Sieben Monate nach "Fall Hempel" DSV-Aufarbeitungskommission beginnt Untersuchung
Mehr als ein halbes Jahr nach der Ausstrahlung der ARD-Doku "Missbraucht" startet der Deutsche Schwimm-Verband mit der offiziellen Aufarbeitung
Es hat mehr als ein halbes Jahr lang gedauert, doch nun hat eine Aufarbeitungskommission mit der Untersuchung von Missbrauchsfällen im deutschen Schwimmsport begonnen. Am Samstag gab der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) bekannt, dass vier Wissenschaftler der Sporthochschule Köln am 1. März mit der Aufarbeitung begonnen haben: die Soziologinnen Bettina Rulofs und Fabienne Bartsch sowie Martin Nolte und Caroline Bechtel aus dem Institut für Sportrecht. Der Prozess der Aufarbeitung ist zunächst auf ein Jahr angelegt und wird vom DSV finanziert, nach Sportschau-Informationen mit 100.000 Euro.
Anlass für die Installation der Kommission ist die ARD-Dokumentation "Missbraucht – Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport", die im August vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde. Darin hatte unter anderem der ehemalige Weltklasse-Wasserspringer Jan Hempel hochrangigen DSV-Funktionären vorgeworfen, von jahrelangen sexuellen Übergriffen durch seinen damaligen Trainer gewusst zu haben, ohne sie später aufzuarbeiten. Im Zuge dessen hatte der DSV seinen ehemaligen Spitzenfunktionär Lutz Buschkow zunächst beurlaubt und ihm später fristlos gekündigt.
Die Kommission soll nun vorrangig die in der Dokumentation thematisierten Fälle aufarbeiten und in einem Jahr einen Abschlussbericht erstellen. Vor allem die Soziologin Bettina Rulofs gehört zu den führenden Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet sexualisierter Gewalt im Sport.
"Nicht einfach, qualifiziertes Personal zu finden"
Bei der Mitgliederversammlung des DSV am Samstag in Kassel erstatteten die beiden Vizepräsidenten Wolfgang Rupieper und Kai Morgenroth den Mitgliedsverbänden Bericht über die vergangenen vier Monate. Das Duo war erst im November als neue DSV-Führungsspitze installiert worden. "Ich freue mich, dass ich endlich verkünden kann, dass die Aufarbeitungskommission ihre Arbeit aufnimmt", sagte Rupieper in Kassel.
Der pensionierte Richter warb um Verständnis für den Zeitverzug, der dem DSV in den vergangenen Monaten unter anderem harsche Kritik seines Hauptgeldgebers, dem Bundesinnenministerium, eingebracht hatte. "Es ist viel Zeit seit unserer Ankündigung vergangen, aber es war nicht einfach, qualifiziertes Personal zu finden. Es ist ein aufwändiges Projekt, und wir wollten verhindern, dass die Kommission ähnlich wie beim Deutschen Handball-Bund schnell wieder auseinanderbricht."
"Für die Zukunft lernen"
Eine ähnliche Kommission zu Aufarbeitung zwischenmenschlicher Gewalt im Handball war im November 2022 nur wenige Wochen nach der Einrichtung wegen "unüberbrückbarer persönlicher Differenzen innerhalb der Kommission" aufgelöst worden. Die vom DHB angekündigte "zeitnahe Neuberufung" ist bislang nicht erfolgt.
Die Zielvorstellung, so betonte es DSV-Chef Rupieper in Kassel, sei klar: "Wir wollen die Vergangenheit beleuchten, um daraus für die Zukunft zu lernen." Rupieper betonte auch, dass die Aufarbeitungskommission extern und unabhängig arbeiten würde. Der DSV werde "vollumfänglich" Dokumente und Unterlagen zur Verfügung stellen. Bereits im vergangenen Jahr war die Aufarbeitungskommission durch Rupieper als "Leuchtturmprojekt" für den deutschen Sport angekündigt worden. "Die wissenschaftliche Expertise der Aufarbeitungskommission soll auch aufzeigen, was wir ändern müssen, um solchen Fällen vorzubeugen. Das kommt auch anderen Verbänden zugute."
Förderwürdigkeit laut DSV nicht auf dem Prüfstand
Der DSV-Vorstand hatte im Januar zu diesem Thema auch dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages Rede und Antwort gestanden. Der Gesprächsfaden mit dem zuständigen Parlamentarischen Staatssekretär Mahmut Özdemir (SPD) und dem Bundesinnenministerium sei weitergeführt worden, erklärte Rupieper. Özdemir hatte noch im August die Förderwürdigkeit des DSV infrage gestellt. Diese Gefahr sei aus Sicht des DSV vom Tisch. "Davon war überhaupt nicht mehr die Rede", sagte Rupieper den Delegierten in Kassel.
Aus dem Bericht des Vorstands wurde weiterhin deutlich, dass neben dem Thema Aufarbeitung auch die beiden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mit den früheren Spitzen-Funktionären Thomas Kurschilgen und Lutz Buschkow "den Verband bewegen", wie Morgenroth es nannte. Dem ehemaligen Leistungssportdirektor Kurschilgen war im Frühjahr 2021 außerordentlich gekündigt worden. Ihm wurden unter anderem Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit den Missbrauchsvorwürfen gegen den Würzburger Bundestrainer Stefan Lurz vorgeworfen.
Fälle Kurschilgen und Buschkow vor dem Abschluss
Der DSV hatte Buschkow im Oktober 2022 im Nachgang der ARD-Dokumentation gekündigt. Nach Sportschau-Informationen begründete der DSV die Entlassung damit, dass der ehemalige Bundestrainer Wasserspringen den DSV belogen habe. Buschkow hatte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erklärt, erst durch eine Presseanfrage von den Missbrauchsvorwürfen von Jan Hempel erfahren zu haben. Kurschilgen und Buschkow hatten gegen ihre Kündigungen geklagt, in den kommenden Monaten stehen die nächsten Gerichtstermine an. "Wir wollen diese beiden Fälle im ersten Halbjahr zum Abschluss bringen", sagte Morgenroth. Finanzielle Risiken, die aus diesen Verfahren entstehen könnten, seien bereits in den Haushalt eingeplant.