Moderner Fünfkampf in Paris Annika Zillekens und der Schatten der Vergangenheit
Nach dem Pferde-Eklat von Tokio geht Annika Zillekens im Modernen Fünfkampf auch bei den Olympischen Spielen in Paris wieder an den Start. Ihr letzter Ritt soll ein versöhnlicher werden.
Malerisch liegt die olympische Reitanlage in den Gärten von Schloss Versailles des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Ein Schattenmoment der Sommerspiele wird aber gerade dort wieder in den Fokus rücken, wenn im Modernen Fünfkampf um Medaillen geschwommen, gelaufen, geschossen, gefochten und vor allem geritten wird.
Drei Jahre ist der Wettkampf nun her, der für Annika Zillekens und den Modernen Fünfkampf zum Trauma wurde. Eine verzweifelte Reiterin, ein verstörtes Pferd. Tränen. Schmerzen. Aus Tokio flimmert das Drama auf die TV-Bildschirme der Welt. Wer sein Gerät nicht auf stumm geschaltet hat, hört Kim Raisner über die Außenmikrofone. "Hau drauf!", ruft die Bundestrainerin ihrer überforderten Athletin zu.
Zillekens haut drauf, auf Saint Boy, das ihr zugeloste Pferd, das nicht so will wie seine Reiterin. Es sind verstörende Szenen. Es geht um Gold. Am Ende verliert Zillekens, die damals unter ihrem Mädchennamen Schleu startet, mehr als eine Medaille. Sie wird als Tierquälerin beschimpft. Ihr Ruf ist beschädigt.
Letzter Ritt auf prächtigster Bühne
Die Bilder von dem Vorfall gingen um die Welt. Vor allem Tierschützer reagierten empört. Zillekens und Raisner wurden wegen Tierquälerei angezeigt; die Verfahren wurden später eingestellt. Der Weltverband – der ohnehin schon seit langem um den Verbleib bei Olympia kämpfen musste – reagierte und beschloss, das Reiten nach 2024 aus dem Programm zu nehmen und es für Los Angeles 2028 durch einen Hindernis-Parcours zu ersetzen.
Auf der bislang prächtigsten Bühne setzen die Fünfkämpfer (Freitag, 13 Uhr) und Fünfkämpferinnen (Samstag, 9.30 Uhr) also zu ihrem letzten Ritt an. Zillekens steht am meisten im Rampenlicht. "Ob ich es möchte oder nicht, ich werde mich doppelt beobachtet fühlen. Die mentale Herausforderung wird schon extrem sein", erzählte die 34-Jährige der "Welt am Sonntag". Seit Tokio arbeitet sie intensiv mit einer Sportpsychologin zusammen; die beiden wollen sich gerade jetzt in Paris auf jedes Szenario vorbereiten, das Zillekens unter den Augen der großen Olympia-Öffentlichkeit blüht.
Hass nach Tokio: "War fast schizophren"
Dass sie sich dem Trubel überhaupt noch mal aussetzt, mag verwunderlich wirken. "Ich möchte einen versöhnlichen Abschluss mit den Olympischen Spielen", erklärte sie. Von Versöhnung konnte in den Tagen und Wochen nach Tokio keine Rede sein. Zillekens war damals gerade vom Pferd gestiegen, da gingen schon Hasskommentare über ihre Smartwatch ein. Und es wurde schlimmer – die Berlinerin bekam sogar Morddrohungen.
"Mich hat das unglaublich mitgenommen, teilweise war ich auf der Straße fast schizophren und hatte Angst, dass jemand mich anspricht oder verfolgt, was aber nicht passiert ist", erzählte sie dem "Stern". Den Grad an Hass im Netz hatte sie sich vorher nicht ausmalen können. Irgendwann meldete sie sich aus den sozialen Netzwerken ab.
"Wurden zu Pferdeschlächtern gemacht"
Bundestrainerin Raisner litt mit ihrem Schützling. Die Funktionärin legt Wert darauf, die Momente von damals einzuordnen. "Es wurden Sachen aus dem Zusammenhang gerissen und wir wurden zu Pferdeschlächtern gemacht", haderte sie im Gespräch mit dem "Münchner Merkur".
Sie hatte in jenen Sekunden in Tokio auch mit der Hand auf das Pferd geschlagen, was nicht korrekt gewesen sei. Aber das Tier habe dies gar nicht gemerkt. "Die Leute sollen einfach mal in die Reitschulen gehen, da passieren noch viel schlimmere Sachen. Da ist das, was in Tokio passiert ist, gar nichts dagegen." Dass das Pferd von der Athletin vor Zillekens "kaputtgeritten" worden sei, darauf habe niemand geschaut, unterstrich Raisner.
Nun also sind Zillekens und Raisner wieder bei Olympia. Die Trainerin schaute am Mittwoch bereits genau hin, als den Teams auf der Anlage in Versailles die Pferde präsentiert wurden. Die Hürden sind nach den Tokio-Erlebnissen etwas niedriger angebracht und die Athletinnen und Athleten hoffen, dass alle Tiere mit der Situation umgehen können.
Tokio ist aus den Köpfen
Bilder wie in Tokio sollen sich am Wochenende nicht wiederholen. Das Regelwerk hat sich geändert. Der Parcours ist verkürzt. Unter anderem gibt es zwei Hindernisse weniger, sie liegen zehn Zentimeter niedriger.
"Die Franzosen haben sich sehr, sehr viel Mühe gegeben, die Pferde sehr gut vorzubereiten", sagt Raisner. Pferde, die für dieses Format passen: "Wir sind gut vorbereitet. Wir wollen zeigen können, dass wir gute Reiter sind."
Tokio ist aus den Köpfen. "Wir wollen in die Zukunft gucken", sagte Raisner. Und Olympia in schöner Erinnerung behalten. "Wenn es für eine Medaille reicht: Wahnsinn! Aber auch mit einem Platz unter den Top Ten kann ich versöhnlich abtreten", sagte Zillekens. Ihr letzter Ritt steht kurz bevor.