Neuer Titelkandidat in England? Aston Villa - Das erstaunliche Werk des Unai Emery
Unai Emery hat Aston Villa aus der Abstiegszone in die Champions-League-Ränge geführt. Eine Waffe der Mannschaft: die beste Abseitsfalle Europas. Nun steht das Duell mit Spitzenreiter Arsenal an.
Unai Emery hat sich seine Höflichkeit erhalten, obwohl sie ihm viel Spott gebracht hat in der Vergangenheit. Von seiner Amtszeit als Arséne Wengers Nachfolger beim FC Arsenal von 2018 bis Ende 2019 ist dem englischen Publikum vor allem sein Englisch in Erinnerung geblieben, das wegen seiner Herkunft – Emery stammt aus dem Baskenland – mit einem starken Akzent versehen ist. Die Öffentlichkeit machte sich lustig darüber, dass er seine Pressekonferenzen und Interviews konsequent mit einem “good evening” eröffnete, was bei ihm so klingt: "gutt ibbening".
Vier Jahre nach seinem Aus bei Arsenal beginnt Emery (52) seine Analysen immer noch damit, dass er dem Gegenüber einen guten Abend wünscht, allerdings lacht niemand mehr über ihn. Der Trainer ist im zweiten Anlauf dabei, die englische Öffentlichkeit von sich zu überzeugen als Architekt der erstaunlichsten Geschichte der Premier League in diesem Jahr. Als er Aston Villa übernahm im Oktober 2022 als Nachfolger von Steven Gerrard, kämpfte der Verein gegen den Abstieg. In dieser Saison spielt der Klub um die Champions-League-Plätze und wird nach dem 1:0 unter der Woche gegen Triple-Sieger Manchester City sogar als Titelkandidat genannt, unter anderem von City-Trainer Pep Guardiola.
22 Torschüsse beim Sieg gegen City
Es kommt selten genug vor, dass Manchester City ein Spiel verliert, aber so, auf diese Weise, hat der Verein unter Guardiola noch nie verloren. Aston Villa spielte den Abo-Meister an die Wand, schoss 22 Mal aufs Tor und hätte deutlich mehr Treffer erzielen können als nur das Siegtor des ehemaligen Leverkuseners Leon Bailey in der 74. Minute. In der Zeit der Corona-Geisterspiele war Aston Villa ein 7:2 gegen den damaligen Meister FC Liverpool gelungen, doch der Erfolg gegen Manchester City bedeutet mehr, weil er vor Publikum stattfand im rauschenden Villa Park – und weil er, anders als seinerzeit die Liverpool-Demontage, keine Anomalie war, sondern stellvertretend steht für den Aufschwung des Klubs.
Leon Bailey (unten) jubelt mit seinen Teamkollegen über den Siegtreffer gegen City
Villa, wie der Verein in England nur genannt wird, ist Tabellendritter und vor allem zu Hause eine Macht. 14 Spiele nacheinander hat der Klub vor heimischem Publikum gewonnen und damit den eigenen Rekord aus den Jahren 1903 und 1931 eingestellt. Sollte am Samstag Heimsieg Nummer 15 gelingen, wäre es ein besonderer Triumph, in mehrfacher Hinsicht: Aston Villa empfängt Arsenal, den Tabellenführer und jenen Verein, bei dem Emery einst gescheitert und für sein English verspottet worden war. Ein Sieg gegen den Spitzenreiter wäre eine Genugtuung für Emery, auch wenn er das nie zugeben würde – und seine Mannschaft müsste wohl endgültig als Anwärter auf die Meisterschaft gelten.
600 Millionen Euro für Transfers investiert
Der Aufschwung, so erstaunlich er ist, ist kein Zufall. Aston Villa, beheimatet in Birmingham, der zweitgrößten Stadt Englands, ist ein Verein mit großer Tradition, gewann sieben Mal die Meisterschaft, zuletzt 1981, und 1982 sogar den Europapokal der Landesmeister durch einen Sieg im Finale gegen den FC Bayern. Mit Einführung der Premier League wurde Aston Villa abgehängt - mehrere Besitzerwechsel, finanzielle Schwierigkeiten, sportliches Mittelmaß, zwischenzeitlich sogar der Abstieg. Seit der Rückkehr in die Premier League vor vier Jahren hat Aston Villa fast 600 Millionen Euro in Transfers investiert, um den alten Glanz zurückzubringen und ein sportliches Niveau zu erreichen, das der Statur des Vereins entspricht.
Die Verpflichtung von Steven Gerrard als Nachfolger von Aufstiegstrainer Dean Smith war ein Manöver, das zu den Ambitionen des Vereins passte, weil Gerrard einer der größten Namen des englischen Fußballs in diesem Jahrtausend ist. Doch wie Frank Lampard beim FC Chelsea musste auch Gerrard feststellen, dass eine illustre Karriere als Spieler keine Erfolge als Trainer garantiert. Er wurde nach weniger als einem Jahr wieder entlassen. Mit etwas Verzögerung fand Aston Villa den richtigen Mann, um die hohen Ansprüche des Vereins zu verwirklichen – nämlich Unai Emery.
Berüchtigte Video-Analysen
Dreimal hat er mit dem FC Sevilla die Europa League gewonnen, einmal mit Villarreal. Den Klub führte er außerdem ins Halbfinale der Champions League. Dazu behauptete sich Emery achtbar bei Paris Saint-Germain. Weil der Blick in England auf ihn allerdings geprägt war durch sein unglückliches Engagement bei Arsenal, ist das englische Publikum verblüfft darüber, dass seine Methoden bei Aston Villa funktionieren. Emery ist extrem detailversessen, seine stundenlangen Video-Analysen sind berüchtigt. Dafür berichten viele Spieler, dass jede Trainingseinheit einen Erkenntnisgewinn bringen würde. Sinnbildlich für das gute Coaching steht eine spezielle Waffe Aston Villas, nämlich die beste Abseitsfalle Europas. Das Portal "The Athletic" berechnete neulich, dass die Mannschaft den Gegner pro Spiel 4,8 Mal ins Abseits laufen lasse – öfter als jeder andere Verein in den großen europäischen Ligen.
Emery profitiert davon, dass er bei Aston Villa mit langjährigen Verbündeten zusammenarbeitet, nämlich mit den Sportchefs Damian Vidagany und Ramón Rodríguez Verdejo, genannt Monchi. Sie halten dem Trainer den Rücken frei, sodass sich dieser auf seine Kernkompetenz konzentrieren kann, die Arbeit mit der Mannschaft. Fragen danach, ob Aston Villa um die Meisterschaft mitspiele, moderiert Emery ab. "Wir haben noch viel zu tun", sagte er nach dem Sieg unter der Woche gegen Manchester City. Er plant den nächsten Coup, am Samstag gegen Arsenal.