Reaktionen auf "Salto Nullo" des DLV Harting bemängelt Rahmenbedingungen - keine Vorwürfe von Drechsler
Nach dem erstmaligen "Salto Nullo" deutscher Leichtathleten bei einer WM bemängelt Diskus-Olympiasieger Robert Harting die Rahmenbedingungen im deutschen Spitzensport. Auch der frühere Verbandspräsident Clemens Prokop fordert Änderungen bestehender Strukturen. Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler verteidigte die deutschen WM-Athleten gegen pauschale Kritik.
"Einfach mal keine Medaille trotz guten und persönlichen Bestleistungen. Das Problem im dt. Leistungssport ist die Konsequenz bei Fehlleistungen durch Entscheider aber vor allem die fehlenden Investitionen ins Know How von allen Beteiligten", schrieb der 38-jährige Harting am späten Sonntagabend auf X (vormals Twitter). Damit bezog sich der dreimalige Diskus-Weltmeister auf die auch von vielen aktiven Athleten und vom DLV geäußerte Tatsache, dass die deutschen Sportlerinnen und Sportler in vielen Disziplinen der Weltspitze inzwischen weit hinterherhinken.
Harting prangerte bei seiner Kritik via Socialmedia insbesondere das Potenzialanalysesystem (PotAS) an. Es ist Teil der Spitzensport-Reform, bei der die Fördergelder des Bundes künftig stärker anhand von Erfolgserwartungen und Medaillenchancen verteilt werden sollen. "Richtig krank ist in meinen Augen dieses PotAs System. Was aus Misstrauen der Politik ggü dem DOSB gegründet wurde. Das sagt alles", schrieb er.
Prokop: Nicht nur die Leichtathletik hat Probleme
Der Olympiasieger von 2012 sieht aber auch Fehlentwicklungen im sportlichen Nachwuchsbereich in Deutschland. So seien etwa die jüngsten Entwicklungen, "Urkunden oder Fußballspiele zu ändern, damit Kinder nicht mehr weinen", aus seiner Sicht falsch.
Der ehemalige Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, Clemens Prokop, nannte das Abschneiden des deutschen Teams bei der WM "einfach enttäuschend". Auch er verwies aber auf die Weiterentwicklung an der Weltspitze. Aus Prokops Sicht müssen für einen Kurswechsel bestehende Strukturen im Sport verändert werden. Zudem sei die Frage, wie Talente gefunden werden könnten. Probleme habe aber nicht nur die Leichtathletik, der deutsche Sport verliere generell den Anschluss an die Weltspitze. "Vielleicht ist das auch ein Symptom für die Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft", sagte Prokop.
Drechsler: "Weber hatte Pech, dass andere besser waren"
Die frühere Weitsprung-Olympiasiegerin und -Weltmeisterin Heike Drechsler stellte sich in ihrer Reaktion zu den WM-Leistungen des deutschen Teams schützend vor die Ahletinnen und Athleten. "Man kann es natürlich nicht schönreden." Aber: "Wenn die Athleten Bestleistung laufen, kannst Du keinen Vorwurf machen. Wir wollen halt immer Medaillen." Der vierte Platz von Speerwerfer Julian Weber werde trotz dessen Topleistung nicht gewürdigt. "Er hatte Pech, dass andere besser waren", sagte Drechsler.
Heike Drechsler gewann in ihrer Karriere sechs WM- und fünf Olympia-Medaillen.
Die 58-Jährige hofft, dass bei den Olympischen Spielen in Paris im kommenden Jahr einige der in Budapest fehlenden Athletinnen und Athleten wieder in Bestform antreten können. Für viele jüngere Leichtathleten sei Budapest zudem eine wichtige Erfahrung im Hinblick auf kommende Großereignisse gewesen. Aus ihrer Sicht sind die nächsten zehn Jahre entscheidend für die Entwicklung der deutschen Leichtathletik.
Negativtrend setzt sich fort
Das 70-köpfige deutsche Team war in Budapest - in Abwesenheit einiger verletzter Leistungsträger - erstmals in der 40-jährigen Geschichte von Leichtathletik-Weltmeisterschaften ohne Medaille geblieben. Bestes Ergebnis war der vierte Platz von Speerwerfer Julian Weber. Insgesamt gab es in den 49 Medaillen-Entscheidungen in der ungarischen Hauptstadt 13 Top-8-Platzierungen deutscher Athletinnen und Athleten. Damit belegte Deutschland immerhin Platz zwölf in der Nationenwertung, in der 70 Länder vertreten sind.
Schon im vergangenen Jahr war die WM-Ausbeute magerer gewesen als je zuvor: In Eugene in den USA gewann Malaika Mihambo Gold für Deutschland im Weitsprung, die 4x100-m-Staffel sprintete zu Bronze. Die negative Entwicklung könne sich bei den Spielen in Paris auch noch fortsetzen, sagte DLV-Präsident Jürgen Kessing im MDR: "Der Rest der Welt ist deutlich stärker geworden als wir." Der Neuaufbau im DLV benötige Zeit. Der Verband hoffe darauf, 2028 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles "wieder unter den Top-Fünf-Leichtathletiknationen zu sein".