Kosten- und Zielplanung veröffentlicht Zentrum für Safe Sport - Mammutprojekt nimmt Gestalt an
Das Zentrum für Safe Sport soll 2026 in den Regelbetrieb gehen. Im Kampf gegen sexualisierte, physische und psychische Gewalt im Sport soll es auch für Sanktionen auf Grundlage eines neuen Codes zuständig sein. Die nun veröffentlichte Roadmap offenbart Details des Mammutprojekts – das noch Konfliktpotenzial birgt.
Am vergangenen Donnerstag rieben sich sportpolitische Beobachter verwundert die Augen, als dem Bundesinnenministerium (BMI) ein seltenes Kunststück gelang. Da verkündete das für den Sport zuständige Ministerium nicht ohne Stolz, dass der "Fahrplan zur Entwicklung des Zentrums für Safe Sport steht" – ohne besagten Fahrplan zu veröffentlichen.
Mittlerweile hat das Haus von Ministerin Nancy Faeser (SPD) die "Roadmap" für die Anlaufstelle bei Fällen sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Sport ohne weiteren Kommentar doch noch online gestellt. Das 76-seitige Dokument offenbart Details eines bemerkenswerten Mammutprojekts. Es gehört angesichts dramatischer Fallzahlen zu interpersonellen Gewalttaten zu den wichtigsten im deutschen Sport seit der Wiedervereinigung.
"Safe Sport-Code" als verbindliches Regelwerk
Die Einrichtung soll 2026 in den Regelbetrieb gehen und dem Plan zufolge wesentlich mehr sein als nur Anlaufstelle für Betroffene und Hinweisgeber. Die Veröffentlichung soll gleich mit einer bahnbrechenden Ausgestaltung der Sportgerichtsbarkeit einhergehen. Es soll auf Grundlage eines "Safe Sport-Codes", ähnlich dem Code im Kampf gegen Doping, auch für die Sanktionierung auf sportrechtlicher Ebene zuständig sein – also Täter bestrafen. Dieser neue Code soll "dem Zentrum und dem Sport als verbindliches Regelwerk dienen", so das Konzept.
"Das Zentrum für Safe Sport könnte eine interne Schiedsgerichtsbarkeit zur Verhängung sportspezifischer Sanktionen unterhalten", heißt es in dem Papier noch vorsichtig. Ein begleitendes Gutachten stellt angesichts der zu erwartenden Gewaltenkonzentration aber bereits fest: "Es ist rechtlich zwar zulässig, sowohl die Untersuchungs- als auch die Sanktionsinstanz unter der gleichen Trägerorganisation zu verankern. Dann ist es jedoch zwingend erforderlich, dass innerhalb der Organisation eine funktionale und personale Abgrenzung zwischen diesen erfolgt."
46 Beschäftigte in Vollzeit
Auch personell wird das Papier bereits konkret. Sieben "Fallmanager" sollen in der Einrichtung bis zu 25 Fälle gleichzeitig bearbeiten und mit einer "Clearingstelle" zur Aufklärung beitragen. 46 Personen sollen in Vollzeit für das Zentrum arbeiten. Weitere Säulen des Hauses neben der Intervention sollen die Aufarbeitung von Fällen sowie die Präventionsarbeit bilden.
Wo das Zentrum stehen soll, ist noch offen. Es soll die Rechtsform eines eingetragenen Vereins erhalten und für Spitzen- und Breitensport zuständig sein. Die Roadmap, so heißt es, stelle keine "endgültige Konzeption für das zukünftige Zentrum für Safe Sport dar, ist für dieses jedoch richtungsweisend".
Sechs Millionen Euro pro Jahr
Die Einrichtung soll im Regelbetrieb gut sechs Millionen Euro pro Jahr kosten. Bis 2026 wird nach Plan in der konkreten "Entwicklungsphase" (ab 2024) und "Startphase" (ab 2025) insgesamt dieselbe Summe veranschlagt. Zum Vergleich: Die Nationale Anti-Doping-Agentur kostet im Jahr mit gut zwölf Millionen Euro etwa das Doppelte. Allerdings wendet die Bonner Stiftung bürgerlichen Rechts allein die Hälfte davon für operative Kosten (Dopingkontrollen und Analytik) auf, die beim Zentrum für Safe Sport kaum anfallen.
Der Bund wird laut BMI-Papier im Herbst 2023 beim Haushaltsgesetzgeber im Rahmen der Haushaltsberatungen des Bundestages Mittel für den Aufbau und die Einrichtung des Zentrums beantragen. Parallel dazu seien Finanzierungsgespräche zwischen dem Bund, den Ländern und dem organisierten Sport vorgesehen.
Streit über Finanzierung programmiert
"Die Beteiligung der Stakeholder an der Finanzierung befindet sich in Abstimmung", heißt es in dem Papier lapidar zur entscheidenden Frage, wer wie viel bezahlen soll. Nicht nur an diesem Punkt, so ist zu hören, war es unter den 90 Akteuren bei der achtmonatigen Entwicklung der Roadmap immer wieder zu Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen gekommen, vor allem zwischen Innenministerium und Deutschem Olympischem Sportbund (DOSB). Wegen des lieben Geldes, konkret wegen der geplanten Mittelkürzungen für den Spitzensport um zehn Prozent auf 276 Millionen Euro pro Jahr, liegen die Nerven momentan ohnehin blank.
Mit Blick auf das Zentrum für Safe Sport hat der DOSB schon im Herbst vergangenen Jahres mit entwaffnender Selbstverständlichkeit angekündigt, es müsse "vollumfänglich und langfristig" vom Bund finanziert werden. Der Dachverband verwies auf die "Selbstorganisation des Sports".
Die gepriesene Autonomie hat allerdings gerade beim Thema Missbrauch oft auch zu Täterschutz geführt und das Leid von Betroffenen verstärkt – wie etwa im Fall von Jan Hempel. Der ehemalige Wasserspringer hatte die Öffentlichkeit mit seiner Darstellung über jahrelangen Missbrauch durch seinen Trainer in der ARD-Doku "Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" schockiert. Hempel behält sich momentan eine Klage gegen den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) wegen Organisationsverschuldens vor.
Athleten Deutschland besorgt Geld über Stiftung
Auch beim bereits ausgegebenen Geld für das Großprojekt "Safe Sport" ist Merkwürdiges zu beobachten. Die Organisation Athleten Deutschland, Hauptvertreterin der Betroffenen von Gewalt im Spitzensport und im Februar 2021 Ideengeberin des Zentrums, hat für die Finanzierung eines Gutachtens rund um Schlüsselfragen zum Projekt selbst bei einer Stiftung (Oak Foundation) Geld eingesammelt und zugeschossen.
Das Gutachten, erstellt von einer Frankfurter Anwaltskanzlei und mitfinanziert von BMI und DOSB, soll bis Jahresende vorliegen. Bis dahin soll weiter am Feintuning gearbeitet werden, unter anderem auf der Sportministerkonferenz Mitte September und der DOSB-Mitgliederversammlung Anfang Dezember.