Deutschlands Schlüsselspieler gegen Ungarn "Einhorn" Köster und "Air" Dahmke bringen Köln zum Kochen
Der erst 23 Jahre alte Julian Köster war (nicht nur) gegen Ungarn ein Schlüsselspieler für Deutschlands Handballer. Seine Aktionen, und die von Kollegen wie Rune Dahmke, brachten die Kölnarena zum Kochen.
Kai Häfner schaute nur ganz kurz, ehe er den Ball in der Schlussphase der Partie gegen Ungarn hoch in Richtung Wurfkreis "legte". Was hätte Häfner da auch groß zweifeln sollen, denn Julian Köster, der der Empfänger dieses Passes für den Kempa-Trick werden sollte, war in den 55 Minuten zuvor ohnehin nahezu alles gelungen. Natürlich landete auch dieser Ball formschön zum 32:26 im ungarischen Tor.
Wer sonst als Köster hätte nach dem Spiel schon "Man of the Match" werden sollen? Acht Tore bei neun Versuchen hatte Köster beim 35:28 (18:17) erzielt, dazu weitere Assists geliefert und die Abwehr in der Mitte hervorragend zusammengehalten. Das EM-Halbfinale ist plötzlich auch dank ihm greifbar nah. Und doch schaute der hochaufgeschossene Mann mit der Nummer 18 fast überrascht drein, als er von seinen Teamkollegen zur Ehrung geschoben wurde.
Keine Schnörkel, dafür volles Tempo
Dass diese Überraschung gespielt oder Koketterie mit der eigenen herausragenden Leistung war, kann definitiv ausgeschlossen werden. Für solche Showmanship ist der 23-Jährige nicht der Typ, auch wenn er sein achtes Tor eben doch mit der eben beschriebenen Kempa-Einlage erzielte. Seine anderen Treffer waren eher geradlinig – mit vollem Tempo ging der Zwei-Meter-Mann auf die Deckung, ließ sich da auch nicht vom Kontakt der physischen Ungarn aufhalten oder traf wurfgewaltig aus dem Rückraum, wenn der ungarische Block zu passiv blieb.
Hatten die deutschen Spieler es gegen Österreich noch ab und an mit Drehern und Schnörkeln probiert und waren dabei teilweise kläglich gescheitert, sah man solche Versuche an diesem Tag gar nicht. Stattdessen ballerten Köster, Sebastian Heymann und Co. mit voller Überzeugung aus dem vollen Tempo. Dieses Tempo und diese Entschlossenheit lobte auch Bundestrainer Alfred Gislason in der Auszeit "Das ist egal, wenn wir da mal einen verschießen. Wir machen die total kaputt."
Besondere Verbindung zwischen Gislason und Köster
Dass Köster mit 23 Jahren in einer Partie, in der das Halbfinale einer Heim-EM auf dem Spiel steht, vorne und hinten zum Schlüsselspieler wird, ist bemerkenswert. Sogar die bisher in diesem Turnier körperlich kaum aufzuhaltenden ungarischen Riesen am Kreis wichen schon früh im Spiel dem deutschen Mittelblock aus. Kösters Übersicht und seine langen Arme und die Physis von Johannes Golla hatten die Magyaren entnervt und sie eines ihrer stärksten Mittel beraubt.
Rückraumspieler Köster ist, natürlich neben dem ebenfalls erst 23 Jahre alten Juri Knorr, so etwas wie der Lieblingsschüler von Alfred Gislason, der ihn schon bei der EM 2022 als Zweitligaspieler in den EM-Kader berief. Kaum jemand bekommt so viel Spielzeit. Kaum jemand ist so wichtig für den deutschen Erfolg. Zusätzlich verbindet die beiden eben auch noch eine besondere Geschichte: Gemeinsam mit seinem Co-Trainer Erik Wudtke habe Gislason geholfen, dass Köster, der vor einigen Jahren bei Bayer Dormagen viel auf der Bank saß, seinen Weg nach Gummersbach fand, erzählt der Bundestrainer. Wudtke und Gislason hatten Köster offenbar also schon sehr früh auf dem Zettel.
Außergewöhnliche Kombination verschiedener Fähigkeiten
Dass der Youngster mit seinen zwei Metern so beweglich und dynamisch ist, aus der Distanz und dem Zweikampf treffen und im Abwehrzentrum auch gegen schnellere, kleine Spieler decken kann, macht ihn zu einem "Einhorn". So nennt man vor allem in US-Sportarten Spieler, deren Kombination aus Fähigkeiten so selten ist, dass es sie eigentlich gar nicht geben kann. Wie ein Einhorn eben. Aber natürlich war der Gummersbacher nicht der einzige Nationalspieler, der gegen die Ungarn eine hervorragende Rolle spielte.
Heymann, Dahmke, Kohlbacher - alle ebenfalls stark
Neben Sebastian Heymann, der Köster in dessen kurzer Verschnaufpause vorne und hinten herausragend vertrat und mit seiner Wucht und Wurfgewalt den deutschen Angriffszug im Rollen hielt, oder Jannik Kohlbacher, der im Angriff von den Ungarn am Kreis quasi nie zu halten war, war auch Rune Dahmke ein ganz wichtiger Baustein.
Dahmkes erster (sehr) freier Wurf landete noch nicht im Tor. Auch Johannes Golla hatte schon eine gute Gelegenheit liegenlassen, Kai Häfner traf dann sogar noch frei den Pfosten. Es drohte, wieder so ein Fehlwurf-Festival wie gegen Österreich zu werden. Aber Linksaußen Dahmke sprang blitzschnell in den Abpraller von Häfners Wurf und nagelte den Ball zum 4:5-Anschlusstreffer ins lange Eck. Der Jubel danach: einigermaßen emotional.
Dahmkes Highlights lassen die Fans jubeln
Dass Dahmkes persönlicher Knoten noch nicht völlig geplatzt war, sah man vor dem 7:7, als er trotz tollem Wurfwinkel erst einmal kurz zögerte, bevor er zum Wurf ansetzte – und traf. Diesmal fiel der Jubel noch ein bisschen emotionaler aus – das etwas floskelige "Frust von der Seele schießen", so in etwa muss es aussehen, wenn es so etwas denn gibt.
Mit seinen 30 Jahren und dem EM-Titel 2016 gehört Dahmke zu den wenigen international sehr erfahrenen Spielern im Kader – und all diese Erfahrung nutzte er auch in der Defensive, in der er immer wieder einrückte, um seinen Kollegen gegen Ungarns physische Kreisläufer zu helfen. Ihm gelang zudem ein hervorragender Steal und sein "Rebound" in der zweiten Hälfte, als er einen von Andreas Wolff gehaltenen Ball gegen seinen etwa 15 Zentimeter größeren Gegenspieler spektakulär aus der Luft fischte, war eine der Szenen des Spiels.
Mit Aktionen wie dieser oder Kösters wuchtigen Toren brachte das DHB-Team am Montagabend die Kölner Arena komplett zum Brennen – ebenfalls ein ganz wichtiger Faktor. Gegen Österreich hatte die Arena, immerhin als DER deutsche Handballtempel auch ein echtes Pfund, mit dem der DHB punkten will, noch etwas Luft nach oben gehabt. Gegen die Ungarn war sie früh voll da.
Mittwoch entweder "Viertelfinale" oder Vorbereitung auf Dänemark
Das muss sie auch in den kommenden Tagen sein. Am Mittwoch gegen die Kroaten (ab 20.15 Uhr im Livestream und im Ersten oder hier in der Radio-Reportage), die selbst das Halbfinale nicht mehr erreichen können, aber laut Bundestrainer Gislason sowieso "immer Vollgas geben" und, so es denn weitergeht, auch danach gerade in einem Halbfinale gegen den großen Titelfavoriten Dänemark.
Eventuell steht der deutsche Halbfinaleinzug übrigens sogar am Mittwoch schon vor dem eigenen Spiel fest. Wenn Frankreich gegen Ungarn und Island gegen Österreich gewinnen sollte, wären die Deutschen definitiv durch. Sollten Ungarn und/oder Österreich aber am Mittwoch gewinnen, brauchen die Deutschen gegen Kroatien einen Sieg oder eventuell, je nach genauem Ergebnis der anderen Spiele, ein Unentschieden für den Einzug in die Top vier.
Was es aber auf jeden Fall braucht: einen Julian Köster in Topform, denn Gefahr aus dem Rückraum war im bisherigen Turnier eine der größeren Probleme im Spiel der Deutschen - wie flüssig es laufen kann, wenn das mal anders ist, hat das Ungarn-Spiel eindrucksvoll gezeigt.