Sieg bis zur Niederlage. Dass wir da die zwei Punkte haben liegen lassen. triggert einen schon. Das Gute ist, dass wir direkt mit einem Heimspiel nachlegen können.

hessenschau.de: Ein Unentschieden gegen das absolute Überteam Magdeburg, dann eine Pleite beim vermeintlichen Abstiegskandidaten Wetzlar – ist das wieder die unstete MT? Oder wie Hendrik Pekeler sagen würde, das „sch... Melsungen?“

Kastening: (Lacht.) Mit Peke habe ich direkt nach seinem Spruch geredet, das ist alles gegessen. Ich mag ihn, er ist ein guter Kerl, der manchmal übers Ziel hinausschießt. Das wusste er schon, als er es ausgesprochen hatte. Schwamm drüber.

hessenschau.de: Und zur Frage der Konstanz?

Kastening: Es ist kein Geheimnis, dass wir in den vergangenen Jahren unseren Ansprüchen hinterhergelaufen sind und auch als Verein nicht immer das beste Bild abgegeben haben. Doch in diesem Jahr steht ein Team auf der Platte, das sich in jedem Spiel zerreißt. So ein Abend wie gegen Wetzlar passiert anderen Teams auch. Sind dann alle Mannschaften inkonstant oder spricht es nicht schlicht für die Stärke der Liga?! Oder größer gefasst: Hat nicht jeder Mensch, ob zu Hause oder im Büro mal einen schlechteren Tag?!

hessenschau.de: Es heißt, die MT Melsungen sei jetzt endlich eine Mannschaft geworden. Ist das so?

Kastening: Du kannst so viele Teambuilding-Maßnahmen machen, wie du möchtest – es bringt nichts, wenn nicht alle dafür bereit sind. Wir brauchten einfach Typen, die eine neue Dynamik reinbringen und auf einem anderen Niveau Konstanz zeigen – so wie Erik Balenciaga, Dainis Kristopans oder Adrian Sipos. Bei den Verstärkungen wurde auch auf die Teamchemie geachtet. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Alle Abgänge der letzten Jahren waren menschlich einwandfreie Charaktere, wir haben uns abseits der Platte verstanden. Aber auf der Platte haben wir nicht einwandfrei harmoniert. Das ist jetzt der Fall.

hessenschau.de: Zugang Sipos soll seine Wohnung so ausgesucht haben, dass er auf der Terrasse Mannschaftsabende veranstalten kann...

Kastening: (lacht.) Na, da fragen Sie ihn mal dazu! Das ist bisher null Mal passiert. Erst hatte er noch keine Wohnung, dann eine kleinere. Ich war vor drei Wochen bei ihm zum Abendessen, da hat er erstmals Besuch empfangen. Aber im nächsten Sommer können wir uns dann auf einen fabelhaften ungarischen Grillmeister freuen.

hessenschau.de: Generell trifft sich die Mannschaft nun häufiger privat?

Kastening: Das stimmt. Selbst nach der Niederlage beim BHC haben wir einen Mannschaftsabend in Köln veranstaltet, wir waren auch häufiger in Kassel zusammen unterwegs. Viele gehen miteinander Kaffee trinken oder Pizza essen. Wir haben trotzdem noch Potenzial bei den Themen, die in den vergangenen Jahren etwas auf der Strecke geblieben sind. Stichwort: Fannähe und familiäres Umfeld – da können wir noch wachsen und da ist jeder Einzelne gefordert.

hessenschau.de: Was läuft sportlich besser? Ist die MT nicht mehr so leicht ausrechenbar wie zuvor?

Kastening: Ja, da gehe ich mit. Wir haben einen gewissen Spielwitz reinbekommen, Erik Balenciaga ist der Lenker, den es brauchte. So sind wir sehr schwer ausrechenbar, sei es mal durch das 1 gegen 1 von Eli (Elvar Örn Jonsson), die Rückraumwürfe von Ivan (Martinovic) oder Dainis undundund. Es ist schon diese Flexibilität, die es dem Gegner schwer macht. Wir ernten auch ein bisschen jetzt die Früchte unserer Arbeit, weil es abseits nicht mehr so viele Nebengeräusche gibt. Manchmal ist es auch ganz einfach: Erfolg schweißt zusammen - und den hatten wir mit einem guten Start.

hessenschau.de: Kristopans misst 2,13m, Sie 1,8m. Wie läuft die Kommunikation?

Kastening: Wenn Kris in die Kabine kommt, denke ich schon: Was bist du für ein Kaventsmann! Aber ich habe einen gut trainierten Nacken und daher noch keine Schmerzen, wenn ich ständig zu ihm hochschaue.

hessenschau.de: Früher war von der "MT Deutschland" die Rede aufgrund der vielen Nationalspieler. Wird es nun die "MT Parrondo" in Anlehnung an die vielen Wunschspieler des Trainers Roberto Garcia Parrondo?

Kastening: Nein, da gehe ich wiederum nicht mit. Roberto will den maximalen Erfolg, für den Verein und für uns als Mannschaft. Wenn du einem Trainer vertraust, ist es klar, dass er Wünsche bei Verstärkungen äußert. Das ist in jeder normalen Firma so, dass ein neuer Chef sich erst einmal einen Überblick verschafft und auch Arbeitnehmer dazu holt, die er von früher kennt. Diese Konstanz auf dem Trainerposten hat uns schon enorm geholfen.

hessenschau.de: Sie sind als Kapitän der verlängerte Arm des Trainers. Wie nehmen Sie in der neuen Rolle Einfluss? Sind Sie so wie Ihr Vorbild Oliver Kahn?

Kastening: Nein, nein. Von mir gab es noch keine Karate-Tritte oder Wutreden. Dennoch habe ich Typen wie ihn für ihren absoluten Siegeswillen bewundert. Ich finde es wichtig, dass man sich auch in solchen Rollen treu bleibt und nicht beim ersten Gegenwind umfällt. Ich versuche, in Einzelgesprächen viel aufzufangen. Nur wenn man Bedürfnisse äußert und aufnimmt, kann sich etwas verändern. Ich spreche sehr viel mit meinen Kollegen. So verstehe ich das Kapitänsamt gerade.

hessenschau.de: Die MT ist oben dran. Was ist drin in dieser Spielzeit?

Kastening: Von der Meisterschaft reden wir nicht. Wir wollen nach oben den Anschluss verringern. Denn ehrlicherweise fehlt uns für ganz oben noch die Breite, die Konstanz und auch das Selbstverständnis. Mal ein Beispiel: Bei Flensburg fällt ein Simon Pytlick aus, da kommt ein Jim Gottfridsson zur Geltung – sprich: Weltklasse wird mit Weltklasse aufgefangen. In dieser Hinsicht sind wir noch ganz am Anfang. Ich kenne es von Fußballteams, wenn nach einem Hype gleich die besten Spieler gehen und das Gebilde fragil wird. Wir müssen uns langsam nach oben arbeiten, darauf kommt es an.

hessenschau.de: Und im DHB-Pokal? Die MT spielt im Viertelfinale bei einem Zweitligisten.

Kastening: Die Losfee war auf unserer Seite, das muss man schon zugeben. Aber wir sind auch schon im Achtelfinale in Dessau vor verrückten 3.000 Zuschauern ins Stottern geraten. Das sollte Warnung genug sein. Trotzdem gibt es im Pokal viel eher die Chance, einen Titel zu holen als in der Liga. Wir wollen ins Halbfinale und von da an ist alles drin.

Das Gespräch führte Ron Ulrich. Lesen Sie im zweiten Teil: Timo Kastening über die Chancen der deutschen Nationalmannschaft bei der Heim-EM, seine Begegnung mit Dieter Hecking und seine Alkoholfahrt.