Zwischen Euphorie und Angst Alemannia Aachen siegt, die Fans zittern vor rechter Gewalt
Nach elf Jahren Viertklassigkeit steht Alemannia Aachen vor der Rückkehr in den Profifußball. Doch der Erfolg zieht auch Rechtsextreme wieder an – das dämpft die Euphorie.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, der Ostersamstag lieferte ihn: Da erwacht ein schlafender Riese. 29.500 Zuschauer sahen das Regionalliga-Spiel von Alemannia Aachen am Tivoli gegen Fortuna Köln. Die dritte Liga ist nach elf Jahren Viertklassigkeit und finanziellen Turbulenzen greifbar nah. Und doch ist da neben Euphorie auch Angst unter den Fans. "Immer der gleiche Dreck", sagt eine junge Frau, "hineingeboren in diesen Verein", der nun einem "altbekannten Muster" folge: Der Umgang mit Rechtsextremen sei verstörend.
Comeback rechter Hooligans
Sie nennt sich Sophie, ihren wahren Namen möchte sie nicht lesen. Zu tief haben sich die Erlebnisse aus dem Jahr 2013 eingebrannt. Aachen machte damals bundesweit Schlagzeilen. Rechtsextreme Hooligans unter Beteiligung der rechtsaffinen Fan-Gruppierung "Karlsbande" hatten die "Aachen Ultras 1999", die sich gegen Rassismus und Homophobie stellten, aus dem Stadion geprügelt. Bei Sophie wurden Hakenkreuze an die Hauswand gesprüht, Fensterscheiben eingeworfen.
Heute sei "das Gewaltpotenzial im Hintergrund noch wesentlich größer", sagt ein anderer Fan: "Diese Leute sind offen gewalttätig, brutal, kriminell. Und damit steigt auch die Gefährdungslage für die Fans." Er hat, wie viele andere Anhänger auch, viele Belege im Internet gefunden, die mit dafür sorgten, dass am 29. Februar zuerst "Zeit Online" über das Comeback rechter Hooligans am Tivoli berichtete. Der Verein wehrte sich kürzlich mit einer Erklärung. Man sei strikt gegen Rechtsextremismus. Aktuelle Nachfragen der Sportschau beantwortete der Klub nicht. Obwohl auch unsere Recherchen zeigen: Alemannia begibt sich in gefährliches Fahrwasser.
Fans als Mahner
Die ganze Stadt sei aufgeregt wegen der Enthüllungen, sagt die Aachener Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie (SPD). Viele würden ihre Meinung nur noch hinter vorgehaltener Hand äußern. Und ja, sie verstehe die Angst vor einer Wiederholung der Gewaltexzesse von 2013. Damals habe man in der Stadt "nicht versucht, den Konflikt zu lösen, sondern man hat ihn eigentlich ausgesessen - und das hat ein Trauma geschlagen bei vielen Fans". Denn bald schon tauchten die Banner der "Karlsbande" im Stadion wieder auf.
"Ich glaube, dass die Fans heute die Mahner sind, die es damals zwar auch gab, denen aber keiner zugehört hat", sagt Rhie. Und die Fans? Die Sportschau hat mit einigen gesprochen. Alle sagen, das aktuelle Netzwerk schrecke auch nicht davor zurück, Kritiker im privaten Umfeld mit physischer und psychischer Gewalt einzuschüchtern. "Es handelt sich also nicht um einen offen ausgetragenen Konflikt, da hinreichend bekannt ist, wer das Gewaltmonopol innehat."
Kevin P. steht im Mittelpunkt
Einer, vor dem sie sich vor allem fürchten: Kevin P.. Jahrelang am Tivoli nicht gesichtet und nun wieder nah dran an der Vereinsführung. "Das 'Nie wieder' tritt beim Verein in den Hintergrund", beklagen die Mahner. Kevin P. posiert auf Fotos mit dem Aufsichtsratschef des Klubs, Marcel Moberz, und Geschäftsführer Sascha Eller. Für deren "Loyalität" bedankte sich P. an Ostern nochmal auf seinem Instagram-Kanal.
Über die Gesinnung von Kevin P. aber gab es in der Vergangenheit keine zwei Meinungen: offen rechtsextrem. Er habe sich aber distanziert, lässt er immer wieder verlauten. Doch stimmt das? P. beantwortet diese und andere Fragen der Sportschau nicht. Die Bundestagsabgeordnete Ye-One Rhie sagt: "Ich finde es an sich ja ein sehr hehres Ziel, jedem eine zweite Chance zu geben. Nur fehlt mir aufgrund der Sachen, die mir vorgelegt werden, aufgrund seines eigenen Online-Auftritts, seiner Aussagen der Glaube, dass er sich rehabilitieren lassen möchte."
Gewaltverherrlichung und Frauenfeindlichkeit
Kevin P. gehört zwar seit geraumer Zeit keinen festen rechtsextremistischen Strukturen mehr an, vertritt aber Ideologien wie Gewaltverherrlichung im Sinne des Rechts des Stärkeren und äußert sich auch offen aggressiv und frauenfeindlich im Netz. Einen Autoren des "Zeit-Online"-Artikels nannte er bei Instagram "Hurensohn mit Stift", außerdem vertrete er die Meinung, Frauen hätten im Stadion nichts verloren.
Als im Mai 2023 ein Aachener Spieler mit einem Wechsel zum ungeliebten Rivalen Rot-Weiss Essen in Verbindung gebracht wurde, zeigte er ihn auf seinem Instagram-Account bereits im RWE-Trikot – und mit drei israelischen Fahnen. Das kann man durchaus als antisemitisch bewerten. Rhie fordert auch deshalb, Kevin P. müsse sich jetzt öffentlich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen "auch zum Wohle seines heißgeliebten Vereins". Auch dazu: keine Antwort von P., und auch nicht von Alemannia Aachen.
Angst, zur Zielscheibe zu werden
In einem Podcast erklärte Kevin P. 2023 zwar, er sei kein Neonazis mehr, aber: "Ich bin ambivalent, ja ich bin Gewalttäter, ja ich bin Hooligan. Ich habe wirklich Sachen gemacht in meinem Leben, für die ich lange Zeit hinter Gitter sollte. Halten wir es mal so fest. Die sind mir aber alle scheißegal." 2018 stand P. gemeinsam mit einem Freund tatsächlich vor Gericht – es ging unter anderem um Zuhälterei. Kevin P. wurde damals wegen Erpressung in zwei Fällen zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Hinter Kevin P. steht die Boxstaffel 520, die sich im Stadion offen zeigt, mit eigener Blockfahne. Das würde viele erschrecken, aber es gäbe keine offene Kritik, "aus Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden", sagt ein Fan. Die Boxstaffel - das sind so genannte "Ackerkämpfer". Hooligans, die sich mit Schlägern anderer Vereine verabreden, auf offenem Feld fließt Blut. "Wenn die von der Boxstaffel wüssten, wer wir sind, dann wären wir nicht mehr sicher", so der Fan weiter.
Sophie fordert Stadionverbote für rechte Fans, ein Bannerverbot für rechte Fangruppen. Sonst sei die Erklärung des Vereins, ebenso wie das Zeigen eines Plakates mit der Aufschrift "Gegen Rassismus – gegen Extremismus" durch Verantwortliche und Spieler im Stadion am 10. Februar "einfach nur heuchlerisch".
Diese Plakataktion war die Reaktion auf den öffentlichen Druck nach einem Statement Ende Januar, als die Klubführung ihre Abwesenheit auf den deutschlandweiten Anti- Rechts-Demos so begründete: "An der Spaltung der Gesellschaft werden wir ausdrücklich nicht teilnehmen." Beifall erhielt die Alemannia dafür von der AfD - und vielen Neonazis. Alemannia löschte den Post, entschuldigte sich.
Alemannias Vereinsführung hält P. für geläutert
Für die Kritiker war das aber mehr als eine Unachtsamkeit. "Die fehlende Abgrenzung ist kein Versehen, sondern das Ergebnis jahrelanger Nähe zu rechten Akteuren und deren Einfluss auf den Verein", sagt ein langjähriger Fan. Er und andere befürchten, dass die Aachener Fankurve zur Rekrutierung für die extreme Rechte missbraucht werde - wie schon vor der Jahrtausendwende. Kevin P. komme hier mit seiner Vernetzung in andere rechte Fußball-Hooliganszenen eine Schlüsselrolle zu.
Laut der Alemannia ist Kevin P. mittlerweile vor allem ein geläuterter Wohltäter. Über seinen eigenen Verein, gegründet während der Pandemie, unterstützt er Bedürftige in der Stadt. Das machen andernorts auch rechte Parteien wie zum Beispiel der Dritte Weg - für Beobachter das soziale Mäntelchen über dem braunen Gewand.
Die Alemannia schickt Spieler zu von P. organisierten Essenausgaben an arme Menschen - und spendete dessen Verein den Erlös aus vergünstigten VIP-Tickets. Geschäftsführer Eller sagte im März der WDR-Lokalzeit Aachen: "Ich glaube, er ist der geworden aufgrund seines Lebens, das er vorher geführt hat: Deshalb hat er sich entwickelt zu jemanden, der Menschen helfen möchte."
Verein geht in die Gegenoffensive
Rhie und andere mögen daran nicht glauben. Ein Fan formuliert es so: Alemannia sei zwar "kein rechtsextremer Verein", aber "ein Beispiel dafür, wie schwer sich zivilgesellschaftliche Akteure damit tun, Rechtsextremismus offen zu thematisieren".
Um diesen Eindruck zu widerlegen, ging der Verein in die Gegenoffensive. Man verwies vor kurzem noch einmal schriftlich auf das weltoffene Leitbild des Klubs und betonte: "Alemannia distanziert sich ausdrücklich von jeglicher Form von Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus." Außerdem schickte der Vorstand einen Fragenkatalog an die örtliche Polizei und veröffentlichte die Antworten auszugsweise. Es lägen "keine Erkenntnisse zu rechtsextremen Strukturen innerhalb der Aachener Fanszene vor". Kritische Fans sagen: "Die Mitteilung ist insgesamt als geschickte PR einzustufen."
Der Leiter des Aachener Fanprojektes, Sebastian Feis, äußert sich vorsichtiger. Ja, es gäbe diese Ängste - und es gäbe auch Fans, die mit rechten Modelabels in Stadion kommen. Darauf habe man Alemannia hingewiesen. "Es ist wichtig, dass der Verein jetzt deutlich macht, dass er keine Wohlfühlatmosphäre für bestimmte Leute schaffen wird."
"Alemannia erfasst das Problem gar nicht"
Patrick Arnold von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Fanprojekte in Nordrhein- Westfalen wird deutlicher. "Der sportliche Erfolg lässt problematische Fans mit rechter Gesinnung den Weg an den Tivoli zurückfinden." Darunter seien viele Rechtsextreme und Kampfsportler mit Neonazi-Hintergrund. "Ich glaube, Alemannia Aachen erfasst das Problem gar nicht - oder will es nicht erfassen: Schwerstgewalttätige Fans finden sich am Tivoli und verbreiten Angst."
Dass diese Gewalttäter und Rechtsextremen durch ihre Nähe zur Klubführung "wie ein Teil der Familie" wirken, sei nun für viele Fans "eine bittere Lebensrealität. Wer dagegen offen etwas sagt, wird sofort massiv bedroht". Das erinnere in der Tat auch ihn an 2013. Alemannias Vorstand spiele, so Arnold, mit dem Feuer: "Der Wahnsinn ist, dass der Verein wieder solchen Leuten ein Forum bietet - trotz seiner Vergangenheit"