Ein Jahr nach dem russischen Angriff Schachtar Donezk – außergewöhnliche Umstände im europäischen Spitzenfußball
Junge Ukrainer statt erfahrene Brasilianer, Heimspiele in Warschau statt in Donezk und der Abgang von Supertalent Mykhaylo Mudryk: Die Fußballer von Schachtar Donezk spielen eine Saison unter besonderen Umständen. Heute geht es für Donezk (21 Uhr) in der Europa League bei Stade Rennes um den Einzug ins Achtelfinale. Das Hinspiel in den Playoffs hatten die Ukrainer mit 2:1 gewonnen.
Für Schachtar Donezk ein Spiel von hoher sportlicher Bedeutung – und das nur wenige Stunden bevor sich der russische Angriff auf die Ukraine zum ersten Mal jährt. Dass Donezk überhaupt in der K.o.-Phase der Europa League steht und nach dem Erfolg im Hinspiel sportlich keine schlechte Ausgangslage besitzt, ist bereits beeindruckend. Nicht erst seit dem russischen Angriff im Februar 2022 ist der Klub vom Kriegsgeschehen maßgeblich beeinflusst und spielt – zumindest im europäischen Spitzenfußball – unter unvergleichlichen Bedingungen.
Heimspiele in Charkiw, Kiew, Lemberg oder sogar Warschau
Seit 2014 gab es für Schachtar Donezk kein Heimspiel mehr in der eigenen Donbass Arena. Die Region im Osten des Landes ist bereits seit neun Jahren schwer umkämpft. Auch die sehr moderne Donbass-Arena, die zur EM 2012 gebaut worden war, wurde durch die Gefechte zwischen pro-russischen Separatisten und ukrainischen Streitkräften schwer beschädigt. Im Zuge des im Osten entfachten Krieges war die Mannschaft zunächst nach Kiew umgezogen.
In der ukrainischen Hauptstadt sowie in Charkiw und Lemberg hat Schachtar dann seine Heimspiele ausgetragen. Die internationalen Heimspiele in der laufenden Spielzeit, wie zum Beispiel der 1:1-Achtungserfolg gegen Real Madrid im vergangenen Oktober in der Champions League, finden sogar außerhalb der Ukraine, in Warschau, statt. In der polnischen Hauptstadt lebt das Team zurzeit auch in einem Hotel. Für Spiele der ukrainischen Liga pendelt Schachtar jedes Mal, die Ligaheimspiele finden meist in Lemberg statt.
Kaderumbruch als Kriegsfolge – Junge Ukrainer statt Brasilianer
Nicht nur das Stadion von Schachtar sondern auch der Kader ist durch den Krieg ein anderer. Lange Zeit war Donezk für seine starke brasilianische Achse bekannt. Nationalspieler wie Willian, Fernandinho, Fred oder auch Ex-Bayern-Spieler Douglas Costa spielten alle für den ukrainischen Klub – mit den beiden erstgenannten gewann Donezk 2009 den UEFA-Cup. Vergangene Woche gegen Rennes war Stürmer Lassina Traoré (Burkina Faso) der einzige nicht ukrainische Spieler, der für Schachtar auf dem Platz stand.
Im Frühjahr 2022 verließen nahezu alle ausländischen Spieler den Klub. Die FIFA hatte entschieden, dass ausländische Profis aus den Ligen Russlands und der Ukraine ihre Verträge kündigen können, um sich ablösefrei einem anderen Klub anzuschließen. Schachtar Donezk hat daraufhin ausgeliehene Spieler zurückbeordert und den Kader mit Spielern aus der Jugend aufgestockt. Statt gestandenen brasilianischen Nationalspielern prägen nun junge ukrainische Talente die Mannschaft.
Mudryk und eine beachtliche Champions-League-Gruppenphase
Doch auch diese Talente sind für Schachtar nicht zu halten, wenn sie im internationalen Wettbewerb groß aufspielen. Der 22-jährige Stürmer Mykhaylo Mudryk wurde erst im Januar für eine Ablöse von 100 Millionen Euro (70 Mio. fix, 30 Mio. Bonuszahlungen) vom FC Chelsea verpflichtet. Viel Geld, das Donezk aber wohl nötig hat, um die Klubkasse etwas aufzufüllen. Rund ein Viertel der Summe soll außerdem dafür genutzt werden, um ukrainischen Soldaten und Familien von gefallenen Soldaten zu helfen.
Das 22-jährige Sturmtalent Mykhaylo Mudryk wurde im Januar für 100 Millionen Euro zum FC Chelsea verkauft
Dass Mudryk überhaupt eine solche Ablösesumme eingebracht hat, lag primär wohl an seinen Leistungen in der Champions-League-Gruppenphase in dieser Saison. Mit drei Toren und zwei Vorlagen in sechs Partien weckte das Sturmtalent das Interesse mehrerer europäischer Spitzenklubs. Überhaupt spielte Schachtar eine beachtliche Gruppenphase, siegte unter anderem 4:1 bei RB Leipzig. Erst am letzten Spieltag der Gruppenphase verpassten die Ukrainer das Achtelfinale. Mit insgesamt sechs Punkten wurden sie aber souverän Dritter in der Gruppe und ließen Celtic Glasgow klar hinter sich.
Durch diese beachtlichen Auftritte hat Schachtar Donezk nun die Chance auf das Achtelfinale in der Europa League. Als letzter verbliebener ukrainischer Vertreter in diesem Wettbewerb hofft wohl ein ganzes Land auf einen Erfolg von Schachtar – wenige Stunden vor diesem traurigen Jubiläum.