Handball-Krimi gegen Frankreich Das Wunder von Lille - Uscins zaubert Deutschland ins Olympia-Halbfinale
Im olympischen Viertelfinale gegen Frankreich sahen Deutschlands Handballer schon wie der sichere Verlierer aus. Aber das Team von Bundestrainer Alfred Gislason kämpfte sich zurück und rettete sich mit einem unglaublichen Treffer in die Verlängerung. Im Hexenkessel von Lille behielt Deutschland die Nerven und warf den Gastgeber mit einem 35:34-Sieg aus dem Turnier. Der überragende Mann des Spiels mit 14 Toren: Renars Uscins.
Sechs Sekunden waren im Viertelfinale zwischen Frankreich und Deutschland noch zu spielen. Rückraumspieler Renars Uscins hatte gerade per Siebenmeter den 28:29-Anschlusstreffer erzielt. Mehr schien für das deutsche Team in diesem Handball-Krimi nach großem Kampf aber nicht drin zu sein.
Schließlich war Frankreich nun in Ballbesitz und musste die letzten Sekunden nur noch über die Zeit bringen. Die Halle bebte, die 27.000 Zuschauer im umgebauten Fußballstadion Stade Pierre-Mauroy bejubelten schon den Halbfinal-Einzug von "Les Bleus".
Knorr: "Das passiert nur einmal in der Karriere"
Dann aber passierte, was laut Juri Knorr "nur einmal in der Karriere so passiert": Frankreichs Starspieler Dika Mem verlor beim Anspiel die Nerven und spielte einen zu kurzen Pass. Julian Köster machte sich lang, pflückte denn Ball aus der Luft und spielte zu Uscins, der sich auf halblinks in Position gebrachte hatte.
Zwei schnelle Schritte, Sprung und der Ball landete mit der Schlusssirene - durch die Beine des französischen Keepers - im Netz. Schwarz-rot-goldene Ekstase, Fassungslosigkeit bei Frankreich - es ging in die Verlängerung.
"Ich weiß selber nicht, was da gerade passiert ist", sagte ein strahlender Uscins, "die letzten sechs Spielsekunden - ich weiß nicht, wie das passiert ist. Ich bin einfach sehr glücklich über diesen riesigen Fight".
Zwischenzeitlicher Sechs-Tore-Rückstand für Deutschland
Denn zu Beginn der zweiten Halbzeit sahen die Deutschen schon wie der sichere Verlierer aus. Frankreich baute seine 17:14-Halbzeitführung immer weiter aus und lag nach nach 32 Minuten schon mit 20:14 vorne. "Wir haben über den Kreis und den Rückraum zu viele leichte Tore bekommen", sagte Bundestrainer Gislason.
Hinzu kam der überragende französische Schlussmann Vincent Gerard, der Deutschland mit einer Glanztat nach der anderen zum Verzweifeln brachte. "Aber wir haben weitergekämpft, jeder für jeden", fand Spielmacher Juri Knorr, "und irgendwie hatten wir das Glück heute auf unserer Seite."
Das Glück - und Renars Uscins: Der 22-Jährige trieb sein Team immer wieder an, ging voran und brachte die DHB-Auswahl mit seinen Toren wieder heran: Aus dem Rückraum mit viel Wumms, per Kempa oder vom Siebenmeterpunkt. Deutschlands bester Werfer präsentierte sich - wie schon im kompletten Turnierverlauf - treffsicher aus allen Lagen. So gelang Deutschland in einem rasanten und hochklassigen Spiel nach 47 Minuten erstmals wieder der Ausgleich - und in der letzten Sekunde eben der entscheidende Treffer zum 29:29, der Deutschland in die Verlängerung brachte.
"Ein Wahnsinn" - Uscins wirft Deutschland ins Halbfinale
Es folgte ein "Thriller", "ein Wahnsinn", in dem der Olympiasieger von Tokio immer wieder vorlegte und Deutschland keine Verschnaufpause gönnte. Mit einem immer stärker werdenden David Späth im Tor und ganz viel Durchschlagskraft und Willen brachte die junge DHB-Auswahl die routinierten Franzosen aber immer weiter an den Rand einer Niederlage.
"Wir sind ruhig geblieben und haben uns immer wieder Chancen erkämpft", sagte Uscins, der im April 2023 sein erstes A-Länderspiel absolviert und die deutsche U21 im vergangenen Sommer als Kapitän zum WM-Titel geführt hatte. "Ich denke, das ist der nächste Entwicklungsschritt einer jungen Mannschaft", so der Linkshänder von Hannover-Burgdorf weiter. Und auch Gislason ist "unglaublich stolz, dass sie diese Leistung so bringen können und jetzt immer konstanter werden".
In der Schlussphase der Verlängerung war dann aber vor allem Nervenstärke gefragt: 16 Sekunden vor dem Ende traf Frankreichs Nedim Remili zum viel umjubelten 34:34-Ausgleich und Deutschland bekam noch eine letzte Angriffschance: Knorr spielte zu Uscins, der fasste sich ein Herz und knallte den Ball per Schlagwurf ins lange obere Eck zum 35:34 - der Siegtreffer und Uscins 14. Tor an diesem denkwürdigen Nachmittag in Lille. "Es war super heute, ich hab's total genossen", sagte der Man of the Match. "Selbst die Zuschauer gegen uns, das mag ich auch sehr, von dem her war's für uns ein toller Tag“.
Halbfinale gegen Vorrundengegner Spanien
Ein toller Tag, der die deutsche Auswahl ins olympische Halbfinale brachte. Da trifft das Gislason-Team am Freitag (09.08.2024) auf Spanien, das Ägypten in seinem Viertelfinale mit 29:28 besiegt hat.
Wie man gegen die Iberer gewinnen kann, weiß das DHB-Team spätestens seit dem 33:31-Erfolg in der Vorrunde ganz genau. Jetzt heißt es für Renars Uscins und Co. an diesem "unglaublichen Tag" aber erstmal: "Den Abend genießen und runterfahren".