Wimbledon-Finale Jasmine Paolini - eine, die immer lacht
Jasmine Paolini steht mit 28 Jahren im Wimbledon-Finale - mit unterhaltsamem Offensiv-Tennis und ansteckend guter Laune. So erobert sie die Herzen der Zuschauer und schafft den späten Durchbruch.
Jasmine Paolini hatte soeben das erste Mal ihren Aufschlag abgegeben, lag mit 2:3 im ersten Satz zurück. In ihrem ersten Halbfinale beim wichtigsten Tennisturnier der Welt erlebte die Italienerin also einen eher mittelmäßigen Start.
Ihre Gegnerin, Donna Vekic, die schon vor mehr als einem Jahrzehnt als Tenniswunderkind galt und doch erst jetzt mit 28 Jahren zum ersten Mal die Vorschlussrunde bei einem Grand-Slam-Turnier erreicht hatte, wirkte souveräner, abgeklärter und spielerisch entschlossener.
Immer mit der Ruhe
Doch Paolini ließ sich davon am Donnerstag (11.07.2024) auf dem Centre Court nicht aus der Ruhe bringen - und ihre gute Laune verlor sie erst recht nicht. Selbst als ihr ein kleines Malheur unterlief. Denn Paolini zweifelte an, dass ein Aufschlag Vekics im Feld gewesen war. Also ließ sie das elektronische Auge den Ball überprüfen. Auf den beiden sich gegenüberliegenden Spielstandanzeigen wurde eine Animation des Ballabdrucks eingeblendet.
Doch Paolini hatte sich geirrt, der Ball war so deutlich im Feld gewesen, dass man dies auch mit bloßem Auge hätte sehen können. Paolini schaute, grinste und lachte. Erst in Richtung ihres Teams und wahrscheinlich auch ein bisschen über sich selbst. Da war sie wieder, die Spielerin, die im Sommer 2024 das beste Tennis ihrer Karriere spielt, von Sieg zu Sieg eilt, und im Moment keine Probleme, sondern nur Herausforderungen kennt.
Erst French Open, jetzt Wimbledon: Paolini wieder im Finale
Damit steht Paolini nach den French Open auch in Wimbledon im Finale. In den letzten 25 Jahren ist dieses Kunststück nur vier Spielerinnen gelungen: Serena und Venus Williams, Justine Henin und Stefanie Graf. Insgesamt 59 Grand Slams haben diese vier Spielerinnen zusammen gewonnen.
Schon bei den French Open im Finale
In Paolinis Lebenslauf steht bis jetzt noch keine der ganz großen Trophäen. Das macht die Leistung vielleicht noch größer. Angesprochen in der Pressekonferenz, was sie vor zwölf Monaten gesagt hätte, hätte man ihr eröffnet, dass sie nun im Jahr 2024 in zwei aufeinanderfolgenden Grand-Slam-Finals stehen würde, antwortete sie, natürlich lachend: "Ich hätte Sie noch vor zwei Monaten für verrückt erklärt."
Später Durchbruch
Eigentlich zeigt sich im modernen Tennis schon relativ früh, wer von den Profis das Zeug für die Weltspitze hat. Selten kommt es vor, dass Spielerinnen noch spät ihren Durchbruch schaffen. Paolini - wie Gegnerin Vekic - ist hingegen schon 28 Jahre, und im Gegensatz zu Vekic hatte sie nie auch nur ein Hauch von Hype umweht. Paolini ist quasi aus dem Nichts auf die große Bühne gesprungen.
Schon bei den Australian Open in diesem Jahr hatte die Italienerin zum ersten Mal aufhorchen lassen. Ihr Lauf ins Achtelfinale war ein Ausrufezeichen, wenngleich auch nur ein kleines. Wenige Wochen später in Dubai, bei einem der wichtigsten Turniere abseits der Grand Slams, lag Paolini in der ersten Runde hoffnungslos gegen die Brasilianerin Beatriz Haddad Maia zurück, ehe sie das Match drehen konnte und am Ende ihren ersten großen Titel feierte. Seitdem hat Paolini nur noch sieben Matches verloren.
Vorhand-Topspin als Stärke
Eine große Aufschlägerin ist sie nicht. Vielmehr muss Paolini über das Spiel zu ihren Punkten finden - und erinnert dabei an Sara Errani, ehemalige French-Open-Finalistin und Mentorin Paolinis, die auch dieses Mal mit stolzem Gesicht in der Players Box saß. Von dort sah Errani die stabile Vorhand, von Paolini oft mit mächtig Topspin gespielt, wie man ihn von einer Person mit einer Größe von 163 cm erstmal gar nicht erwarten würde.
Paolinis Vorhand mit viel Topspin
Doch wer glaubt, dass ein solches Spiel nur auf den Sand- und Hartplätzen dieser Welt funktioniert, wurde in den Tagen von Wimbledon eines Besseren belehrt. Der Ballabsprung auf Rasen ist niedriger als auf den Untergründen während des Rests der Saison. Das Spiel auf den grünen Halmen scheint wie auf Paolini zugeschnitten.
Paolini und die große Freude am Tennissport
Dazu kommt aber noch diese fast schon unwirklich anmutende Art und Weise von Paolini mit dem Tennissport umzugehen, es im wahrsten Sinne des Wortes als Spiel zu begreifen. Immer wieder, auch in den Tagen in Wimbledon, betont Paolini, dass sie jeden Tag rausgehe, um das Spiel zu genießen. Ihr Coach Renzo Furlan meinte einmal, er wüsste, es wäre etwas nicht in Ordnung mit ihr, wenn Paolini auf dem Trainingsplatz nicht lachen würde.
Mit dieser positiven Attitüde erobert Paolini die Herzen der Tennisfans im Sturm. Schon während der French Open zog sie die Zuschauer auf ihre Seite, auch in Wimbledon freuen sich viele mit ihr. Das Siegerinneninterview wurde immer wieder von Applaus unterbrochen.
Längstes Frauen-Halbfinale der Wimbledon-Geschichte
Im Halbfinale gegen die Kroatin Donna Vekic kam vor allem Paolinis Kampfgeist voll zur Geltung. Im mit 2:51 Stunden bislang längsten Frauen-Semifinale der Wimbledon-Geschichte musste Paolini sich nach einem schwachen ersten Satz in die Partie wühlen: "Am Anfang habe ich wirklich Probleme gehabt. Ich habe nicht gut aufgeschlagen. Ich musste mir immer wieder selbst sagen, dass ich jetzt einfach dranbleiben muss. Ich musste daran glauben, dass ich das Spiel noch drehen kann."
Das gelang ihr - und wie. Mit 10:8 im Match-Tiebreak entschied Paolini die Partie für sich und applaudierte anschließend aus vollem Herzen ihrer Gegnerin beim Verlassen des Centre Courts.
Jubel bei Paolini
Paolini gegen Krejcikova - Duell der oft Unbesungenen
Nun also die goldene Chance am Samstag. Denn dieses Mal geht es für Paolini im Endspiel nicht wie bei den French Open gegen die Weltranglistenerste und Sandplatzkönigen Iga Swiatek, auf deren bestem Belag und Lieblingscourt. Vielmehr spielt Paolini gegen eine, der vor drei Jahren Ähnliches wie ihr selbst gelungen war: Ein Aufstieg aus den Tiefen der Top 100.
Denn Barbora Krejcikova konnte am Donnerstag überraschend die große Titelfavoritin Elena Rybakina aus dem Turnier nehmen - mit viel Verve und Herz. So kommt es zum Finale der oft Unbesungenen, die trotzdem alles auf dem Platz lassen werden, inklusive eines erfrischenden Lachens.