Belgien weiter, Ukraine raus Vier gewinnt nicht immer
Belgien zittert sich ins EM-Achtelfinale, die Ukraine scheidet maximal bitter aus. Rund um das letzte Gruppenspiel beschäftigen die Belgier aber vor allem zwei Themen: die Bedingungen bei der Anreise vor und die Reaktionen der Fans nach dem Match.
Gegen 18.25 Uhr waren im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt viele Fußballfans sehr zufrieden. Obwohl das dort ausgetragene Gruppenspiel zwischen der Ukraine und Belgien zu diesem und auch späteren Zeitpunkten alles andere als ein Highlight-Kick der laufenden Europameisterschaft war, konnten sich die Anhänger beider Seiten mit dem Verlauf des frühen Mittwochabends (26.06.2024) durchaus anfreunden - zumindest für ein paar Minuten.
EM-Gruppe E: Vier Punkte sind nicht vier Punkte
Der Grund: das Zwischenergebnis des Parallelspiels in Gruppe E. In Frankfurt war die Slowakei nach einer knappen halben Stunde gegen Rumänien in Führung gegangen, was gleichzeitig die Ukraine und auch Belgien ins Achtelfinale befördert hätte. Wohlgemerkt: hätte. Nur kurze Zeit später glich Rumänien aus, im rund 200 Kilometer entfernten Stuttgart wurde aus der Zufriedenheit Anspannung - und später auch Enttäuschung.
Denn Fakt ist: Das Endergebnis von 0:0 half allein den Belgiern, aber auch nur deshalb, weil sie sich in der mathematisch grausamen Gemengelage der Gruppe E als Zweite für die K.o.-Runde qualifiziert haben. Nach drei Spieltagen haben alle vier Teams vier Punkte, neben Belgien sind auch Rumänien als Gruppensieger und die Slowakei weiter. Die Ukraine hingegen ist aufgrund der schlechteren Tordifferenz ausgeschieden.
"Wir haben versucht, dieses Spiel zu gewinnen. Aber wir haben gegen eine der besten Mannschaften gespielt, also war es sehr schwierig", sagte Ukraine-Trainer Serhiy Rebrov: "Es ist sehr wichtig für unser Land, dass wir bei diesem Turnier dabei waren. Wir haben unseren Charakter gezeigt - und dass wir ein Teil von Europa sind."
Ukraine gegen Belgien: Enttäuschung hier, Erleichterung da
Den Belgiern stand unterdessen die Erleichterung über den Einzug ins Achtelfinale ins Gesicht geschrieben. "Wir haben uns qualifiziert, das ist das Allerwichtigste", sagte Trainer Domenico Tedesco: "Wir wussten, dass das andere Spiel unentschieden ausgehen kann. Da darf man nicht viel falsch machen."
Aus Sicht der Ukraine ist das Ausscheiden maximal bitter, alleine schon wegen der Tabellenkonstellation. Rebrov hatte die bislang jüngste Startelf aller Turnierteilnehmer aufs Feld geschickt (25,5 Jahre), zudem blieb die Ukraine in ihrem 14. EM-Spiel erstmals ohne Gegentor. Eine Premiere ohne Wert.
Viel entscheidender ist ohnehin die Tatsache, dass das Rebrov-Team vor allem in der Schlussphase trotz guter Chancen keinen eigenen Treffer erzielte. Artem Dowbyk mit einem Schuss ans Außennetz (79.), Ruslan Malinovskiy mit einem rotzfrech aufs Tor gezirkelten Eckball (82.) oder Georgiy Sudakovs Antritt in der Nachspielzeit: Die Ukraine war kurz vor dem Abpfiff die bessere Mannschaft, ein Treffer wäre absolut verdient gewesen.
De Bruyne: "Wir hatten einen schweren Gegner"
"Wir hatten einen schweren Gegner, sie haben hinten teilweise mit fünf Mann gespielt", attestierte Tedesco hinterher. Und auch Belgiens Matchwinner Kevin De Bruyne sagte: "Die Ukraine ist eine sehr gute Mannschaft, sie waren gefährlich. Wenn eine Mannschaft 5-3-2 spielt, dann ist es eben schwierig, einen freien Raum zu finden."
De Bruynes Worte fassen ganz gut zusammen, wie schwer sich die Belgier getan haben. Am Ende einer ohnehin schon nicht überzeugenden Gruppenphase zitterten sie sich nun ins Achtelfinale gegen Frankreich, wo eine Leistung wie gegen die Ukraine mutmaßlich nicht reichen wird. Vor allem in der Offensive gelang dem Tedesco-Team wenig Überzeugendes.
Zu abhängig ist das Spiel nach vorne von De Bruynes Impulsen, obgleich der 32 Jahre alte Superstar von Manchester City von Beginn an sehr präsent war und sich selbst von Laserpointern, die bei Freistößen von der Tribüne aus auf ihn gerichtet wurden, nicht verunsichern ließ.
Trossard raus, Carrasco rein - ein guter Wechsel
Ansonsten aber nahm das Angriffsspiel der Belgier erst durch die Einwechselung von Yannick Carrasco in der 73. Minute Fahrt auf, bis dahin agierte Leandro Trossard lange Zeit glücklos. Tedescos Mannschaft war anzusehen, was ihr Matchplan war: bloß kein Risko eingehen, Hauptsache weiterkommen. "Wir wissen, dass wir eine bessere Leistung hätten erbringen können", gestand De Bruyne hinterher. Und mehr noch: "Unsere Mannschaft war nicht die beste belgische Mannschaft."
Tedesco über Anreise zum Stadion: "Unglaublich"
Die Analyse der Probleme auf dem Platz wird bei den Belgiern also noch ein bisschen Zeit in Anspruch nehmen, die Aufarbeitung der Geschehnisse daneben allerdings auch. Was Tedesco ganz besonders ärgerte, waren die Umstände bei der offenbar beschwerlichen Anreise.
"So etwas habe ich noch nie gesehen", sagte er: "Wir sind ohne Blaulicht von der Polizei hierher eskortiert worden, die Straßen waren vollkommen frei, sie sind mit 20 oder 25 Stundenkilometern gefahren und an jeder Ampel stehengeblieben - vor so einem Spiel, unglaublich." Deshalb seien die Belgier erst eine Stunde vor Spielbeginn in der Stuttgarter Arena eingetroffen.
Zum anderen offenbarten sich nach dem 0:0 gegen die Ukraine Risse zwischen der belgischen Nationalmannschaft und den eigenen Fans. Statt ausgelassener Freude übers Weiterkommen gab es teils lautstarke Pfiffe. "Die Pfiffe müssen wir akzeptieren, aber meine Spieler verstehen sie nicht", sagte Tedesco: "Die Fans können unzufrieden sein. Aber wir brauchen sie."
De Bruyne: "... und man bringt mich um"
Auch De Bruyne wurde auf die Pfiffe angesprochen. "Ich kann verstehen, dass die Leute wollen, dass wir gewinnen", erklärte der Mittelfeldspieler: "Aber wenn ich bei einem Eckball in der letzten Minute den Ball nicht kurz, sondern lang spiele und einen Konter einleite, dann treffe ich eine falsche Entscheidung und man bringt mich um. Manchmal muss man Risiko gehen und manchmal muss man schlau sein." An die Stimmung von 18.25 Uhr, als beide Fanlager noch vollends zufrieden waren, hat da schon lange niemand mehr gedacht.