
Auf Jahrestreffen in Lausanne "Verschwörungstheorien": WADA-Präsident Banka attackiert Kritiker
Die Vereinigten Staaten halten weiterhin Millionen von Dollar an Finanzmitteln für die Welt-Anti-Doping-Agentur zurück. Doch ein verbaler Schlagabtausch im Herzen der globalen Bewegung für sauberen Sport zeigt, dass eine Entspannung in weiter Ferne liegt.
Rundumschlag von Witold Banka: Der Präsident der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat den zahlreichen Kritikern seiner Organisation "politisch motivierte Angriffe" und die Verwendung von "Verschwörungstheorien" vorgeworfen. Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur und schärfster öffentlicher WADA-Kritiker, forderte unterdessen im Rahmen des WADA-Symposiums in Lausanne einen "Richtungswechsel an der Spitze“ der Organisation.
Auslöser der Streitigkeiten in einem turbulenten Jahr für die WADA waren die Enthüllungen der ARD zur möglichen Vertuschung von positiven Dopingproben bei 23 chinesischen Schwimmern kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio 2021. In seiner Präsidialansprache auf der jährlichen Zusammenkunft von Anti-Doping-Funktionären in Lausanne behauptete Banka, dass die Kritik an der Vorgehensweise im Fall China ungerechtfertigt "die Integrität der WADA und ihres Teams von rund 180 engagierten Mitarbeitern in Frage stellt".
Banka fügte hinzu: "Wir haben festgestellt, dass es sinnlos ist, mit Menschen zu streiten, die nicht bereit sind, klare Beweise zu akzeptieren. Menschen, die der WADA schaden wollen und die nicht den Wunsch haben, eine Lösung zu finden. Wir müssen zu dem Schluss kommen, dass sie nicht länger als glaubwürdige Partner für sauberen Sport angesehen werden können. Sie glauben an Verschwörungstheorien“, sagte Banka. Ihm sei immer beigebracht worden, ergänzte der Pole: "Wenn du die Welt verändern willst, fange zu Hause an. Aber anstatt vor der eigenen Haustür zu kehren, versuchen sie, die Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Deshalb greifen sie die WADA an."
Viele nationale Agenturen weiter skeptisch
Die aggressive Art von Bankas Kommentaren sorgte bei den Delegierten am Ufer des Genfer Sees für Stirnrunzeln. Die Besorgnis über die Reaktion der WADA auf die China-Affäre beschränkt sich keineswegs nur auf die Vereinigten Staaten. Achtzehn nationale Anti-Doping-Agenturen, darunter auch die deutsche, haben sich zusammengeschlossen, um Kritik zu formulieren und Widerstand zu organisieren. Die 23 Schwimmer waren wegen angeblicher Kontamination freigesprochen und nicht mal vorläufig suspendiert worden, wie es die Regeln vorschreiben. Und das alles mit dem Segen der WADA, obwohl die chinesischen Behörden keinen Beweis für die behauptete Kontamination vorgelegt haben.
Banka und alle anderen WADA-Funktionäre lehnten Interviewanfragen der ARD-Dopingredaktion während ihrer Jahrestagung in Lausanne ab. Auch sagte die Organisation eine ursprünglich geplante Pressekonferenz ab, vorgeblich wegen der zu kleinen Anzahl anwesender Journalisten.
Kritik von Tygart
"Die WADA hat China erlaubt, eine Sonderregelung anzuwenden, bei der die Regeln nicht für chinesische Athleten gelten, und genau diese Regeln gelten weltweit für alle anderen“, sagte Tygart der ARD während der Veranstaltung. "Man kann sich die Regeln ansehen, und sie sind sehr klar. Die Nichtbenachrichtigung der Athleten, die Nichtabgabe von Proben, die Nichtverhängung vorläufiger obligatorischer Sperren, die Nichtdisqualifizierung, die Nichtverhängung von Konsequenzen – all das stellt eine völlige Umkehrung der Regeln dar, an die sich der Rest von uns hält."
Das sei der Grund, so Tygart, warum "so viele empört sind und warum das Vertrauen von Athleten auf der ganzen Welt verloren geht. Sie sehen, dass ein Land eine Sonderbehandlung erhält, und das ist einfach nicht fair“, sagte Tygart. Er forderte Konsequenzen: "Es ist kein System, das aufrechterhalten werden sollte, also brauchen wir unbedingt eine Richtungsänderung an der Spitze des Welt-Anti-Doping-Programms."
WADA fehlen noch 3,6 Millionen Dollar aus den USA
Mehrere Delegierte sagten der ARD während des Symposiums, dass sie bezweifeln, dass Bankas aggressiver Ansatz der beste Weg sei, damit im weltweiten Anti-Doping-Kampf so etwas wie Normalität einkehrt - und um die USA dazu zu bewegen, ihren für 2024 fälligen Beitrag in Höhe von 3,6 Millionen US-Dollar (3,3 Millionen Euro) zu zahlen.
Die USA sind der größte Geldgeber der WADA unter den Mitgliedsnationen. Die Entscheidung, die Beiträge einzufrieren, wurde noch während der Präsidentschaft von Joe Biden getroffen, soll aber auch unter dessen Nachfolger Donald Trump Bestand haben. Internationalen Organisationen, die seiner Meinung nach öffentliche Gelder verschwenden, steht Trump besonders feindselig gegenüber.
Dies alles geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem sich die USA darauf vorbereiten, die Fußball-WM 2026 und dann die Olympischen Spiele 2028 und 2034 auszurichten. "Wir nennen es das Mega-Jahrzehnt in den Vereinigten Staaten“, sagte Tygart der ARD: "Aber gleichzeitig zahlen wir unsere Beiträge nicht an die Welt-Anti-Doping-Agentur. Da gibt es offensichtlich eine Diskrepanz, und die Diskrepanz hat zur Folge, dass wir keine Organisation bezahlen werden, die immer wieder beweist, dass sie das Geld, das sie erhält, nicht wert ist."
Banka bleibt wohl WADA-Präsident
Banka wird voraussichtlich der einzige Kandidat sein, der sich als WADA-Präsident im Laufe dieses Jahres zur Wahl stellt, in seinem Fall für eine letzte dreijährige Amtszeit. Nach ARD-Informationen sollen andere Interessenten daran gehindert worden sein, sich zur Wahl zu stellen – auch mangels Unterstützung des Internationalen Olympischen Komitees und der olympischen Bewegung, die gemeinsam 50 Prozent des WADA-Budgets beisteuern.
Banka, der ehemalige Leichtathlet und polnische Sportminister, versuchte in Lausanne auch, seinen US-Kritikern die Schuld am Projekt der Enhanced Games zu geben, der umstrittenen geplanten Veranstaltung, bei der Athleten beliebige Dopingsubstanzen verwenden dürfen. "Ich hoffe, dass die, die sich auf die WADA und nicht auf ihre eigenen Verantwortlichkeiten konzentrieren, mutig genug sind, eine starke Haltung einzunehmen, vor allem gegenüber den einflussreichen Personen, die beabsichtigen, die Enhanced Games zu finanzieren“, sagte Banka.
Zu den bekannten Investoren hinter der Veranstaltung gehören Milliardär Peter Thiel und Donald Trump Jr., der Sohn des US-Präsidenten.