Mario Götze

Frankfurt in Europa League Mario Götze - die Möglichkeit einer anderen Geschichte

Stand: 16.04.2025 09:03 Uhr

Eintracht Frankfurt erlebt aktuell einen starken Mario Götze. In der Europa League spielt er nicht nur um den Titel. Sondern auch um die Art, wie man dereinst auf seine Karriere blicken wird.

Von Stephan Reich

Es sind noch acht Minuten zu spielen, als sich André Schürrle auf den Weg macht. Jeder Fußballfan in Deutschland kennt diese Szene, kennt die Flanke, die ankommt, den Ball, der auf der Brust von Mario Götze auftitscht, dann seinen Fuß verlässt. Tom Bartels, der schreit: "Der kommt an, mach ihn, mach ihn, er macht ihn!" Wie Mario Götze schließlich Slalom durch die eigene Glückseligkeit läuft, breit lachend, um dann in einer Jubeltraube zu verschwinden. Wenig später ist Deutschland Weltmeister 2014 und der 22-jährige Götze aus dem Stand in den deutschen Fußball-Olymp aufgestiegen.

Was beim Ansehen der Bilder von damals auffällt: Wie schnell Götzes Lachen einer ernsten Miene weicht. Ein paar Sekunden Jubel, aber schon als er aus der Traube wieder auftaucht, blickt Götze angespannt drein, verbissen fast. Ist es der Druck? Der Versuch, sich zu fokussieren? Oder der erste Hauch einer Ahnung, dass ein solches Tor zu einem solchen Zeitpunkt der Karriere auch eine Bürde sein kann? "Es ist nicht die beste Idee, das Tor deines Lebens mit 22 Jahren zu schießen", schrieb Götze im vergangenen Jahr in einem vielbeachteten Beitrag für das Buch "Stimmen der Eintracht".

Der Goldjunge wurde zum Sorgenkind

Denn das ist ja auch Teil der Wahrheit: Götze hat Deutschland zwar zum Weltmeistertitel geschossen, aber die Karriere stockte in der Folge. Der Goldjunge wurde zum Sorgenkind, aus dem Jahrhunderttalent ein Ersatzspieler bei den Bayern, verletzungsanfällig, unglücklich. Eine erfolglose Rückkehr nach Dortmund, schließlich der Wechsel nach Eindhoven, der wie eine Flucht wirkte. Ein einziges Tor als Schleier über einer ganzen Karriere, ein Mann in seinem eigenen Schatten. Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi? Ja, wie denn das?

Elf Jahre ist der WM-Titel nun her, Götze ist ein anderer Fußballer geworden, ein anderer Mensch ebenso. Familienvater, ruhig, erfahren, bei Eintracht Frankfurt gibt er den Elder Statesman im Mittelfeld, noch heute sieht man das überbordende Talent, das ihm gegeben ist, nur eben anders, erwachsener. "Mario ist für uns ein unfassbar wichtiger Spieler. Er ist so ruhig, so schlau", sagte Trainer Dino Toppmöller nach dem Europa-League-Sieg gegen Ajax Amsterdam, in dem Götze zweifach getroffen hatte.

Als würde das Spiel zu ihm kommen

Nur eines von zahlreichen Lobliedern in den vergangenen Wochen, in denen man wieder sehen konnte, was diesen Fußballer so besonders macht: ein tiefes Verständnis dieses Spiels, das man niemals lernen kann, sondern einfach hat oder eben nicht. "Mario ist extrem wichtig für unser Spiel. Er weiß, wann man das Spiel beruhigen muss, wann es wieder schnell gehen muss", sagte Robin Koch. Oder anders: Bei Götze wirkt es, als könne er dem Spiel den Puls fühlen. Als würde er es an die Hand nehmen können, um es dahin zu führen, wo er es braucht. Andere Spieler müssen sich in Spiele reinkämpfen, bei Götze scheint es in den besten Momenten, als würde das Spiel zu ihm kommen, mit der Bitte, geordnet zu werden.

Für den derzeitigen Erfolg der Eintracht ist Götze zentral, wahrscheinlich war er nie wichtiger in seiner Karriere. Und das bietet ihm die Chance, die eigene Geschichte auf den letzten Seiten doch noch umzuschreiben. Der Story desjenigen, der als Jahrhunderttalent startete, um dann unter dieser Last einzuknicken, ein Happy End hinzuzufügen. Mit der Eintracht kann Götze am Donnerstag gegen Tottenham (ab 21 Uhr im hr-iNFO-Audiostream) ins Halbfinale der Europa League einziehen, ein möglicher Titelgewinn ist dann nur noch drei Spiele entfernt.

Ein Schlussakkord, den er selbst spielt

Im Sommer wird Götze 33 Jahre alt, die Karriere neigt sich dem Ende zu. Krönt er sie mit diesem Titel, mit dem Gewinn dieses Cups, der in Frankfurt vielleicht noch einmal mehr bedeutet als anderswo, wird aus seiner Geschichte plötzlich wieder eine Heldensage: Das Jahrhunderttalent, das unter der Last fast zerbrach, nur um sich dann wieder neu zu erfinden und seine Mannschaft zu einem historischen Triumph zu führen. Es wäre ein Happy End, das die Betrachtung des Fußballers Mario Götze ändern würde. Ein Schlussakkord, den er selbst spielt, der Punkt hinter den letzten Satz, den er selbst setzt. Der WM-Torschütze und späte Europa-League-Held - wer würde noch an die Delle dazwischen denken?

Dazu müsste er übrigens nicht einmal, wie 2014, das entscheidende Tor schießen. Er muss einfach spielen, wie er es in den letzten Wochen und Monaten tut. "Ich bin froh, wenn ich zum Sieg beitragen kann, ich muss nicht im Alleingang das Spiel entscheiden", sagte er 2024 dem "Zeit Magazin". Dem kann man nur zustimmen. Und weiter, über sein WM-Tor: "Wenn ich es mir wünschen könnte, würde ich dieses Tor mit 35 Jahren schießen. Dann würde ich die Schuhe in der Nationalmannschaft an den Nagel hängen. Und Tschüss sagen." Eine Chance, die er so ähnlich vielleicht im Mai bei der Eintracht bekommt.