Team Astana im Radsport Mark Cavendish und die neue Sprinter-Wette
Mark Cavendish, der erfolgreichste Sprinter in der Radsportgeschichte überhaupt, wagt mit fast 38 Jahren einen Neuanfang beim Team Astana, das allerdings keine Erfahrung mit Top-Sprintern hat. Es ist eine Verzweiflungstat, die beide Seiten verändert.
Die Sonne der Toskana lachte, aber sie lachte nicht für Mark Cavendish. In dem unübersichtlichen Finale der zweiten Etappe des Tirreno Adriatico geriet der neu gebildete Mini-Sprintzug von Team Astana schnell ins Hintertreffen. Cavendish wurde nur 29. und hatte sichtbar keine Lust auf Gespräche mit Reportern.
Es war ein Rückschlag. Noch am Morgen hatte der aktuelle britische Meister voller Optimismus in der Mixed Zone gesagt: "Es ist eine typisch italienische Sprintetappe, mit Anstiegen zum Ende. Das macht es zu einer guten Etappe. Und wir haben gute Jungs im Team, den U23-Weltmeister Yevgeniy Federov und auch Gleb Syritsa, der beim Zeitfahren zu Beginn des Tirreno ganz stark war."
Aber die beiden Youngster - Syritsa ist 22 Jahre alt, Fedorov vor drei Wochen 23 geworden - waren im Finale nicht mehr bei ihrem neuen Leader zu sehen, Federov kam gar mit mehr als drei Minuten Rückstand auf das Feld ins Ziel.
Lernen vom Meister
Und so verwundert es nicht, dass Astanas sportlicher Leiter Alexander Shefer zugibt, dass das ganze Team noch lernen muss. "Bisher hatten wir in unserer Teamhistorie noch keinen großen Sprinter. Aber wir lernen, hören vor allem auf die Ratschläge von Mark, der einfach weiß, wie man Sprintzüge bildet und die Bedingungen für Siege schafft", erklärte Shefer der Sportschau.
Ein Fahrer, der Nachhilfe sogar für sportliche Leiter gibt, und sportliche Leiter, die das auch zugeben, sind nicht so häufig im von großen Egos geprägten Zweiradsport. Cavendish lobte ausdrücklich auch die gute Grundatmosphäre im Team. "Ich kann hier fokussiert arbeiten und habe nicht das Gefühl, mich beweisen zu müssen, um eine Chance zu bekommen. Hier fühle ich mich auch als Mensch respektiert", sagte er im Februar der "Sunday Times". Regelrechte Lobeskränze wand er in diesem Interview Teamchef Alexander Winokurow wegen dessen - zumindest in seinem Falle - sensibler Menschenführung.
Leerstelle bei Astana nach Nibali
Das klingt nach Honeymoon. Und es könnte tatsächlich für beide Seiten passen. Astana verfügt nach dem Karriereende des früheren Tour de France-Siegers Vincenzo Nibali über keine Führungsfigur mit Charisma mehr. Cavendish kommt da gerade recht. Und der Brite absolvierte im Winter eine regelrechte Odyssee, um nach dem finanziellen Zusammenbruch seines designierten neuen Arbeitgebers B&B Hotels - nicht gerade ein Spitzenteam - noch einen Vertrag zu bekommen. Zwei Verzweifelte ergriffen sich da im letzten Moment an den Fingerspitzen.
Die Konkurrenz sieht das Unterfangen auch eher skeptisch. "Ich würde es Cavendish zwar wünschen. Aber es ist eine Herausforderung für Astana. Man muss Vorkehrungen treffen im Sprintzug, muss das Material abstimmen, die Aerodynamik testen. Das hat sicherlich alles nicht mehr so stattgefunden, wie es eigentlich sein sollte", sagte etwa Bora hansgrohe-Teamchef Ralph Denk der Sportschau. Er wagte sogar eine Prognose: "Deswegen wird es meiner Meinung nach schwierig, dass er hier gegen einen Jakobsen und hoffentlich auch gegen einen Meeuws gewinnt." Fabio Jakobsen gewann die erste Etappe. Jordi Meeuws kam für Denks Team immerhin auf einen neunten Platz, weit vor Cavendish.
Probleme im Sprintzug
Astana will sich allerdings noch lange nicht geschlagen geben. "Wir haben uns gut ergänzt, haben schnelle Männer wie Martin Laas (von Team Bora hansgrohe, Anm. der Red.), Cees Bol (von DSM, Anm. der Red.) und Syritsa geholt", erklärte Shefer. Allerdings gehört von diesem imaginären Sprintzug nur der junge Russe Syritsa zum Aufgebot beim Tirreno. Für die Feinabstimmung bei der Bildung eines Sprintzuges ist das nicht unbedingt förderlich.
Da war der dritte Platz von Cavendish bei seinem zweiten Rennen überhaupt für Astana, der ersten Etappe der UAE Tour, dann doch bemerkenswert. Der sprang allerdings nicht wie zuvor gewohnt beim Massensprint heraus. Vielmehr hielt der Brite in den Sprint einer zwölfköpfigen Fluchtgruppe hinein. "Ich musste nicht viel Kraft investieren. Die Klassementfahrer in der Gruppe nutzten eine Teilung des Feldes und versuchten alles, um die zweite Gruppe auf Distanz zu halten", kommentierte Cavendish.
Wandlung zum Fluchtgruppensprinter?
Das könnte auch das Markenzeichen des wohl letzten Karriereabschnitts des erfolgreichsten Radsprinters der Gegenwart werden. Den bisher letzten seiner 161 Siege - damit zog er gleich mit dem Italiener Mario Cipollini - holte er ebenfalls aus einer Fluchtgruppe heraus. Das war im Juni des vergangenen Jahres bei den britischen Meisterschaften. Renninstinkt und halbschnelle Beine könnten zum Erfolgsrezept werden. Da wird das Arbeiten am Sprintzug glatt zur taktischen Finte.
Mark Cavendish.
Dass Cavendish auf der ersten Massensprintetappe beim Tirreno nicht voll durchzog, kann aber auch an gesundheitlichen Problemen liegen. "Nach der UAE Tour wurde er leider krank und musste Antibiotika nehmen. Vier Trainingstage fielen deshalb aus", erklärte Shefer der Sportschau. Er sieht als nächstes großes Ziel für seinen neuen Mann ohnehin erst Mailand - Sanremo, den großen Klassiker, den Cavendish vor 14 Jahren schon einmal gewann. Und dann wartet da die Tour de France, wo der Brite seinen bislang 34 Etappensiegen einen weiteren hinzufügen möchte, um sich endgültig vom großen Eddy Merckx abzusetzen, der ebenfalls 34 Etappen gewann.
Cavendish geht diese Saison für die Geschichtsbücher an. Astana braucht einen Leader, um mit einem eher mittelmäßigen Kader doch noch etwas Glanz zu erzeugen. Das kann passen. Es ist aber eher eine Wette als ein solides Programm.