Verstappen und Red Bull in der Krise In der Formel 1 wird auf einmal wieder gerechnet
Max Verstappen erlebt in Zandvoort gegen Lando Norris die nächste herbe Niederlage. Die Formel 1 darf auf einmal wieder auf Spannung im Kampf um den WM-Titel hoffen.
Der Dünenkurs in Zandvoort, ein paar Schritte vom Nordseestrand und seinen Beachklubs entfernt, gehört sicherlich zu den stimmungsvollsten Rennen im Formel-1-Kalender. Die "Oranje"-Fans feierten auch an diesem Wochenende sich und ihren Lokalhelden, Weltmeister Max Verstappen. Auch die niederländische Königsfamilie gab sich die Ehre.
Alles wie gehabt, also - bis auf eine Kleinigkeit: Am Ende gab es für die Niederländer nicht den zuletzt obligatorischen Heimsieg ihres Helden Max Verstappen zu bewundern. Zum ersten Mal, seit der Niederlande-Grand-Prix wieder in den Kalender aufgenommen wurde, eigens für Verstappen und seine Fans, triumphierte nicht der Nationalheld. Sondern Lando Norris aus dem englischen Bristol.
"Daily Mail": WM-Kampf in der Formel 1 "wieder am Leben"
"Der Weltmeisterschaftskampf, den viele schon auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen hatten, ist wieder am Leben", jubelte das britische Boulevardblatt "Daily Mail". Norris, der neue große Herausforderer, gab sich dagegen betont zurückhaltend: Es sei "ziemlich blödsinnig", an den WM-Titel zu denken, sagte der Brite nach dem Sieg in Zandvoort.
Verstappens Vorsprung in der Fahrerwertung, herausgefahren mit sieben Siegen in den ersten zehn Saisonrennen, beträgt nach wie vor komfortable 70 Punkte, bei noch neun ausstehenden Rennen. Sieben Punkte mehr bekommt der Sieger eines Rennens (25) als der Zweitplatzierte (18), dies ist zugleich der größte Abstand zwischen zwei Platzierungen in den Punkterängen. Norris sollte also nach Möglichkeit jedes der ausstehenden Rennen gewinnen - und dabei Verstappen nicht nur hinter sich lassen, sondern auch darauf hoffen, dass der Niederländer schlechter als auf dem zweiten Platz abschneidet. Dann könnte Norris tatsächlich eine historische Aufholjagd zum WM-Titel schaffen.
Dominanz von Verstappen und Red Bull vorbei
Dass in der zuletzt eintönigen Formel 1 überhaupt wieder gerechnet werden darf, schon dies fühlt sich an wie eine neue Zeitrechnung. Die Dominanz von Verstappen, der seit mehr als zwei Jahren ununterbrochen die WM-Fahrerwertung anführt, scheint endgültig dahin.
Das Rennen in Zandvoort war dafür ein weiterer Beleg. Obwohl Norris den Start vergurkte und Verstappen erst einmal die Führung schenkte, konnte der Niederländer diesen Vorteil nicht zum Sieg im 200. Rennen ummünzen. In der 18. Runde überholte Norris den Weltmeister und fuhr im Anschluss die Überlegenheit des Autos aus. Am Ende hatte Norris den WM-Führenden um fast 23 Sekunden abgehängt, der größte Vorsprung eines Siegers in dieser Saison nach Verstappens Auftaktsieg in Bahrain.
Dass Norris für die schnellste Rennrunde zusätzlich einen Bonuspunkt in der Fahrerwertung bekam, machte Verstappens Demontage vor dem Heimpublikum komplett. McLarens Vorsprung auf Red Bull scheint derzeit so groß, dass "der Brite glauben kann, das Unwahrscheinliche zu schaffen", kommentierte die Zeitung "The Times" und meinte damit den WM-Titel.
McLaren mit dem besten Set-up, Verstappen ratlos
Unbestritten ist, dass McLaren zurzeit mit dem besten Set-up im Fahrerfeld antritt. Seit dem Upgrade vor dem Miami-Grand-Prix, bei dem Norris den ersten Sieg herausfuhr, hat McLaren das schnellste Auto, und die Kräfteverhältnisse in der WM sind neu geordnet. In der Sommerpause haben die McLaren-Ingenieure nun nochmals nachjustiert, offenbar erneut mit Erfolg.
Verstappen und Red Bull dagegen, die lange Unbesiegbaren, blieben bereits zum fünften Mal in Folge sieglos. Das Weltmeister-Team fährt immer weiter hinterher und findet offenbar auch kein Gegenrezept. Im Mai gab es einen technischen Upgrade am Wagen, der wohl eher ein "Downgrade" war, wie James Allison, Chefkonstrukteur beim Konkurrenten Mercedes, süffisant bemerkte. Red-Bull-Teamchef Christian Horner dementierte dies umgehend.
Doch Verstappen sprach nach dem Rennen in Zandvoort von "Problemen mit der Balance", Probleme, die es "in den ersten Rennen" nicht gegeben habe, so Verstappen: "Irgendetwas macht es schwieriger, das Auto zu fahren. Und es ist im Moment sehr schwierig, herauszufinden, woher es kommt."
Der Formel-1-Weltmeister dürfte sich schon länger so vorkommen wie der Familienvater, der beim Wochenendausflug merkt, dass das Auto mal wieder komische Geräusche von sich gibt, obwohl er bereits mehrmals einen Termin in der Werkstatt des Vertrauens hatte. Helmut Marko, der mächtige Motorsportberater bei Red Bull, bezeichnete den RB20 schon als "Zicke".
Marko zur Red-Bull-Krise: "Alarmierend"
Die aktuelle Situation sei "alarmierend", sagte Marko gegenüber dem Fachmagazin "Autosport". Das Team müsse "härter arbeiten, oder beide Weltmeisterschaften sind in Gefahr". In der Konstrukteurs-WM hat Red Bull nur noch 30 Zähler Vorsprung auf McLaren. "Unsere Techniker müssen sich etwas einfallen lassen. Neunmal Zweiter werden reicht nicht", forderte Marko und unterschlug dabei, dass es am Ende wahrscheinlich doch zum WM-Titel für Verstappen reichen würde, wenn er neunmal auf Platz zwei einläuft. Aber womöglich möchte man bei Red Bull auch darauf momentan nicht vertrauen.