Ganz rechts: Toni Kroos
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Mit Raute zum Double-Sieg Diese Werder-Taktik verzückte selbst Toni Kroos

Stand: 27.09.2023 10:59 Uhr

Die Raute im Mittelfeld steht für Werder Bremens Double-Sieg 2003/04. Was steckt hinter dieser Taktik? Welchen Anteil hat sie am Triumph? Und wie hätte Micoud-Fan Toni Kroos in der Meistermannschaft funktioniert?

Von Tobias Escher

Toni Kroos hat seine Karriere bei Bayern München und Real Madrid verbracht. Als Kind war der gebürtige Greifswalder jedoch Fan von Werder Bremen. Könnte er in einer historischen Mannschaft seiner Wahl auflaufen, würde er sich für Werders Double-Sieger aus dem Jahr 2004 entscheiden. "In der Mannschaft hätte ich mich gesehen. Da hätte ich großen Spaß gehabt: Offensive, Spektakel!" In der Tat: Die Taktik von Werder-Coach Thomas Schaaf hätte perfekt zu Kroos´ Stärken gepasst.

Die düstere Zeit des deutschen Fußballs

Rückblick: Im Jahr 2000 schied Deutschland bei der Europameisterschaft in der Gruppenphase aus. Während andere Nationen mit einer Viererkette im Raum verteidigten, setzte Deutschland auf Libero und Manndeckung. Es galt das Motto aus den Tagen Sepp Herbergers: "Der Verteidiger verfolgt seinen Gegenspieler, selbst wenn dieser aufs Klo geht!" Das war nicht mehr zeitgemäß, wie das peinliche EM-Aus unterstrich.

In den folgenden Jahren veränderte sich der Fußball in Deutschland. Die Klubs der Bundesliga implementierten Spielsysteme, die man bislang nur aus dem Ausland kannte. Thomas Schaaf gehörte zu den Vorreitern. 1999 übernahm er das Traineramt bei Werder Bremen. Schon einige Zeit später stellte er seine Mannschaft auf Viererkette und Raumdeckung um.

Vor- und Nachteile der Raute

Das Mittelfeld stellte Schaaf versetzt auf: Ein Sechser sicherte vor der Viererkette ab, ein Zehner agierte hinter zwei Spitzen. Zwischen Sechser und Zehner ackerten die Achter. Sie sollten sowohl defensiv wie auch offensiv aushelfen. Ordnet man diese vier Spieler auf einer Taktiktafel an, ergibt sich die Form einer Raute.

Die Entstehung der Werder-Raute
"Sechser" Frank Baumann, die "Achter" Fabian Ernst sowie Krisztián Lisztes und als "Zehner" Johan Micoud. Wie die Mannschaft zusammen mit Trainer Thomas Schaaf die Meistertaktik am Flipchart entwarf, hört ihr in der neuen Folge vom Sportschau-Podcast "Das Werder-Märchen 2004. Die Double-Saison reloaded."

Die Rauten-Formation bietet diverse Vorteile. Mit vier Mittelfeldspielern hat die Mannschaft im Zentrum eine Überzahl, wenn der Gegner nur mit zwei oder drei zentralen Akteuren aufläuft. Zudem lassen sich viele Dreiecke im Zentrum bilden, über die sich der Ball schnell nach vorne spielen lässt.

Der Nachteil der Formation findet sich auf den Außen: Die Außenverteidiger müssen die Flügel allein beackern. Sie müssen sowohl defensiv absichern als auch offensiv Akzente setzen.

Die Raute wird zum Standard

Als Werder in der Saison 2003/04 zum Angriff blies, gehörte die Viererkette in der Bundesliga bereits zum Inventar. Zahlreiche Bundesligisten hatten auf ein 4-4-2 umgestellt. Die Bayern spielten unter Trainer Ottmar Hitzfeld ein flaches 4-4-2. Das bedeutet: Die Mittelfeldspieler ordneten sich nebeneinander an. Andere Teams wie Felix Magaths Stuttgarter spielten wie Werder in einem 4-4-2 mit einer Mittelfeldraute. Werder traf auf zahlreiche Gegner, die sich auf dem Feld genauso aufstellten wie sie.

Wieso dominierte dann ausgerechnet Werder die Liga? Bei keiner anderen Mannschaft ergänzten sich individuelle Klasse und taktische Formation derart gut. Das fing auf den Außenverteidiger-Positionen an. Für viele Verteidiger war es Neuland, sich als Außenverteidiger einer Viererkette offensiv einzuschalten. Paul Stalteri, Christian Schulz und Ümit Davala fanden auf dieser Position die richtige Balance.

Taktikformation der Werder-Mannschaft 2003/04 mit der Raute im Mittelfeld

Werders Meistertaktik: Frank Baumann, Krisztián Lisztes, Fabian Ernst und Johan Micoud bildeten die Mittelfeldraute, Paul Stalteri und Christian Schulz beackerten die Außenbahnen.

Die Außenspieler bekamen dabei immer wieder Unterstützung durch die Achter. Egal, ob dort Fabian Ernst, Krisztian Lisztes oder Tim Borowski auflief: Sie überzeugten allesamt mit hoher Lauffreude. Sie unterstützten die Außenverteidiger und ihre Mittelfeldkollegen.

Schneller als der Rest

Das Mittelfeld war das Bremer Herzstück. Zehner Johan Micoud befand sich in der Meistersaison auf seinem Höhepunkt: Mit präzisen Pässen filetierte er gegnerische Abwehrreihen. "Man hat natürlich versucht, Jo Micoud in Manndeckung zu nehmen", erinnert sich Trainer Schaaf im Sportschau-Podcast. "Aber das hat nicht gereicht, weil das System so eingespielt und Jo so clever war, dass er sich seiner Position entzog und freie Räume entstanden."

Das war großartig, das war so geschickt und so harmonisch, dass sie jedem Gegner das Leben schwergemacht haben.
Werder-Trainer Thomas Schaaf im Podcast "Das Werder-Märchen 2004"

Entsprechend war weniger die Bremer Raute an sich das Erfolgsgeheimnis. Es war die Art, wie sie die Formation interpretierten. Am deutlichsten wird dies bei einem Blick auf den Angriff.

Werder war in der Spielzeit keineswegs eine Ballbesitzmannschaft. Ihre große Stärke war ihr hohes Tempo. Ailton bekam nicht ohne Grund den Spitznamen „Kugelblitz“ verpasst. Er lauerte an der Kante zum Abseits auf Zuspiele in die Tiefe. Nach Ballgewinnen spielte Werder zwei, drei kurze Pässe im Zentrum, um daraufhin sofort den Pass in die Tiefe zu suchen. Werder setzte dabei vornehmlich auf flache Pässe; diese konnten Ailton und sein Sturmpartner Ivan Klasnic verwerten.

Das perfekte Team für Toni Kroos

Das schnelle Vertikalspiel verschaffte Werder einen Vorteil gegen fast jeden Gegner. Wenn die gegnerische Mannschaft mit Libero verteidigte, konnte Werder über das Übergewicht im Mittelfeld den Gegner auseinanderspielen. Trafen sie auf einen Gegner, der ebenfalls in einer Rautenformation spielte, gewannen sie die Spiele über ihre individuelle Überlegenheit. Sie konnten den Ball schlicht genauer und schneller passen als jeder andere Bundesligist.

Schnelles, flüssiges Passspiel? Das klingt genau nach jener Art von Fußball, die auch Toni Kroos liebt. Entsprechend betont er, dass es nur eine Werder-Elf gibt, in der er gern gespielt hätte: in jener des Jahres 2004, an der Seite von Micoud und Baumann und Ailton.

Tobias Escher ist Sportjournalist, Autor und Taktik-Experte. Er ist Mitgründer des Taktik-Blogs "spielverlagerung.de".