
33 Jahre nach "Fever Pitch" Nick Hornby - "Wo im Leben findet man etwas Vergleichbares?!"
We call it a Klassiker: 1992 erschien der Weltbestseller "Fever Pitch" vom englischen Autor Nick Hornby. Das Buch gilt bis heute als bestes Fußballbuch ever. Und die Zeit, über die Hornby schrieb, als beste Fußballzeit ever. 33 Jahre danach erzählt Hornby im Interview mit der Sportschau von Romantik, Red Bull und Declan Rice.
Sportschau: Mr. Hornby, Sie haben auf Länge eines ganzen Buchs beschrieben, was es bedeutet, Fan eines Fußballvereins zu sein. Können Sie das auch in ein paar Sätzen tun?
Nick Hornby: Man übergibt sich einer höheren Macht, die deine Laune und deine Gefühle kontrolliert. Ich glaube, Menschen, die keine Fußballfans sind, sind vermutlich glücklicher als Menschen, die Fans einer Mannschaft sind. Die Zahlen sprechen gegen dich. Meistens gewinnt die eigene Mannschaft nicht (lacht).
Sportschau: Wenn Fußballfans so oft leiden, warum tut man sich das dann Woche für Woche an?
Hornby: Wenn dann mal eine gute Sache passiert, dann ist das eine schöne Belohnung für alles, was man durchgemacht hat. Erfolgsmomente sind oft so überraschend und überwältigend, das findet man nirgendwo anders im Leben. Ich war vor zwei Wochen im Stadion beim 3:0 von Arsenal gegen Real Madrid, als Declan Rice innerhalb von zehn Minuten zwei Freistoßtore aus identischer Situation schoss. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Arsenal hat seit vier Jahren kein direktes Freistoßtor mehr geschossen, seit vier Jahren! Declan Rice hat überhaupt noch nie eins geschossen. Dann entscheidet er, einen zu schießen, haut den in den Winkel und denkt sich zehn Minuten später "ich versuche noch einen", und der ist sogar noch besser. Bei so einem Moment im Stadion zu sein und zu sehen wie viel es den Leuten bedeutet - wo im Leben findet man etwas Vergleichbares?

Arsenals Declan Rice bejubelt seinen Treffer gegen Real Madrid
Sportschau: Ähnlich muss es Ihnen 1989 gegangen sein. Eine ganz entscheidende Stelle in "Fever Pitch". Arsenal braucht am letzten Spieltag gegen den direkten Konkurrenten Liverpool einen 2:0-Sieg, um englischer Meister zu werden. 90 Minuten sind um, Arsenal führt 1:0, das würde nicht reichen, da schießt Michael Thomas praktisch unmittelbar vor dem Schlusspfiff doch noch das 2:0. Haben Sie jemals wieder so einen Gefühlsausbruch gehabt?
Hornby: Nein, das habe ich nicht. Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Ich glaube, nur Sportfans können dieses Gefühl nachvollziehen. Wenn man bereits aufgegeben hat, die Niederlage akzeptiert, und dann passiert so etwas völlig Überraschendes und Unvorhersehbares. So etwas kann man nicht wiederholen. Es ist fast schon zu romantisch und zu perfekt. Als ich das Buch geschrieben habe, dachte ich, dass es dieses Gefühl vielleicht bei der Geburt eines Kindes wieder gibt. Es war unglaublich, bei der Geburt meiner Söhne dabei zu sein. Aber darauf konnten wir uns neun Monate vorbereiten, und wir wussten, dass es in den letzten zwei Sekunden keine große Wendung mehr geben würde (lacht). Bei diesem Spiel habe ich aber zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass es noch so ausgehen würde.

Das Team des FC Arsenal bejubelt den Gewinn der Meisterschaft 1989
Sportschau: Glauben Sie, dass Sie Ihr Buch genauso geschrieben hätten, wenn es nicht 1992 sondern 2022 gewesen wäre? Wenn es nicht nach Highbury und Tradition sondern nach Emirates und Moderne gerochen hätte?
Hornby: Ja, warum denn nicht?! Ich sehe das bei meinen Söhnen, die Anfang der 2000er zum ersten Mal mit im Stadion waren. Sie fiebern und leiden genauso mit, wie ich es tue. Die Leidenschaft hat sich nicht geändert.
Sportschau: Ihr Buch ist besonders bei Fußballromantikern beliebt. Ein Thema, das in Deutschland sehr polarisierte, war der Wechsel von Jürgen Klopp als "Head of Soccer" zum Red-Bull-Konzern. Können Sie verstehen, dass dieser Wechsel viele Leute schockiert hat?

Das Buchcover von Fever Pitch
Hornby: Es gibt viele Arbeitsplätze im Fußball, die nicht unbedingt romantisch sind, aber bei denen man gut arbeiten kann. Wäre es romantischer gewesen, wenn er beispielsweise zu Real Madrid gewechselt wäre? Das ist ebenfalls ein riesiger Konzern, der jedes Jahr die Champions League gewinnen muss. Für mich ist es nicht romantisch, Trainer von Real Madrid zu sein. Wir verlangen viel zu viel von unseren Helden und wollen ihnen vorschreiben bei welchen Klubs sie arbeiten dürfen. Klopp sollte tun, was er möchte. Ich wäre aber sehr enttäuscht gewesen, wenn er in Saudi Arabien gearbeitet hätte, das auf jeden Fall.
Sportschau: Wenn Sie irgendetwas am Fußball ändern könnten oder sich etwas vom Fußball wünschen könnten. Was wäre das?
Hornby: Dann würde ich den Videobeweis abschaffen. Es ist ein Desaster. Mir ist es egal, wenn der Schiedsrichter mal eine Fehlentscheidung trifft. Wir gehen doch ins Stadion, damit wir diese besonderen Emotionen erleben dürfen, wenn der Ball hinten im Tornetz einschlägt. Dann schauen wir auf die Stadionanzeige, und da steht, dass das Tor geprüft wird. Es ist ein Desaster, wenn uns beigebracht wird, dass wir in den seltenen Momenten, wenn ein Tor fällt, nicht ausgelassen jubeln dürfen.