Anti-Doping Was bringt das Tramadol-Verbot?
Schmerzmittelabhängigkeit im Leistungssport ist in Deutschland kaum Thema. Kann das Verbot des Wirkstoffs Tramadol durch die Welt-Anti-Doping-Agentur daran etwas ändern?
Seit dem Neujahrstag steht der Wirkstoff Tramadol auf der WADA-Liste der Substanzen, die im Wettkampf verboten sind. Das Besondere: Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat sich damit lange Zeit gelassen und den Sportlern Ende 2022 sogar bewusst noch ein zusätzliches Jahr Zeit eingeräumt, bevor sie Tramadol auf die Dopingliste genommen hat.
Denn Tramadol ist ein Opioid und es gibt weltweit Sportlerinnen und Sportler, die davon abhängig sind oder waren. Wie viele es in Deutschland sind, ist unklar. "Das Problem der Medikamentenabhängigkeit gibt es. Es tritt immer wieder auf", sagt Lea Krüger, die bei der deutschen Anti-Doping-Agentur (NADA) als Athleten-Vertreterin im Aufsichtsrat sitzt.
Die Säbelfechterin erklärt: "Man greift als Sportler öfter zu Schmerzmitteln, weil man das Training oder den Wettkampf durchziehen will. Deswegen glaube ich schon, dass die Gefahr, in eine Medikamentenabhängigkeit zu rutschen, für Leistungssportler größer ist als für andere."
Englische Fußballergewerkschaft sieht eine "bedeutende Zahl an Spielern" betroffen
Einige Sportlerinnen und Sportler nehmen Ibuprofen, Paracetamol - und eben auch Tramadol. Das Opioid gibt es in Deutschland auf Rezept. Weil es hier noch nicht so verbreitet ist, unterliegt es bislang noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Das ist in angelsächsischen und afrikanischen Ländern anders: Dort wird es in Teilen der Gesellschaft längst als Droge missbraucht.
Wer in England Tramadol besitzt und kein Rezept dafür hat, dem droht deswegen eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren. Leistungssportlern droht jetzt außerdem eine Sperre. Im Oktober hat sich die Spielergewerkschaft im englischen Fußball deswegen an ihre Mitglieder gewandt und ihnen Hilfe angeboten.
Dr. Michael Bennett, bei der Professional Footballers Association zuständig für Spielergesundheit, sagt: "Wir wissen, dass es Spieler gibt, die wegen Tramadol in echte Schwierigkeiten gekommen sind." Denn einige hätten bereits Hilfe bei der Gewerkschaft gesucht. Darunter seien auch bekannte Spieler, deren Tramadol-Abhängigkeit in ihrem Leben zu großen Problemen geführt habe, sagt Bennett.
Er hielt es noch im Oktober für möglich, "dass es eine bedeutende Zahl an Spielern gibt, die sich noch keine Hilfe gesucht haben, oder die vielleicht noch nicht erkannt haben, wie abhängig sie von Tramadol sind."
Das System Leistungssport ist das Problem
In Deutschland sind der Athleten-Vertreterin bei der NADA, Lea Krüger, bislang keine speziellen Hilfsangebote in Bezug auf Tramadol oder Medikamentenabhängigkeit bekannt: "Wir sind noch einen Schritt davor: Wir müssen Sportlerinnen und Sportler und Verbände erstmal für das Thema Schmerzmittelabhängigkeit sensibilisieren."
Die NADA versuche das zwar über Schulungen für die Anti-Dopingbeauftragten der Sportfachverbände und über die medizinischen Abteilungen. "Aber bis das auch bei den Bundestrainern ankommt, das dauert", sagt Krüger.
Dabei sind die Bundestrainer für die Spitzensportler die relevante Größe. Im Leistungssport geht es am Ende darum, dass man Leistung bringt. "Wenn du auf dem Sprung in die erste Mannschaft bist, willst du da rein, koste es was es wolle", sagt Krüger: "Welche Schmerzen der Athlet dabei hat und welche Schmerzmittel er nimmt, bekommt der Bundestrainer ja gar nicht unbedingt mit. Da ist das System Leistungssport das Problem."
Fußball und Radsport bislang mit besonders vielen Tramadol-Nachweisen
Bevor sie Tramadol auf die Verbotsliste gesetzt hat, hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA die Dopingproben von Sportlern über Jahre hinweg auf Tramadol und andere Wirkstoffe geprüft. In diesem sogenannten Monitoring ist sie bei Tramadol auf hohe Fallzahlen gestoßen.
Vor allem in den Sportarten Rugby, Fußball und Radsport. Auch bei den Mixed Martial Arts, deren Weltverband erst 2021 den WADA-Kodex unterschrieben hat, soll Tramadol ein häufig genutztes Schmerzmittel sein.
Die hohen Fallzahlen sind einer der Gründe, warum Tramadol nun im Profisport während des Wettbewerbs verboten ist. Denn wenn sie auffallend viele Sportler nehmen, lässt das auf einen systematischen Missbrauch einer Substanz schließen, sagen Experten.
Außerdem hat die WADA inzwischen auch genug Daten gesammelt, um zu belegen, dass Tramadol potentiell leistungssteigernd wirkt. Kritiker sagen, die WADA hätte Tramadol schon früher verbieten sollen.
Tramadol-Verbot im Profi-Radsport schon seit 2019
Auch der Radsport hatte die WADA schon Jahre vorher angehalten, Tramadol auf die Dopingliste zu setzen. Der Radsport-Weltverband UCI entschied sich schließlich, den Stoff selbst zu verbieten - und änderte 2019 die medizinischen Regeln für ihre Wettkämpfe.
Dass der Stoff unter bestimmten Umständen zur Leistungssteigerung beitragen könnte, soll dabei nur einer von mehreren wichtigen Gründen gewesen sein. Tramadol kann zu Schwindel und Benommenheit führen. Und der Weltverband UCI verzeichnete zu dieser Zeit eine zunehmende Zahl schwerer Stürze bei großen Rennen.
Ein deutscher Profi-Radfahrer sagt der Redaktion Sport inside: "Ich bin froh, dass Tramadol bei uns inzwischen verboten ist. Als ich es nach einer Operation verschrieben bekam, hieß es, ich solle dann besser nicht Autofahren. Aber Radfahren war damit damals noch ok."
Mit Blick auf die Sicherheit im Radsport sei das Verbot deswegen ein guter Schritt gewesen: "Wir hatten mehr und mehr Stürze in großen Rennen und auch, wenn die natürlich nicht 100-prozentig auf Tramadol zurückzuführen sind, gibt einem das Verbot ein besseres Gefühl."
"Alles, was erlaubt ist, probiert man aus"
Er selbst habe Tramadol vor dem Verbot auch im Wettkampf ausprobiert, habe das Schmerzmittel aber nicht vertragen und deswegen nicht weiter genommen. "Alles, was erlaubt ist, probiert man aus. Aber ich hatte definitiv keine Leistungssteigerung, eher im Gegenteil", sagt der Radprofi. Ihm sei davon so schlecht geworden, dass er sich nach der Etappe habe übergeben müssen und stundenlang in seiner Regeneration behindert gewesen sei, weil er nichts essen konnte: "Ich wusste, dass andere das weiter nehmen, habe mich dadurch aber nicht im Nachteil gesehen." Bei Tramadol gehe es den Radsportlern vor allem um punktuelle Schmerzen zum Beispiel vom tagelangen Druck des Sattels oder auch um Schmerzen nach einem Sturz, sagt der deutsche Radprofi.
"Für Außenstehende mag das unverständlich sein, dass man weiter fahren will, wenn man so starke Schmerzen hat, dass man sie betäuben will", sagt der Radprofi: "Aber wir arbeiten so lange auf so ein Rennen hin und wenn du bei einer Top-Rundfahrt in der ersten Woche stürzt, kannst du damit vielleicht ein paar Tage durchhalten bis es dir besser geht und in der letzten Woche nochmal angreifen."
Ist Tramadol notwendig, gefährlich oder einfach Doping?
Es gibt auch Ärzte, die im Leistungssport arbeiten, und glauben, dass Tramadol nicht auf die Dopingliste gehört. Das leistungssteigernde Potential ist aus ihrer Sicht in den meisten Sportarten nicht groß genug. Und es sei wichtig, dass Leistungssportler ein Mittel gegen Schmerzen hätten, das da wirkt, wo Ibuprofen oder Paracetamol nicht stark gesund sind.
Dass ein Sportler ohne Schmerzen mehr Leistung bringen kann als mit Schmerzen, leuchtet ein. Die WADA hat den Spagat zwischen Gesundheitsaspekten und Anti-Doping-Kampf so gelöst: Mit einer sogenannten medizinischen Ausnahmegenehmigung dürfen Sportlerinnen und Sportler Tramadol auch im Wettbewerb weiterhin verwenden. Dass der Sportler den Wirkstoff auch wirklich für seine Gesundheit braucht, sollen dann unabhängige Mediziner kontrollieren und Alternativen vorschlagen.
Denn schließlich ist da auch noch die Gefahr einer Tramadol-Abhängigkeit. Auch der deutsche Radprofi, der sich gegenüber der Redaktion Sport inside geäußert hat, sagt: "Ich kenne jemanden, der abhängig geworden ist."
Verbot im Radsport zeigt schon Wirkung
Lea Krüger, die Athleten-Vertreterin im NADA-Aufsichtsrat, sagt: "Zum Schutz der Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern ist das Tramadol-Verbot zu begrüßen." Wegen der Gefahr einer Abhängigkeit, aber auch wegen der Nebenwirkungen: Schwindel oder vermindertes Reaktionsvermögen können im Leistungssport schlimme Folgen für den Sportler selbst, aber auch für seine Teamkollegen und Gegner haben.
Seit dem Verbot im Radsport seien die Tramadol-Funde im Monitoring der WADA rückläufig gewesen, heißt es aus informierten Kreisen. Nach dem Verbot für alle Sportarten, die sich dem Anti-Doping-Kodex unterworfen haben, wird sich wohl auch im Rugby und im Fußball viel ändern. Ob nur im angelsächsischen Raum oder auch in Deutschland, ist unklar.
So oder so meint Säbelfechterin Lea-Krüger: "Das Tramadol-Verbot ist ein wichtiger Schritt, um auch in Deutschland für Schmerzmittelabhängigkeit zu sensibilisieren. Es ist ein wichtiges Zeichen zu sagen, wir verbieten das im Wettbewerb. Das schreckt ab und kann damit vielleicht die Gesundheit der Athleten schützen."