FIFA WM 2022 Iran gegen USA - Politisch aufgeladenes Duell mit Vorgeschichte
Der Showdown in der Gruppe B könnte brisanter kaum sein - sportlich wie politisch. Beide Teams können mit drei Punkten ins WM-Achtelfinale einziehen. 1998 gelang den Iranern gegen den politischen Erzfeind ihr erster Sieg bei einer WM. Inmitten der schwersten Proteste seit Jahrzehnten im Iran ist der Druck auf das Team nun ungleich größer.
Sollte es dem Iran gelingen, am Dienstag (29.11.2022/20 Uhr MEZ) im Al-Thumama-Stadion in Doha ein Kunststück wie vor 24 Jahren zu wiederholen, würde er erstmals in die K.o.-Runde einer Weltmeisterschaft einziehen. Sogar ein Unentschieden könnte - abhängig vom Ausgang des Parallelspiels Wales gegen England - reichen. Die USA bringt nur ein Sieg eine Runde weiter. Aber eine Niederlage gegen den "Großen Satan" muss nach Lesart des Regimes in Teheran um jeden Preis vermieden werden.
Mahdavikia machte den ersten WM-Sieg perfekt
Als Motivationshilfe werden im iranischen Teamquartier Aufnahmen von der WM 1998 in Frankreich womöglich in Dauerschleife zu sehen sein. Damals schafften die Iraner mit dem 2:1 in Lyon ihren ersten Sieg bei einer WM-Endrunde überhaupt. Hamid Reza Estili hatte vor der Pause die Führung erzielt (40. Minute). Der spätere Bundesliga-Profi Mehdi Mahdavikia errang Heldenstatus, als er nach einem Solo über links in den Strafraum eindrang und sechs Minuten vor dem Abpfiff das 2:0 erzielte. Der Anschluss durch Brian McBride kam für das US-Team zu spät (87.). Es schied mit null Punkten in der Vorrunde aus.
Mahdavikia legte Trainer-Job im Iran aus Protest nieder
Und auch den Iranern nützte der prestigeträchtige Sieg nichts. Nach einer 0:2-Niederlage gegen Gruppensieger Deutschland blieb für Ali Daei und Co. nur Rang drei in der Gruppe hinter Jugoslawien. Mahdavikia brachte sein Auftritt bei der WM immerhin seinen ersten Job im Ausland ein. Der VfL Bochum verpflichtete den Außenbahnspieler, der später beim Hamburger SV und Eintracht Frankfurt zu einer festen Bundesligagröße wurde.
Mehdi Mahdavikia jubelt über seinen Siegtreffer gegen die USA bei der WM 1998.
Seit 2021 war Mahdavikia U21-Auswahltrainer seines Landes. Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte gegen Protestierende legte er sein Amt im September nieder.
1998 gab es Blumen und ein gemeinsames Teamfoto
Im kollektiven Gedächtnis verankert blieben von dem Spiel vor 24 Jahren vor allem die Szenen vor der Partie. Trotz der extremen politischen Spannungen zwischen den beiden Staaten, die seit 1980 keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten, bat der Schweizer Schiedsrichter Urs Meier die Teams vor dem Anpfiff zu einem gemeinsamen Foto. Die iranischen Spieler überreichten den von Tom Dooley angeführten US-Amerikanern sogar Blumen.
Das Spiel selbst blieb fair und auch eine Eskalation auf den Rängen wurde vermieden. Dort hatten sich neben iranischen Fans auch etwa 3.000 Aktivisten der Volksmudschahedin versammelt, einer militanten Oppositionsbewegung, die später von der EU als Terrororganisation eingestuft wurde. Die befürchtete Eskalation auf den Rängen blieb aus, vom Fußball-Weltverband FIFA gab es später sogar den Fair-Play-Preis für dieses geschichtsträchtige Spiel.
US-Verband entfernt Emblem der Islamischen Republik aus Iran-Flagge
Auch vor dem erneuten Aufeinandertreffen versuchen die unmittelbar Beteiligten, die Begegnung auf das zu reduzieren, was sie ist: ein Fußballspiel in einem wichtigen Wettbewerb. "Wir sind Fußballspieler. Wir werden kämpfen, sie werden kämpfen, das ist alles. Es geht nicht um Politik", sagte US-Nationaltrainer Gregg Berhalter.
Dabei sorgte der US-Verband selbst für Nebengeräusche, die die Stimmung rund um das Spiel aufheizten. Für einen Tag benutzte die United States Soccer Federation auf ihren Social-Media-Kanälen eine iranische Flagge nur in den Farben grün-weiß-rot, ohne das Emblem der Islamischen Republik. Im Iran forderten Staatsmedien daraufhin den Ausschluss der USA aus dem WM-Turnier. Ein Sprecher des US-Verbandes rechtfertigte die Aktion als "Geste der Solidarität mit den Frauen im Iran". Berhalter entschuldigte sich später für die Aktion.
Queiroz verteidigt seine Fußballer: "Sie haben keine Vorstellung"
Auf den Social-Media-Accounts des US-Teams und einzelner Fußballer häuften sich in den Tagen vor dem Spiel Hilferufe regimekritischer Iraner, die das US-Team um ein Zeichen der Solidarität baten.
Von ihrer eigenen Fußball-Mannschaft hatten sich die seit September gegen das Mullah-Regime Protestierenden in der Heimat ein solches lange vergeblich erhofft. Kurz vor der Abreise nach Katar hatte der iranische Staatspräsident Ebrahim Raisi das "Team Melli" noch zu einer Audienz geladen. Doch dann boykottierten im ersten WM-Spiel gegen England (2:6) alle Spieler das Mitsingen der Hymne. "Sie haben keine Vorstellung und wissen nicht, was die Jungs in den letzten Tagen hinter den Kulissen alles durchgemacht haben. Und das nur, weil sie Fußball spielen wollen", sagte Carlos Queiroz.
Queiroz attackiert Klinsmann
Der portugiesische Trainer, der den Iran schon 2014 und 2018 zur WM geführt hatte, ist entschlossen, seine Spieler um jeden Preis zu verteidigen - erst recht nach dem 2:0-Sieg gegen Wales, vor dem die gesamte Startelf die Hymne wieder mitgesungen hatte. Via Twitter lieferte er sich ein Wortgefecht mit Jürgen Klinsmann, dem er unterstellte, mit Äußerungen als BBC-Experte die iranische Kultur und das iranische Nationalteam nicht respektiert zu haben. Er forderte den früheren Bundestrainer und US-Coach sogar auf, aus der Technischen Studiengruppe der FIFA, die die WM-Spiele analysiert, zurückzutreten. Und er deutete an, dass er Klinsmanns Äußerungen auf seine Herkunft zurückführe ("As American/German we understand your no support").
Queiroz lobt das US-Team - Adams: "Unterstützen Menschen im Iran"
Einen Tag vor dem brisanten Spiel versuchten dann alle Seiten, nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Klinsmann relativierte seine Äußerungen. Irans Coach, der selbst schon in den USA als Trainer gearbeitet hat, sprach von einem "sehr, sehr speziellen Spiel". Er lobte aber ausdrücklich die Spielweise der US-Amerikaner, die in der Gruppe B die besten und konstantesten Leistungen gezeigt hätten. US-Kapitän Tyler Adams sagte: "Wir unterstützen die Menschen im Iran und das Team Irans. Aber wir konzentrieren uns alle auf das Spiel." Er könne nichts zu politischen Dingen sagen, er sei ein Fußballtrainer, wehrte Berhalter Fragen iranischer Reporter zu Rassismus, Visa-Regelungen und Operationen des US-Militärs ab.
Berhalter über 1998: "Spiel hat sich eingebrannt"
Es scheint, als ob sich die Beteiligten das friedliche erste WM-Duell von 1998 zum Vorbild nehmen wollen. US-Coach Berhalter nutzte die Partie jedenfalls auch für die sportliche Vorbereitung. "Dieses Spiel hat sich in meinem Kopf eingebrannt", sagte er. Der ehemalige Profi von Energie Cottbus und 1860 München hatte die Partie in Lyon für das niederländische Fernsehen kommentiert: "Was ich damals gesehen haben: Ein Team wollte das Spiel gewinnen, das andere nicht. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen."