Eröffnungsspiel in Rom statt in Brüssel Bürokratie und Machtkämpfe - wie Brüssel die EURO 2020 verlor
Eigentlich sollte das Eröffnungsspiel der EURO 2020 in Brüssel stattfinden, in Europas politischem Zentrum. Doch das Stadion wurde nie gebaut, bis heute steht auf dem geplanten Gelände ein Parkplatz. Die Geschichte des Scheiterns ist ein Lehrstück über Bürokratie und Machtkämpfe.
Als die EURO 2020 geplant wurde, durfte eine Stadt nicht fehlen: Brüssel. Sogar das Eröffnungsspiel war am Hauptsitz der Europäischen Union geplant, als große Symbolik für ein Turnier über den ganzen Kontinent verteilt zum Anlass von 60 Jahren Europameisterschaft. Was fehlte, war ein modernes Stadion. Und daran scheiterte Brüssel.
Das geplante Stadiongelände ist bis heute ein Parkplatz
Das Eurostadion, so sollte es heißen, wäre das neue nationale Fußballstadion Belgiens gewesen. 62.613 Plätze sollte die Sportstätte haben und rund 300 Millionen Euro kosten. Das alte König-Baudouin-Stadion, auch als Heysel-Stadion bekannt, hatte ausgedient. Als tragische Erinnerung bleibt mit dem Ort die Massenpanik mit 39 Toten bei den Ausschreitungen im Europapokalfinale 1985 zwischen Liverpool und Juventus verbunden. Sportliche Höhepunkte waren Deutschlands EM-Sieg 1972 und die Eröffnung der EM 2000, als Belgien 2:1 gegen Schweden gewann.
Doch das Stadion genügte zur EURO 2020 modernen Anforderungen nicht mehr, den Ansprüchen der UEFA schon gar nicht. Das neue Eurostadion sollte ein neues Zeitalter einläuten. Bis heute ist der geplante Standort ein riesiger Parkplatz, auf dem ein paar Bäume die Parkreihen trennen. Und dieser Parkplatz war das Problem.
Das geplante Gelände gehört Brüssel - liegt aber nicht in Brüssel
2015 stand der Bauplan. Doch es folgte ein Hin und Her um die Baugenehmigung. "Parkplatz C Heysel" heißt das Gelände, auf dem das Stadion entstehen sollte. Es gehört der Stadt Brüssel, was hilfreich war. Es liegt aber nicht im Stadtgebiet Brüssels, sondern in der flämischen Gemeinde Grimbergen, was für den nicht erfolgten Bau am Ende mit entscheidend sein sollte.
Der Streit um eine alte Straße und Umweltgutachten ging vom Stadtrat bis zur flämischen Regierung und mündete in einer Ablehnung der Baugenehmigung durch verschiedene Verwaltungsebenen, auch wegen nicht eingehaltener Umweltnormen. "Die Straße, um die es geht, existiert eigentlich nur auf alten Karten", sagt Niels Vleminckx von der belgischen Zeitung "Het laatste Nieuws" im Gespräch mit der Sportschau. "Sie wurde nur als Argument gegen das Stadion benutzt."
Hier sollte eigentlich ein Stadion stehen - der "Parkplatz C Heysel".
Die UEFA sah sich die Vorgänge an und nahm schließlich Abstand. "Wir haben mit Brüssel lange diskutiert, aber nicht alle geforderten Dokumente erhalten. Bis heute wissen wir nicht, ob sie ein Stadion bauen können oder nicht", sagte UEFA-Präsident Aleksander Ceferin im Dezember 2017, als er gerade rund ein Jahr im Amt war: "Experten haben uns gesagt, dass das Risiko zu groß sei, wenn wir weiter warten würden."
Im Rückblick war das der richtige Entschluss. Das letzte Berufungsverfahren gegen die Verweigerung der Baugenehmigung endete im Oktober 2020 - erfolglos. Charles Michel, heutiger Ratspräsident der EU und damals belgischer Ministerpräsident tobte 2017: "Das ganze Projekt ist von Beginn an durch Amateure verhindert worden!"
Zwei Rivalen der Baubranche im Mittelpunkt
Doch es waren auch Profis am Werk. Zwei Männer gelten als Gegenspieler: Paul Gheysens, Präsident von Royal Antwerpen, hatte mit seiner Baufirma den Zuschlag für den Bau erhalten. Der auf 45 Millionen taxierte Parkplatz wurde seinem Unternehmen für einen Euro verpachtet. Bart Verhaeghe, Präsident des FC Brügge und ehemaliger Vizepräsident des belgischen Verbandes, ist in der Branche der Projektentwicklung sein Rivale.
In der Öffentlichkeit präsentierte sich Verhaeghe stets als Gegner des Eurostadions. "Durch seinen Einfluss im belgischen Verband zeigte sich auch der Verband immer zurückhaltender - obwohl der eigentlich das Stadion haben wollte", sagt der Journalist Vlemickx.
Projektentwickler Paul Gheysens bei der Vorstellung des Stadionmodells am 25. Mai 2016
Als Verhaeghe seinerseits ein neues Stadion für den FC Brügge bauen wollte, soll andersherum Gheysens durch den Besitz entscheidender Grundstücke den Bau mit verhindert haben. Das Ergebnis der gegenseitigen Blockaden: Beide Stadien wurden nie errichtet, weder das für den FC Brügge noch das für die EURO 2020. "Es ist fast unmöglich, in Belgien neue Stadien zu bauen", sagt Vleminckx. Seit der EURO 2000, die in den Niederlanden und Belgien stattfand, sei nur in Gent ein Stadion neu errichtet worden.
Manch Gastgeber weit weg von europäischen Werten
Vom gesamteuropäischen Gedanken ist nach Brüssels Ausscheiden nicht viel geblieben. Zahlreiche Spiele finden in Orten statt, in denen Menschenrechte verletzt und die Pressefreiheit eingeschränkt werden: In Aserbaidschans Hauptstadt Baku oder in Sankt Petersburg in Russland ist man weit weg von den Werten der Europäischen Union.
Die Spiele, die in Brüssel stattfinden sollten, werden nun in Wembley ausgetragen. London ist so das Zentrum des Turniers geworden. In Großbritannien beschloss man in den ersten Wochen der EURO 2016 per Referendum den Austritt aus der Europäischen Union - es ist eine andere Symbolik als Brüssel. Dort wird nun übrigens anders geplant, das König-Baudouin-Stadion soll laut einer Ankündigung des belgischen Verbands ein weiteres Mal modernisiert werden.
Gemeinsame Bewerbung mit Deutschland für Frauen-WM 2027 könnte in Gefahr geraten
Aber auch das wird schwer, sagt der Journalist Vleminckx. "Das Stadion muss wegen bestehender Regelungen eine Leichtathletikbahn haben und darf keine kommerziellen Teile wie Einkaufszentren oder Wohnungen haben." Für Investoren sei ein Einstieg damit uninteressant, der Umbau müsste über Steuergeld erfolgen, sagt Vleminckx.
Passiert das nicht, ist für Belgien gleich das nächste Turnier in Gefahr. Gemeinsam mit Deutschland und den Niederlanden bewirbt sich Belgien für die Frauen-WM 2027. Dafür braucht man drei Stadien, von denen jeweils eines in Flandern, in der Wallonie und in Brüssel stehen soll.