Nach Agnelli-Rücktritt Auf die Familie ist Verlass bei Juventus Turin
Juventus Turin steckt nach dem Rücktritt seines Vorstandes um Andrea Agnelli tief in der Krise. Es wurden Ermittlungen gegen die ehemalige Führungsriege eingeleitet.
Eine Viertelmilliarde Euro Verlust, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und der Rücktritt des kompletten Vorstandes bringen den italienischen Rekordmeister ins Taumeln. Die seit Wochen schwelenden Probleme eskalierten am späten Montagabend (28.11.22), als Klubchef Andrea Agnelli und dessen Stellvertreter Pavel Nedved zurücktraten.
In der Folge stürzte die Juve-Aktie an der Mailänder Börse ab, am Dienstag wurde der Handel mit ihr sogar vorübergehend ausgesetzt. Am Mittwoch erholte sich der Kurs etwas.
Der große Einfluss der Familie Agnelli
Die italienischen Medien schrieben wahlweise von einer "neuen Ära" (Tuttosport) oder einer "Revolution" (Gazzetta dello Sport). Doch allzu frisch dürfte der Wind mit den neuen Verantwortlichen nicht werden, zu eng sind die Verbindungen zur Agnelli-Familie.
Neuer starker Mann bei Juve dürfte Experten zufolge Agnellis Cousin John Elkann werden. Er ist der Chef des europäischen Autoriesen Stellantis, von Ferrari und der familieneigenen Investmentgesellschaft Exor. Über diese besitzt die Agnelli-Familie als Mehrheitsaktionär 63,8 Prozent der Juve-Wertpapiere - und damit die Kontrolle über den Klub.
Neue Namen, alte Verbindungen
Während sich viele Fans Klublegende Alessandro del Piero als neuen Präsidenten wünschten, schlug Exor offiziell den Wirtschaftsprüfer und Unternehmer Gianluca Ferrero vor. Er gilt ebenso als Vertrauter von Elkann wie Maurizio Scanavino, der als Generaldirektor bestimmt wurde. Scanavino ist Geschäftsführer der Verlagsgruppe GEDI, die ebenfalls zum Agnelli-Imperium gehört.
Obwohl Agnelli einen Trümmerhaufen hinterlässt, muss er familieninterne Kritik offenbar nicht befürchten. "Ich bin überzeugt, dass der Klub beweisen wird, stets korrekt gehandelt zu haben", schrieb Elkann.
Ermittlungsverfahren eingeleitet
Im vergangenen Jahr hatten Behörden die Juventus-Geschäftsräume durchsucht, um Unterlagen rund um Spieler-Transfers zwischen 2019 und 2021 sicherzustellen. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die italienische Börsenaufsichtsbehörde, die Turiner Staatsanwaltschaft und die Europäische Fußball-Union (UEFA) Ermittlungsverfahren gegen das zurückgetretene Management eingeleitet hat.
Die Eröffnung des Strafverfahrens wurde für zwölf Personen beantragt, darunter den zurückgetretenen Verwaltungsratspräsidenten Andrea Agnelli, seinen Stellvertreter Pavel Nedved, Geschäftsführer Maurizio Arrivabene und weitere neun Personen sowie gegen den Klub selbst. Der Vorwurf lautet unter anderem auf Bilanzfälschung.
Spaniens Ligaverband fordert sofortige Strafen
Finanziell ist der Verein schwer angeschlagen, im zurückliegenden Geschäftsjahr machte Juve 254 Millionen Euro Verlust. Der italienische Fußball-Verband FIGC leitete am Dienstag eine Untersuchung ein, Gegenstand sind die Spielerverträge.
Der spanische Ligaverband hatte zuvor von der Europäischen Fußball-Union UEFA sofortige Sanktionen gegen Juventus gefordert, da der Klub gegen das Financial Fairplay verstoßen habe. Schon im April hatten die Spanier deshalb Beschwerde bei der UEFA eingelegt.
Super League als Rettungsanker?
Agnelli hatte das finanzielle Minus stets mit der Corona-Pandemie erklärt. Die großen Geldsorgen gelten auch als Grund dafür, dass Juventus bis zuletzt mit Real Madrid und dem FC Barcelona an der Gründung einer europäischen Super League festhielt.
Erst vor wenigen Wochen hatte Agnelli seine Absichten in einem Schreiben an die Aktionäre untermauert. Danach allerdings verschob Juventus die Versammlung der Teilhaber zweimal.
Auch sportlich stehen die Turiner aktuell nicht gut da. Unter Agnelli hatten sie neun Meisterschaften in Folge geholt und zweimal das Finale der Champions League erreicht. Jetzt aber scheiterten sie schon in der Gruppenphase der Königsklasse und liegen in der Serie A zehn Punkte hinter Spitzenreiter SSC Neapel.
Punktabzüge und Zwangsabstieg denkbar
Als mögliche Sanktionen bringen Medien Punktabzüge oder sogar einen Zwangsabstieg ins Spiel. Damit kennt sich Juventus aus. Nach dem Manipulationsskandal musste der Rekordmeister 2006/07 zwangsweise in der Serie B mit neun Minuspunkten starten. Trotzdem gelang der direkte Wiederaufstieg - und schon mischte Juventus wieder ganz oben mit, wurde Dritter der Serie A.