Ter Stegen nicht zu bezwingen FC Barcelona - vom "Tiki Taka" zur besten Defensive der Welt
Der FC Barcelona knüpft nach langer Zeit wieder an alte Erfolge an und hat sich dafür neu erfunden. Kein anderer Erstligist auf der Welt kassiert pro Spiel so wenige Gegentore.
Unter Pep Guardiola war der FC Barcelona einst die erfolgreichste Klubmannschaft der Welt. Von 2008 bis 2012 war der heute 52-Jährige Trainer der Katalanen, in dieser Zeit wurde der Klub dreimal Meister und zweimal Pokalsieger in Spanien, außerdem je zweimal Champions-League-Sieger, Klub-Weltmeister und europäischer Supercup-Gewinner.
Xavi macht Barca auf seine Art wieder erfolgreich
Eine einzigartige Offensive ermöglichte diese Erfolge. Guardiola formte mit seinem "Tiki Taka" eine Mannschaft, die von kaum einem Gegner zu stoppen war, hatte dazu mit Lionel Messi den wohl weltbesten Spieler, der Partien oft im Alleingang entschied.
Guardiolas verlängerter Arm war damals Kapitän Xavi Hernandez. Der einstige Mittelfeld-Regisseur ist heute Trainer des Klubs und scheint ihn nach einigen problematischen Jahren wieder in Guardiola-Sphären zurückzuführen - wenn auch mit einem ganz anderen Konzept.
Zwar ist Barca auch unter Xavi mit 68,2 Prozent Ballbesitz das mit Abstand dominanteste Team in La Liga, das Prunkstück des Teams ist aber die Defensive. Erst sieben Gegentore hat der spanische Tabellenführer in 22 Spielen kassiert, hat sich so einen Vorsprung von acht Punkten auf Real Madrid erspielt und steht vor dem ersten Meistertitel seit der Saison 2018/19. In diesem Jahr kassierte Barca sogar erst einen Ligatreffer, spielte am Sonntag (19.02.2023) gegen den FC Cadiz (2:0) im siebten Spiel zum sechsten Mal zu Null.
Kein Erstligist kassiert weniger Gegentore
Nur bei der einzigen Saisonniederlage bei Real (1:3) kassierten die Katalanen überhaupt mehr als einen Gegentreffer, 17-mal stand die Null. Zahlen, die auf der ganzen Welt ihresgleichen suchen. Von allen Erstligisten, die in ihren Ligen in der aktuellen Saison mindestens zehn Spiele absolviert haben (in Südamerika, Nordeuropa und Teilen Asiens ist aktuell Pause oder die Saison startete gerade erst), hat Barcelona mit einem Schnitt von 0,32 Gegentoren pro Spiel die beste Defensive der Welt.
FC Barcelona (Spanien) | 0,32 Gegentore/Spiel | 7 Gegentreffer in 22 Partien |
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Mamelodi Sundowns (Südafrika) | 0,33 | 7 in 21 |
Al-Ittihad FC Dschidda (Saudi-Arabien) | 0,35 | 6 in 17 |
Roter Stern Belgrad (Serbien) | 0,36 | 8 in 22 |
The New Saints (Wales) | 0,36 | 8 in 22 |
Bangkok United (Thailand) | 0,40 | 8 in 20 |
Hamrun Spartans (Malta) | 0,40 | 8 in 20 |
Europa FC (Gibraltar) | 0,40 | 4 in 10 |
Aus den europäischen Topligen kann sogar kein Team auch nur annähernd mithalten, die zweitbesten Abwehrreihen von SSC Neapel und Newcastle United (je 0,65 Gegentore pro Spiel) kassierten mehr als doppelt so viele Ligatreffer.
FC Barcelona (Spanien) | 0,32 Gegentore/Spiel | 7 Gegentreffer in 22 Partien |
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SSC Neapel (Italien) | 0,65 | 15 in 23 |
Newcastle United (England) | 0,65 | 15 in 23 |
RC Lens (Frankreich) | 0,79 | 19 in 24 |
FC Bayern München (Deutschland) | 1,0 | 21 in 21 |
"Er hat für jede Situation einen Plan"
Ein großer Faktor dabei ist die Leistung von Marc-André ter Stegen. Der Torhüter, der Ende 2022 zum vierten Kapitän des Teams aufgestiegen ist, spielt die wohl beste Saison seiner Karriere, blieb bislang nahezu fehlerfrei und begeisterte schon mit reihenweise Großtaten. Ter Stegen macht aber vor allem seinen Trainer und die Auswirkungen seiner Arbeit auf das Team für die Erfolge verantwortlich.
"Xavi kam und hatte den Plan, so schnell wie möglich wieder nach oben zu kommen. Jetzt sehen alle die Ergebnisse Schritt für Schritt. Er hat für jede Situation einen Plan", sagte der 30-Jährige kürzlich dem "Guardian" und erklärte, was die Mannschaft ausmacht: "Ob jünger oder erfahrener - jeder hat eine Stimme und ist wirklich wichtig. Das schafft Vertrauen und es ist schön zu sehen, dass sich die jungen Spieler wirklich wohl fühlen." Zudem habe das Team laut ter Stegen die Fähigkeit "in komplizierten Momenten zu leiden".
"Mia san mia" auf Katalanisch
Xavi setzt neben seiner Taktik eben auch auf Identifikation mit dem Verein, versteht es als Ex-Kapitän perfekt, den Spielern das Barca-Gen einzuimpfen. "Mit der Ankunft von ihm habe ich so viel gelernt, weil er uns die Barca-Philosophie zurückgegeben hat, die in den letzten Jahren verloren gegangen war. Ich bin derjenige, der am meisten gelernt hat, aber das ganze Team hat sich geändert und das sieht man an den Ergebnissen", sagte Verteidiger Ronald Araujo der spanischen Nachrichtenagentur "EFE".
Dank der Passkünstler Pedri, Gavi, Sergio Busquets und Frenkie de Jong hält Barca den Ball in den eigenen Reihen und den Gegner weit weg vom eigenen Tor. Mit Jules Koundé (FC Sevilla), Andreas Christensen und Marcos Alonso (beide FC Chelsea) wurde die Mannschaft zudem mit Defensivspezialisten verstärkt. Xavi achtet penibel darauf, dass das Team nie die Kontrolle über sich und das Spiel verliert, taktische Disziplin steht an oberster Stelle und ist der Grund für das neue Barca-"Mia san mia".
Ist die Defensive auch international top?
Das Problem nur: für die internationalen Wettbewerbe galt das bisher nicht unbedingt. Aus der Champions League flogen die Katalanen recht sang- und klanglos raus. Nur gegen Viktoria Pilsen gab es zwei Siege, gegen Inter Mailand und Bayern München holte das Team nur einen Punkt und kassierte insgesamt zwölf Gegentore in den sechs Spielen in der Gruppenphase.
"In Europa hat es nicht geklappt. Wir waren damals nicht wirklich stabil. Viele neue Spieler kamen vorher und wir mussten ein bisschen unsere Struktur finden", sagte ter Stegen. "Seitdem sind wir meiner Meinung nach vorangekommen."
Doch auch im Hinspiel der Zwischenrunde in der Europa League gegen Manchester United war die Abwehr nicht sattelfest. Beim 2:2 ging Barca zwar in Führung, kassierte kurz darauf aber zwei Treffer. Im Rückspiel wird es am Donnerstag (23.02.2023) im Old Trafford darauf ankommen, dass die beste Defensive der Welt beweist, dass sie es nicht nur auf nationaler Ebene ist.