Formel 1 "In einer eigenen Welt" - Verstappens Meisterstück in Sao Paulo
Nach einem chaotischen Formel-1-Wochenende in Brasilien ist so gut wie klar: Max Verstappen wird seinen WM-Titel verteidigen. Das verdankt er einem schwächelnden Konkurrenten, ein wenig Glück im Regen - aber vor allem seinen Fähigkeiten.
Regenrennen in der Formel 1 bedeuten nicht selten Spektakel. Auch stellen sie oftmals bekannte sportliche Rangfolgen auf den Kopf. Und es gibt nicht wenige Fahrer und Experten in der langen Historie der Formel 1, die der Überzeugung sind, dass sich im Regen die wahren Fähigkeiten der Fahrer zeigen und die Leistungsstärke der Autos in den Hintergrund rückt.
Max Verstappen hat am Sonntag (03.11.2024) genau das der Welt gezeigt: Es gibt derzeit keinen besseren Fahrer als ihn. Von Platz 17 gestartet, fuhr Verstappen einen souveränen Sieg im Dauerregen von Sao Paulo ein und untermauerte den eigenen Anspruch, auch in diesem Jahr Weltmeister zu werden. Nach seinem ersten Rennsieg seit Juni (von zwei Sprintsiegen abgesehen) ist die Fahrer-Weltmeisterschaft so gut wie entschieden.
Noch drei Rennen - Las Vegas, Katar und Abu Dhabi
Vor den abschließenden drei Rennen in Las Vegas (24.11.24), Katar (01.12.24) und Abu Dhabi (08.12.24) liegt Verstappen 62 Punkte vor seinem Widersacher Lando Norris im McLaren. Für den WM-Dritten Charles Leclerc ist der Kampf um die WM-Krone seit Brasilien auch rechnerisch vorbei. "Er war in einer eigenen Welt", sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko beim Pay-TV-Sender Sky: "So eine Demonstration hat alles gesprengt und ist die richtige Antwort auf alles, was in den letzten Wochen war."
Diese letzten Wochen waren vielleicht die schwierigsten in der Karriere des niederländischen Überfliegers. Denn seit dem engen WM-Zweikampf mit Lewis Hamilton 2021 dominierte Verstappen die Formel 1 nach Belieben. Im letzten Jahr gewann der 27-Jährige 20 von 23 Rennen. Trotz turbulenter Sommerpause im Team und der Diskussion um eine mögliche Ablösung von Red-Bull-Teamchef Christian Horner, nachdem ihm eine Mitarbeiterin unangemessenes Verhalten vorgeworfen hatte, startete Verstappen mit sieben Siegen aus den ersten zehn Rennen in die Saison. Die Weltmeisterschaft schien im Juni entschieden zu sein.
Als Red Bull den Faden (und den Anschluss) verlor
Danach verlor Red Bull den Faden - und den Anschluss. Die Konkurrenz entwickelte ihre Boliden weiter, Red Bull büßte nicht nur seine Dominanz ein, das Team verstrickte sich Woche für Woche in Diskussionen. Das sogenannte Mastermind hinter dem Auto, Adrian Newey verließ das Team, Verstappen schloss einen vorzeitigen Abschied nicht mehr aus und Teamkollege Sergio Perez fuhr konstant hinterher - durfte sein Cockpit aber bis heute behalten.
Und während McLaren in genau diese sportliche Lücke stieß und Red Bull konsequenterweise auch als Maß der Dinge in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ablöste, schlich sich Lando Norris langsam aber sicher heran an den Dominator Verstappen. "Bis zum Ende der Saison Zweiter werden, wird uns nicht reichen", sagte jener Marko nach Verstappens zweitem Platz mit 23 Sekunden Rückstand auf Rennsieger Norris in Zandvoort Ende August.
Norris mit Pech und Fahrfehlern
Die Annahme mag rechnerisch richtig gewesen sein, Teil der These ist es aber auch, dass Norris die übrigen Rennen gewinnt. Und so bravourös der Brite in den letzten Monaten den Rückstand minimiert hat, so wackelig präsentierte er sich beim Rennen in Sao Paulo. Nach einem starken Qualifying, das wegen des Regens und zahlreicher Unfälle teilweise aber einer Lotterie gleichkam, fiel er, auf der Pole Position ins Rennen gehend, direkt hinter George Russell zurück.
Dass eine Rote Flagge später dazu führte, dass sich sein bereits getätigter Boxenstopp als unglücklicher Fehler erweist, ist Pech. Kein Zweifel. Dass er aber auch danach Positionen durch einfache Fahrfehler herschenkte, ist Nervosität. Oder aber die fehlende Erfahrung. Oder beides.
Verstappen und Norris - sie waren mal Freunde
Denn dass Norris mit seinen fahrerischen Fähigkeiten zu den Top-Leuten der Formel 1 gehört, das braucht der Brite nicht mehr zu beweisen. Dass ein solcher Top-Fahrer aber in brenzligen Situationen konstant abliefert, das musste auch Verstappen einst lernen. Dieser Zweikampf, der - seit dem Rennen in Mexiko Ende Oktober - von "Kollegen" (Zitat Norris) und nicht mehr Freunden (so haben er und Verstappen sich einst selbst bezeichnet) geführt wurde, wird Norris weiterbringen. Er wird ihn reifen lassen. Auch wenn die verpasste Chance auf den ersten WM-Titel den 24-Jährigen zunächst einmal schmerzen wird.
Verstappen, der im Anschluss an das Chaos-Rennen von einer "Achterbahnfahrt der Emotionen" sprach, kann schon beim Spektakel-Grand-Prix in Las Vegas (24.11., 7 Uhr im Live-Ticker bei sportschau.de) Weltmeister werden - zum vierten Mal in Folge. Für den Niederländer wird es sich anders anfühlen als in den vergangenen beiden Jahren, wo er quasi außer Konkurrenz fuhr. In dieser zweiten Saisonhälfte hat er bewiesen, dass er trotz eines gegenüber der Konkurrenz unterlegenen Autos vorne mitfahren kann. Mehr brauchte es zuletzt nicht, mehr hätte es bis Saisonende möglicherweise auch nicht gebraucht. Verstappen aber lieferte in Sao Paulo eine beeindruckende Show. Sein (Welt-)Meisterstück.