Handball-EM 2024 Deutschlands erstes "Finale" - Weltrekord mit Risiko
Vor Deutschlands Auftakt bei der Heim-EM wird vor allem über den Fan-Weltrekord gesprochen - doch die Partie gegen die Schweiz ist auch sportlich direkt ein Schlüsselspiel für den DHB.
Klar, einen Fan-Weltrekord stellt man, das liegt in der Natur der Sache, nicht jeden Tag auf. Und dass man beim DHB und den Organisatoren der Handball-EM 2024 gerade ganz besonders stolz auf diesen logistischen Kraftakt schaut, bei dem am Mittwochabend (10.01.2024, ab 20.45 Uhr live in der Radioreportage) 50.000 Fans in einem Fußballstadion ein Handballspiel schauen werden, ist verständlich.
Wie schwer wiegt der Heimvorteil wirklich?
Dass dieses Spiel zwischen Deutschlands Handballern und der Schweiz aber bereits ein kleines erstes Endspiel für die deutsche Mannschaft ist, geht bei all der Freude über die bevorstehende Rekordmarke beinahe unter. Denn: Im zweiten Gruppenspiel gegen Nordmazedonien ist der DHB gerade im eigenen Land klarer Favorit, gegen Frankreich im letzten Gruppenspiel ist die Mannschaft von Alfred Gislason aber doch relativ klarer Außenseiter und muss in Berlin vor dann knapp 15.000 Zuschauern definitiv auf den Heimvorteil hoffen, um da eine mittelgroße Überraschung zu schaffen.
Eben dieser Heimvorteil sollte dem DHB im Normalfall auch gegen die Schweiz genügend Schub geben, um im ersten Spiel nicht zu stolpern. Die Schweizer sind beileibe keine Laufkundschaft und haben einen konkurrenzfähigen Kader, aber die Favoritenrolle und insgesamt höhere individuelle Klasse liegt doch bei den Deutschen. Und dann hat man eben noch den Großteil der 50.000 Fans im Rücken. Ein enormer Vorteil - möchte man zumindest meinen.
"Druck" der Fans anders als in engen Hallen
Doch dass es neben dem natürlich nicht immer so hohen Fan-Interesse diverse Gründe gibt, warum Handballspiele nicht regelmäßig in großen Fußballstadien ausgetragen werden, ist auch dem DHB absolut bewusst. "Für die EM-Eröffnung ist es total richtig und wichtig. Aber es ist keine dauerhafte Lösung", sagte zum Beispiel der frühere DHB-Vizepräsident Bob Hanning dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" und ergänzte: "Der Druck aufs Handballfeld wird nie so groß sein wie in der Köln-Arena."
Und letzteres ist womöglich ein wichtiger Punkt. Eine Halle wie in Köln oder Berlin, bei der sich der "Druck" von den Fans aufgrund der Nähe und "Enge" direkt auf das Feld überträgt, ist eine Art von Atmosphäre, die in Hallensportarten für einen enormen Heimvorteil sorgen kann.
Schon rein nach den naturgegebenen Gesetzen der Akustik kann es in Fußballstadien nicht die gleiche Übertragung von Geräuschen geben wie in einer deutlich engeren Halle, dazu kommen die für die Spieler ja auch ungewohnte Weitläufigkeit beim Blick durch das Stadion und viele weitere Faktoren im Spiel und rundherum, die einfach anders sind als die gewohnten Abläufe.
Kein Spiel für Gewohnheitstiere
"Als Gewohnheitstier, was wir im Mannschaftssport meistens sind, muss man sich ein bisschen von seinen Gepflogenheiten verabschieden", beschreibt der Schweizer Topspieler Andy Schmid am Sportschau-Mikrofon die Voraussetzungen rund um dieses Auftaktspiel.
Mit diesem Umzug in ungewohnte Gefilde kommt also ein Faktor ins Spiel, dessen Auswirkungen im Vorhinein kaum vorherzusagen sind - auch wenn die Mannschaften sich bei den zwei Trainings vorher ein bisschen akklimatisieren können.
Schmid hat den Erfahrungsvorteil
Schmid ist einer der erfahrensten Spieler des Turniers und hat mit seinen 40 Jahren so ziemlich alles erlebt was es als Spieler im Handball zu erleben gibt. Der Spielmacher war selbst 2014 beim Weltrekordspiel der Rhein-Neckar Löwen in Frankfurt vor 44.000 Zuschauern dabei, hat also quasi so viel Erfahrung wie man als Handballer in diesem Feld nur haben kann.
"Es ist gewöhnungsbedürftig und weitläufiger", beschreibt Schmid die ersten Trainingseindrücke aus der Halle in Düsseldorf nun. Dass gerade er sich davon aus dem Konzept bringen lassen wird, scheint aber unwahrscheinlich.
Bei der deutschen Mannschaft, bei der die meisten Schlüsselspieler wie Juri Knorr oder Julian Köster eher jung oder zumindest international noch nicht ganz so erfahren sind, ist es zumindest leichter, sich eine Welt vorzustellen, in der sich die Umstände und der zusätzliche Druck einer Heim-EM dann doch zumindest ein bisschen auf die Performance auf der Platte auswirken.
Klein prophezeit ein enges Spiel
Und so prophezeit Bundestrainer Alfred Gislason einen schweren Auftakt: "Sie sind ein sehr guter Gegner, bei der Auslosung der schwerstmögliche Gegner."
Auch ARD-Experte Dominik Klein erwartet einen harten ersten Gang für die deutsche Auswahl: "Die Schweizer kommen mit einer unangenehmen 5-1-Deckung um die Ecke und die Kreise von Andy Schmid muss die deutsche Mannschaft auf jeden Fall einschränken. Ich glaube, das wird ein enges Spiel." In jedem Fall ist es eines, das die deutsche Mannschaft gewinnen muss - und das nicht nur, um die Euphorie im eigenen Land steigen, sondern auch, um sie nicht von vornherein komplett ersterben zu lassen.