Geheimsache Doping

ARD-Doku "Schmutzige Spiele" Olympische Spiele - immer auch Festspiele des Dopings

Stand: 21.07.2024 13:01 Uhr

Zu ineffektiv, zu unausgewogen, zu willkürlich – obwohl die Athleten große Zugeständnisse im Anti-Doping-Kampf machen müssen, können die selbst bei Olympischen Spielen keinen sauberen Sport gewährleisten.

Von Hajo Seppelt, Nick Butler, Edmund Willison, Josef Opfermann und Jörg Winterfeldt

Alles scheint wie immer. Olympische Spiele stehen unmittelbar bevor. Und um die Sportfans weltweit auf die große Sause in Paris einzustimmen, nutzen die mächtigsten Sportfunktionäre und Anti-Doping-Kämpfer weltweit die Gelegenheit, hervorzukehren, wie entschieden sie sich für fairen, dopingfreien Sport einsetzen.

Am Tag vor der Eröffnungszeremonie hat die Internationale Test Agentur (ITA), die während der Spiele für Dopingkontrollen zuständig ist, ihre Pressekonferenz angesetzt, um der Welt mitzuteilen, wie intensiv sie bei den Spielen zu testen gedenkt. Die Kern-Botschaft steht im Sinne des Internationalen Olympischen Komitees schon vorher fest: Dopern wird es mit aller Härte an den Kragen gehen.

Tatsächlich, legen neue Recherchen der ARD-Dopingredaktion für die ARD-Doku "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele" nahe, dass auch in Paris mit Sicherheit wieder Dopingbetrug stattfindet – und zunächst unentdeckt bleiben wird. Olympische Spiele haben eine lange Tradition als Hochfest des Sportbetrugs.

So hat schon in Moskau 1980 der Geheimdienst Athletenurin gegen sauberen Urin getauscht, selbst die DDR-Athleten, deren Doping-Dosierung in Akten eingesehen werden kann, haben ihre Olympia-Medaillen noch. Und ein Arzt gesteht, zu den Spielen in Barcelona 1992 für spanische Erfolge medizinisch nachgeholfen zu haben.

Der Film zeigt am Beispiel Kenia, wie die leichtathletische Ermittlereinheit der Athletics Integrity Unit das Dopingproblem im Land erfolgreich angeht, während die Betrugsmentalität immens ist. Und wie ernüchternd die Lage ist, lässt sich im bevölkerungsreichsten Land der Erde, Indien, regelmäßig beobachten, etwa wenn in der direkten Stadion-Umgebung gebrauchte Spritzen und Medikamentenverpackungen alles vermüllen. Das Land mit seinen fast 1,5 Milliarden Menschen soll gute Chancen haben, 2036 Olympische Spiele auszurichten. Gleichzeitig wurden in keinem anderen Land zuletzt binnen eines Jahres so viele Doper erwischt. Und in kaum einem anderen Land werden so viele Dopingmittel hergestellt.

Doping in Indien - viele Fälle trotz seltener Kontrollen

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25 Jahre nach der Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) steht der Anti-Doping-Kampf am Scheideweg: Die WADA steckt in der tiefsten Glaubwürdigkeitskrise ihrer Geschichte, Doping ist seit Jahrzehnten weit verbreitet, die Parolen vieler WADA- und IOC-Funktionäre scheinen reine Heuchelei, die Kontrollen sind weltweit größtenteils ineffektiv, positive Tests werden unter den Teppich gekehrt, eine Abschreckung findet kaum statt. "Bei Olympia", sagt der frühere WADA-Präsident Richard Pound, "dürfte sicherlich immer eine enorme Zahl von gedopten Athleten am Start sein."

"System von Hinterzimmerabsprachen"?

In Paris womöglich mit Ansage. Wie exklusive Recherchen der ARD-Dopingredaktion mit der "New York Times" zutage brachten, hatte die Chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA mit dem Segen der WADA 23 positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin 2021 wegen angeblicher Massenkontamination freigesprochen.

Neue ARD-Recherchen für die Doku "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele" bringen Social-Media-Postings zutage, die einigen Thesen der Entlastungstheorie widersprechen: Die Athleten haben offenbar weder alle im selben Hotel gewohnt, in dem ihr Essen kontaminiert worden sein soll, noch sollen sie über das ganze Land verteilt trainiert haben, was der These des gemeinsamen Dopens widersprechen sollte.

"Diese Fälle hätten von vornherein nicht abgeschlossen werden dürfen, und jetzt, da neue Informationen vorliegen, gibt es keinen Grund mehr, sie nicht wiederaufzunehmen", sagt der Chef der Athletenorganisation Global Athlete, Rob Koehler, nun der ARD-Dopingredaktion: "Das bisherige Vorgehen wirft die Frage auf, ob es sich um einen Fall von staatlich organisiertem Doping handelt, dem die Athleten zum Opfer fielen, oder um ein System von Hinterzimmerabsprachen zum Schutz sowohl der betrügenden Athleten als auch einer mächtigen Nation."

Für die WADA kommt die Entwicklung kurz vor Olympia einem Fiasko gleich. "Das System so wie es ist, ist ungerecht. Es wird kein gleicher Anti-Doping-Kampf weltweit geführt. Ich habe nicht das Gefühl, dass die WADA alles daran setzt, dass wirklich in allen Ländern ein fairer Antidopingkampf geführt wird", sagt die in Paris startende deutsche Marathonläuferin Laura Hottenrott der ARD-Dopingredaktion.

"Nein, es ist nicht mehr verhältnismäßig"

Prominente Sportler stellen sich die Frage, ob die schweren Grundrechtseingriffe, die sie zum Wohle eines fairen Sports in Kauf nehmen, noch verhältnismäßig sind, wenn trotzdem die Wettbewerbsgleichheit und fairer Sport reine Utopie bleiben, weil das System versagt. Etwa die Hinterlegung des eigenen Aufenthaltsortes für unangekündigte Kontrollen oder sich beim Urinieren von einem Dopingkontrolleur beobachten zu lassen. "Diese komplette Überwachung, das ist extrem", sagt die deutsche Säbelfechterin Léa Krüger der ARD-Dopingredaktion: "Momentan gibt es keine Alternativen. Aber es kann der Punkt kommen, dass wir sagen, nein, es ist nicht mehr verhältnismäßig."

Strenge Dopingkontrollen bei Profisportlern

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Auch um öffentlich den Eindruck der Unnachgiebigkeit im Anti-Doping-Kampf zu geben, hat das IOC nach den Spielen 2004 in Athen sogenannte Nachtests eingeführt. Kurz vor der Verjährung von Dopingvergehen, die derzeit nach zehn Jahren einsetzt, werden aufbewahrte Dopingproben früherer Spiele mit neuesten Methoden erneut getestet.

Die Nachtests für alle Spiele seit Athen 2004 belegten Jahre später, dass insgesamt 118 Sportler ihre Medaillen durch Betrug gewonnen hatten, die Medaillen also neu vergeben werden mussten. "Ich glaube, dass bei Olympischen Spielen annähernd hundert Prozent Ausdauerathleten leistungssteigernde Mittel genommen haben", sagt der frühere dänische Radprofi Michael Rasmussen, der selbst gedopt bei Olympia in Athen antrat.

Und in der neuen ARD-Doku packt der wohl berüchtigtste Doping-Arzt der Geschichte über quasi-staatlichen Olympia-Betrug in Spanien aus: Eufemiano Fuentes, der Mann, der einst den deutschen Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich dopte.

Vor den Heimspielen in Barcelona 1992 habe er, Fuentes, den Auftrag gehabt, Spaniens Team im Verborgenen auch medizinisch vorzubereiten: "Die Regierung hat also gesagt: 'Schau, wir brauchen Medaillen. Hier ist das Programm, … Geh los und mach es!'", sagt Fuentes vor versteckter Kamera, "tu, was immer du tun musst, aber wir wollen Medaillen. Wir wollen keine positiven Tests und keine gesundheitlichen Probleme, die den Positiven schaden könnten." Bei den Spielen in Barcelona wurde kein Spanier erwischt.

Nicht alle Proben werden auf alle Substanzen getestet

Als vorbildlich gilt die Arbeit der unabhängige Ermittlungseinheit des Welt-Leichtathletikverbandes, der Athletics Integrity Unit: 2016, dem Jahr vor Gründung der AIU, wurde in Kenia nur ein Doper erwischt, auf der neuesten Liste der AIU finden sich 91 erwischte Kenianer, darunter Olympiasieger, Weltmeister, Weltrekordler.

International ist die Erfolgsquote von Dopingtests verheerend, 0,6 Prozent etwa in olympischen Sportarten. Vieles deutet daraufhin, als sei die WADA selbst das Problem. Zwar führt die WADA Dopingkontrollen nicht selbst durch: Testagenturen, nationale Anti-Doping-Organisationen oder Sportverbände selbst kontrollieren die Athleten. Die WADA hat aber Vorgaben formuliert, wie getestet und wonach gesucht werden soll.

Das "Technische Dokument für sportartspezifische Analysen" zeigt, dass nicht alle Proben auf den Gebrauch besonders wirkungsvoller Substanzen wie dem Blutdopingmittel EPO oder dem Muskelmacher Wachstumshormon untersucht werden. Etwa im Fußball, im Tennis oder im Leichtathletik-Sprint, wo es nachgewiesene Blutdoping- oder EPO-Fälle gibt, wird empfohlen, gerade mal zehn Prozent der Proben auf EPO zu untersuchen. Das Risiko für Doper aufzufliegen: äußerst gering.