Einzelkritik DFB-Elf Viel Schatten, wenig Licht
Manuel Neuer griff daneben, Pascal Groß kann Traumtore: Das Testpiel gegen Griechenland hat Deutschland gewonnen - und doch selten überzeugt.
Manuel Neuer: Er rettete früh zweimal aus kürzester Distanz gegen Christos Tzolis, erst mit dem Fuß, dann mit der rechten Hand. Erinnerte an Manuel Neuer in seinen besten Zeiten, vor allem die zweite Parade war sensationell. Später patzte er vor dem Gegentor, als er einen harmlosen Schuss von Giorgos Masouras durch die Hände rutschen ließ. So bekam Neuer den Ball ins Gesicht, von dort prallte er ab zum Torschützen. So war das an diesem Abend.
Joshua Kimmich (bis 69. Minute): Hat schon bessere Länderspiele gemacht - und war damit an diesem Abend nicht alleine. Spielte wieder Rechtsverteidiger, und schaltete sich dort gerne nach vorne ein. Manchmal entstanden nach Ballverlusten seiner Mitspieler Räume hinter ihm, etwa als Masouras in der 18. Minute über Kimmichs Seite konterte, aber eine Zwei-gegen-eins-Situation schlecht ausspielte. Als die Nationalmannschaft in der Schlussviertelstunde ihre stärkste Phase hatte, war Kimmich schon ausgewechselt.
Jonathan Tah: Hatte seine beste Szene, als er nach einem Konter der Griechen mit den Füßen voraus durch die Luft flog und so eben noch klärte. Verhinderte so womöglich einen zweiten Gegentreffer. Überhaupt stand Tah sinnbildlich für den Auftritt der deutschen Nationalmannschaft: Auf eine schwache erste Hälfte folgte eine zweite, die nicht gut war, aber besser. Hatte zuvor einen Pass über fünf Meter nicht zu einem Mitspieler gespielt, sondern ins Aus. Und vor dem Gegentor hatte er einen riskanten Pass gespielt, den Musiala nicht verarbeiten konnte.
Antonio Rüdiger: Sprach viel mit seinen Nebenleuten, gab Tipps - wie Abwehrchefs das eben so machen. Hätte an diesem Abend aber selbst Unterstützung benötigt. Spielte einige Fehlpässe im Aufbau, auch sonst seltsam zaghaft. Einmal ließ er sich von Gegenspieler Pavlidis ausspielen. Eine Drehung, und weg war Pavlidis. Rüdiger blieb nur der Blick hinterher. Das stand so sicher nicht im Handbuch für moderne Innenverteidiger.
Maximilian Mittelstädt (bis 45.): Hat unter dem Bundestrainer Julian Nagelsmann zuletzt eigentlich immer gespielt. Sein viertes Länderspiel war sein schwächstes: War oft in der Defensive gefordert, bekam seine Seite aber nur selten zu. Nach vorne kaum Impulse. Zur Pause war Schluss für ihn.
Robert Andrich (bis 69.): Als andere im rosa Trikot in der ersten Hälfte oft nur hinterherliefen, hielt er zumindest dagegen. Gewann einige Zweikämpfe, die ein "Sechser" gewinnen muss. War in einer lange schwachen Mannschaft einer, der zumindest nicht enttäuschte. Schaltete sich manchmal in die Offensive ein - hatte dabei diesmal aber keinen Erfolg.
Toni Kroos: Ist im System des Bundestrainers Nagelsmann der Chef im Mittelfeld. Er hat nach seiner Rückkehr in die Nationalmannschaft im Frühjahr schon gezeigt, dass er diese Rolle ausfüllen kann. Diesmal zeigte er es nicht. War oft am Ball, seine Standards waren mitunter ziemlich gefährlich - aber Struktur bekam zunächst auch er nicht ins Spiel der DFB-Auswahl.
Jamal Musiala: Hat schon bessere Länderspiele gemacht. Musiala-Momente blieben lange aus. Er hatte in der 22. Minute den ersten Abschluss für Deutschland, und der war wie das Spiel bis dahin: ohne Wucht, ziemlich ungefährlich. Später war er besser im Spiel. Schlängelte sich in der zweiten Hälfte auch mal zwischen drei Griechen hindurch und schoss knapp drüber. Aber steigern sollte auch er sich bis zum ersten Spiel bei der EM-Endrunde.
Florian Wirtz (bis 45.): Spielte einen Fehlpass vor der Doppelchance der Griechen kurz nach Anpfiff. Durfte sich bei Neuer bedanken, der toll hielt. So einen Fehlpass hatte man von ihm noch nicht gesehen. Überhaupt war es nicht sein Länderspiel. Kam kaum einmal ins Dribbling, seine Pässe fanden nicht immer ihr Ziel - auch bei ihm war Luft nach oben.
Florian Wirtz findet gegen Griechenlands Verteidiger Konstantinos Mavropanos kein Durchkommen.
Ilkay Gündogan (bis 69.): Über seine Rolle wird in den Tagen vor dem Turnierbeginn sicher noch einmal diskutiert werden. Spielt unter Nagelsmann als "Zehner" - und hing in dieser vorgeschobenen Rolle gegen Griechenland in der Luft. Bot sich an, redete auf seine Mitspieler ein - doch fußballerisch nahm der Kapitän der Nationalmannschaft selten Einfluss.
Kai Havertz: Zeigte zweimal, dass er Mittelstürmer kann. Erst traf er kurz vor der Pause nach Vorlage von Musiala - doch der Treffer zählte nicht, weil Havertz zuvor im Abseits gestanden hatten. Dann traf Havertz noch einmal, das war in der 56. Minute - und diesmal durfte er wirklich jubeln. Sané legte vor, Havertz traf aus der Drehung. Das blieb hängen von einem Spiel, in dem Havertz zuvor und auch danach oft unglücklich agierte.
Kai Havertz jubelt.
Leroy Sané (ab 46.): Kam für Wirtz. Legte den Ausgleich durch Havertz gekonnt vor. In der 79. Minute lief er bei einem Angriff der Griechen bis weit in die eigenen Strafraum zurück und fing den Ball ab. Den Konter leitete er anschließend auch direkt ein - und war dabei nur durch ein Foul zu stoppen. Hatte zuvor schon den Ausgleich von Havertz mit einem Querpass vorbereitet. Zeigte, dass er nach seiner Verletzung nah dran ist an der Startelf. Er ist ein Unterschiedsspieler, auf ihn wird es bei der EM ankommen.
David Raum (ab 46.): Kam zur zweiten Hälfte für Mittelstädt. Als er eingewechselt wurde, wurde Deutschland besser - das lag nicht an Raum, doch er profitierte davon. Machte kein auffälliges Länderspiel, aber viele Wege. Blieb ohne große Aussetzer.
Nico Schlotterbeck (ab 69.): Ersetzte Rüdiger - und sammelte Pluspunkte. Fand sich einmal in einer Unterzahl zwei Griechen gegenüber. Ihr Konter war zu schnell gewesen für Deutschlands Defensive. Nur Schlotterbeck war dort, wo er hingehörte. Er wartete lange - und lief dann den Passweg zu. So verteidigt man.
Benjamin Henrichs (ab 69.): Ersetzte Kimmich als Rechtsverteidigte und hinterließ einen soliden Eindruck. Gewann Zweikämpfe, die man nicht verlieren sollte, und schaltete sich auch nach vorne ein. Hatte seine beste Szene, als er in der 83. Minute im Anschluss an eine Ecke gut 20 Meter vor dem Tor an den Ball kam und mit einem tollen Linksschuss die Querlatte traf.
Niclas Füllkrug (ab 69.): Ersetzte Andrich und sortierte sich im Angriffszentrum ein. Hatte eine Kopfballchance, aber köpfte in die Arme des Torhüters. Sonst fiel Füllkrug selten auf.
Pascal Groß (ab 69.): Ersetzte in der Schlussphase Gündogan und sorgte für Jubel, als ihm kurz vor Schluss ein Traumtor gelang. Eine zu kurze Abwehr eines Griechen nahm Groß als Dropkick, er traf den Ball satt. Er drehte sich nach außen und schlug oben rechts im Eck ein. Für Groß war es das erste Länderspieltor, für Deutschland der Siegtreffer.