
100 Tage vor EM-Start Bundestrainer Wück über DFB-Frauen: "Wünschte, wir wären weiter"
In 100 Tagen startet die UEFA Frauen-EM 2025 in der Schweiz. Hinter der deutschen Fußball-Nationalmannschaft liegen wechselhafte Jahre - und auch die Leistungen unter Christian Wück waren schwankend. Der neue Bundestrainer gibt im Interview zu, dass er gehofft habe, weiter zu sein, und sieht "viel Arbeit" vor der DFB-Auswahl.
In den Testspielen des vergangenen Jahres hatte Wück viel experimentiert - heraus kamen genauso ein furioser Sieg gegen England in Wembley wie auch ernüchternde Heimniederlagen gegen Australien und Italien. Mit dem Start in die Nations League im Februar wurde es ernst, die Ergebnisse in den Niederlanden (2:2) und gegen Österreich (4:1) können sich sehen lassen, wobei die Abwehr mit einigen Unsicherheiten auffiel.
Hinter der DFB-Auswahl liegen wechselhafte Jahre: Dem umjubelten zweiten Platz bei der Euro 2022 folgte das historische Vorrunden-Aus bei der WM ein Jahr später. Mit dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen im vergangenen Jahr konnte das Team wieder einen Erfolg verbuchen. Rund drei Monate vor dem Beginn der Europameisterschaft in der Schweiz stellt sich also die Frage: Wo steht die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen im Frühjahr 2025?
Herr Bundestrainer, Lea Schüller und Klara Bühl haben kürzlich auf die Frage, wann die Euro ein Erfolg wäre, geantwortet: "Wenn wir den Titel holen!" Freut Sie das Selbstbewusstsein oder würden Sie eher etwas bremsen wollen?
Christian Wück: Für mich ist wichtig: Redet man nur darüber oder ist man davon überzeugt? Daran arbeiten wir schon die ganze Zeit, dass wir nicht nur drüber reden wollen, sondern dass wir wirklich diese Überzeugung in uns pflanzen, diesen Traum in uns gedeihen lassen, dass wir wirklich am Ende diesen Pokal womöglich auch in die Luft strecken können.
Haben Sie denn intern schon Ziele formuliert?
Wück: Ich weiß gar nicht, ob man groß über Ziele reden muss. Jede Nation, die an dieser Euro teilnimmt, hat reelle Möglichkeiten, den Titel mit nach Hause zu nehmen. Dass wir uns auch Chancen ausrechnen, gehört für so eine große Fußballnation, wie es Deutschland nun einmal ist, definitiv dazu. Aber natürlich sind wir uns bewusst, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben.
100 Tage noch bis zur Euro - was sagt Ihnen diese Marke?
Wück: Ich hatte die jetzt ehrlich gesagt gar nicht so vor Augen. Für mich ist eher wichtig, wie viele Spiele wir vor der EM noch haben: Es sind nur noch vier. Die Zeit wird immer kürzer, es wird immer mehr dieses Highlight ins Blickfeld rücken. Vorfreude darauf habe ich auf jeden Fall, die haben wir alle. Weil wir denken, dass es ein sehr großes Event wird, dass es die Chance gibt, den Frauenfußball in Deutschland noch mehr ins Blickfeld zu rücken.
Das hängt natürlich auch wesentlich vom Erfolg Ihres Teams in der Schweiz ab. In welchen Bereichen sind die Spielerinnen bereits in Turnierform - und woran müssen Sie noch arbeiten?
Wück: Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir ein bisschen weiter wären. Nach den Freundschaftsspielen im vergangenen Jahr, in denen wir bewusst viel ausprobiert haben, haben wir in den ersten beiden Nations-League-Spielen im Februar gemerkt, dass wir vielleicht doch noch nicht so weit sind, wie wir uns das vom Potenzial der Mannschaft vorgestellt haben. Da rede ich hauptsächlich davon, dass wir in der Defensive stabiler werden müssen - und damit meine ich nicht nur die Defensivspielerinnen, sondern die Rückwärtsbewegung insgesamt.
Gegen die Niederlande und Österreich wirkte das Team zeitweise überrumpelt…
Wück: Unsere größte Herausforderung auf dem Weg zur Europameisterschaft ist, dass wir in den vier verbleibenden Nations-League-Spielen vorher die Stabilität reinbekommen. Es muss das Bewusstsein reifen, dass es genauso wertvoll ist, hinten zu Null zu spielen wie vorne ein Tor zu machen. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.
Offensiv hingegen stimmt nicht nur die Bilanz, das Spiel ist auch sehenswerter geworden. Wie viel von Ihrer Handschrift steckt drin?
Wück: Ich hoffe, sehr viel. Ich hoffe, dass die Mannschaft viel von dem umsetzen möchte, was wir ihr vorschlagen, vorgeben. Ich denke, dass wir variabler und schwerer ausrechenbar geworden sind in der Offensive. Dazu gehört das flexible Spiel über die Außen und ebenso, dass wir mit Lea Schüller und Giovanna Hoffmann zwei Mittelstürmerinnen haben, die Bälle halten, sich durchsetzen und auch unter Gegnerdruck Bälle verteilen können. Und dass wir in der Offensive viel Tempo haben, wissen wir auch.
"Auf einigen Positionen haben wir Spielerinnen, die ich zur Weltklasse zähle. Aber auf anderen Positionen sind wir noch nicht zu hundert Prozent zufrieden. Da müssen wir schauen, welche Lösungen wir finden."
— Bundestrainer Christian Wück
Steht Ihr Kader bereits weitgehend oder ist noch viel Bewegung drin?
Wück: Das ist ein Aspekt, den ich meine: Wir sind noch nicht so weit, wie wir gern wären. Auf einigen Positionen haben wir Spielerinnen, die ich zur Weltklasse zähle. Aber auf anderen Positionen sind wir noch nicht zu hundert Prozent zufrieden. Da müssen wir schauen, welche Lösungen wir finden. Und natürlich haben uns auch Verletzungen wie vor und während der letzten Länderspielperiode zurückgeworfen.
Im vergangenen Jahr haben Cora Zicai und Alara unter Ihnen debütiert, zuletzt wurden die beiden jungen Spielerinnen nicht nominiert. Können sie sich dennoch Hoffnung machen auf ein Euro-Ticket?
Wück: Die beiden sind genauso im Lostopf wie etabliertere Spielerinnen. Ich werde die Tür bis zuletzt offen halten. Cora Zicai beispielsweise zeigt Woche für Woche beim SC Freiburg, dass sie auch gegen Topteams wie zuletzt Eintracht Frankfurt Tore erzielen kann. Das qualifiziert sie dann auch dafür, in der A-Nationalmannschaft spielen zu können.
In der Vorrunde der Euro trifft Ihr Team auf Polen, Schweden und Dänemark. Wie intensiv beobachten Sie die Gegnerinnen aktuell?
Wück: Bei den Spielen der anderen vor Ort zu sein, ist mir leider kaum möglich, weil in der Nations League alle Teams quasi zeitgleich ihre Partien austragen. Das heißt: Unsere Scouts sind jetzt unterwegs, sie beobachten unsere Gruppengegner und liefern Berichte. Wir sitzen dann gemeinsam im TrainerInnen-Team mit den Scouts zusammen und versuchen, einen Überblick über unsere Gruppengegner zu bekommen.
Was allen Teams in der Schweiz entgegenkommen dürfte, sind die kurzen Weg, die geringen Entfernungen zwischen den Spielorten…
Wück: Ich habe als Bundestrainer in den letzten Monaten schnell gemerkt: Die Mädels müssen sich wohl fühlen. Da haben wir, denke ich, eine sehr gute Location in der Schweiz gefunden (das Teamhotel liegt in Zürich, d. Red.). Die kurzen Wege von den Spielorten in unser Basecamp werden den Spielerinnen gefallen. Wir profitieren auch in der Spielnachbereitung und in der Analyse davon, dass keine großen Reisen stattfinden werden. Von daher sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche EM in dieser Hinsicht definitiv gegeben.
Die Euro der Frauen findet zum ersten Mal in der Schweiz statt. Der Frauenfußball ist auch dort populärer geworden, das Level liegt aber schon unter dem in Deutschland. Was erwarten Sie von der Stimmung?
Wück: Es gibt ja das große Ziel der UEFA, dass jedes Spiel ausverkauft sein soll. Ich hoffe, das gelingt auch. Die Schweiz wird von diesem Turnier profitieren, ebenso der Frauenfußball insgesamt. Und wenn ein Nachbarland von Deutschland die Euro austrägt, hoffen wir, dass viele Deutsche dort hinkommen und uns unterstützen. Viele meiner Verwandten werden jedenfalls dabei sein. Von daher hoffe ich auf viele Heimspiele für uns - egal, wo wir spielen.
Dieses Thema im Programm:
Sportschau | 08.04.2025 | 20:35 Uhr