Platz 18 in der Schach-Weltrangliste Keymer verpasst WM-Kandidatenturnier nur knapp
Es hat nicht viel gefehlt, und mit Vincent Keymer hätte sich ein deutscher Schachspieler für das Kandidatenturnier um die WM qualifiziert. Noch muss Keymer warten - ist aber in den Top 20 der Weltrangliste angekommen.
Fünfter beim Grand Swiss Turnier, die Qualifikation zum Kandidatenturnier verpasst: Was Schachspieler Vincent Keymer am Wochenende erreicht hat, klingt erst einmal unspektakulär. Dementsprechend wenig wird über das Abschneiden des größten deutschen Schachtalentes berichtet.
Keymer ist mehr als ein Versprechen für die Zukunft
Aber der Eindruck täuscht. Tatsächlich zeigte Keymer in einem hochkarätig besetzten Turnier, dass er inzwischen Teil der Schach-Weltspitze ist und es wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er sich tatsächlich für eine Schach-WM qualifiziert.
Die Top 100 der Welt waren zum Turnier auf der Isle of Man, einer Insel in der irischen See, eingeladen worden - Keymer landete als Fünfter reihenweise vor Spielern, die in der Vergangenheit als potentielle Weltmeister gehandelt wurden (Firouzja, Aronian) oder schon mehrfach um die WM gespielt haben (Caruana).
Elo-Performance über 2800
Über elf Partien lag seine Elo-, also seine Spielstärke-Performance, bei 2.801. Also nur knapp unter Magnus Carlsen-Niveau - und der hat die Schachwelt im vergangenen Jahrzehnt nach Belieben dominiert. Durch seinen starken Auftritt machte Keymer in der Weltrangliste acht Plätze gut, ist auf Rang 18 so hoch platziert wie noch nie zuvor.
Seit seinem sensationellen zweiten Platz bei der Schnellschach-WM vor einem Jahr hat sich Keymer noch einmal weiterentwickelt. Hat er sich in einer Partie einen Vorsprung erarbeitet, so nutzt er diesen nun meist wirklich aus, um zu gewinnen, während er in der Vergangenheit Gewinnstellungen oft nicht verwerten konnte. Auffällig ist, wie schnell er seine Gegner unter Druck setzen kann, wenn er mit den weißen Figuren eine Partie eröffnen darf.
Mit den weißen Figuren wirkt Keymer fast unschlagbar
Vier seiner sechs Partien beim Grand Swiss Turnier mit weiß gewann Keymer - besonders eindrucksvoll gegen den Inder Nihal Sarin, der nach nur 30 Zügen aufgab. Keymer spielt noch immer eher langsam, kommt dadurch oft unter Zeitdruck - aber er nutzt seine Zeit nun noch besser, um die entscheidenden Züge in der Partie zu erkennen. Gegen Sarin nahm sich Keymer gut zehn Minuten Zeit, um dann mit dem Springer einen Bauern im Zentrum zu schlagen - Sarin versuchte dann noch, den Deutschen mit einem Damenopfer aus dem Konzept zu bringen, aber nach dem entscheidenden Zug brachte der Saulheimer die Partie schnell und sicher nach Hause.
"Er ist fast schon der beste Spieler der Welt mit Weiß, er gewinnt ja unglaublich viel damit", analysierte Schachstreamer Georgios Souleidis aka "The Big Greek" auf Youtube. Große Worte, über die nach Keymers rasanter Entwicklung inzwischen aber keiner mehr den Kopf schüttelt. Der Stil des 18-Jährigen ist aggressiver geworden, vor allem mit Weiß setzt er seine Gegner nun oft früh unter Druck. Fehlt nur noch, dass er auch mit den schwarzen Steinen aus der Defensive heraus mehr Siege einfährt - dann gibt es für Keymer anscheinend kein Limit.
Keymer sieht sich immer noch nicht in der absoluten Weltspitze
"Sehr zufrieden" sei er mit seinem Abschneiden, so Keymer gegenüber der Sportschau. Nur gegen den Russen Andrey Esipenko verlor Keymer eine Partie - Esipenko verpasste als Dritter letztlich denkbar knapp einen der ersten beiden Plätze, der jeweils für einen Startplatz im Kandidatenturnier gereicht hätte. Eine gute Auslosung habe er erwischt, so Keymer. Außerdem hätte er viele Gegner gehabt, "die auch an einem großen Kampf interessiert waren. So ergab sich die Chance für mich, alle diese Partien gegen starke Gegner wie Korobov, Sarin und Fedoseev zu gewinnen."
Angekommen in der Weltspitze? So weit sah sich Keymer in der Vergangenheit noch nicht und er gibt sich weiter zurückhaltend: "Die absolute Weltspitze sind für mich eigentlich eher die Top 10, aber es ist mir schon sehr wichtig zu sehen, dass ich mich weiter verbessere, meine Arbeit sich auszahlt und die Top 10 jetzt auch gar nicht mehr so weit weg sind."
Keymer ist erfolgreich - sucht aber immer noch Sponsoren
Umso erstaunlicher ist es, dass seine Suche nach einem Hauptsponsor noch nicht immer nicht erfolgreich war, wie Keymer zuletzt gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" bekannte. Da auch seine Sonderförderung durch den Deutschen Schachbund wackeln könnte, da der Verband in großen finanziellen Schwierigkeiten steckt, ist Keymer auf gute Turniere angewiesen. Die 30.000 Dollar Preisgeld vom Grand Swiss sind da Gold wert.
Seine Elo-Zahl liegt nun bei 2.733 und damit nur noch vier Zähler hinter dem deutschen Rekord von Arkadij Naiditisch. Diesen dürfte Keymer sehr bald einholen. Er hat bewiesen, dass sein Ruf als größtes deutsches Schachtalent seit Emanuel Lasker gerechtfertigt ist - und der war 27 Jahre lang Schach-Weltmeister.
Kandidatenturnier 2024? Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich
Selbst um den WM-Titel wird Keymer 2024 wohl aber noch nicht kämpfen können. Für das Kandidatenturnier im Frühjahr 2024, wo der Herausforderer von Weltmeister Ding Liren gesucht wird, sind zwar noch zwei Plätze frei. Aber die gehen an den Besten der Weltrangliste, in der noch immer einige vor dem Deutschen stehen. Und auch in der Gesamtwertung der Schachturniere dieses Jahres, dem sogenannten "FIDE Circuit", ist Keymer auf Rang 14 eher abgeschlagen.
Was auch daran liegt, dass er im Gegensatz zu vielen seiner Konkurrenten bei den German Masters keine Punkte einsammeln konnte - da diese nicht als nationale Meisterschaft geführt werden. Das möchte der Deutsche Schachbund nun aber wohl ändern. Womöglich ja schon bis zur nächsten Auflage im Dezember in Rosenheim. Klappt das, gelingt Keymer dort ein Triumph und kann er kurz darauf bei der Schnellschach-WM ähnlich gut abschneiden wie 2022, dann könnte das Kandidatenturnier doch noch konkret werden. Viel Konjunktiv, aber träumen ist bei Vincent Keymer längst erlaubt.