Fußball | Meinung Von Labbadia zu Hoeneß - Ein Jahr wie ein Jahrzehnt für den VfB Stuttgart
Vor exakt einem Jahr startete Trainer-Rückkehrer Bruno Labbadia die Mission Klassenerhalt beim VfB Stuttgart. Es ist kaum zu glauben, was sich seitdem bei den Schwaben getan hat, findet SWR-Sportredakteur Johann Schicklinski.
Vor genau einem Jahr, am 12. Dezember 2022, trat mit Bruno Labbadia beim VfB Stuttgart ein alter Bekannter das Trainer-Amt an. Die Schwaben hatten vor der langen Winterpause wegen der WM in Katar eine äußerst schwache Saison gespielt. 14 Punkte aus 15 Spielen lautete bis dahin die traurige Bilanz, die erst Coach Pellegrino Matarazzo den Job gekostet hatte und dann auch für Interimstrainer Michael Wimmer nicht reichte, um langfristig auf der VfB-Bank sitzen zu dürfen.
VfB-Bosse waren von Labbadia überzeugt
Bei Labbadia, so dachten die Verantwortlichen um VfB-Boss Alexander Wehrle und Präsident Claus Vogt, wisse man, was man bekommt. Ein erfahrener, pragmatischer, geerdeter Trainer, Typ Feuerwehrmann alter Schule. Ein harter Hund, der den jungen Stuttgarter Kader disziplinieren und der den Spielern vermitteln wird, was es heißt, im Abstiegskampf bestehen zu müssen. Zudem hatte Labbadia Stallgeruch - der frühere Nationalstürmer (zwei Länderspiele) hatte schließlich bereits von Dezember 2010 bis August 2013 für den VfB gearbeitet und war sogar der erfolgsreichste Coach der jüngeren Vereinsgeschichte gewesen.
Ich war damals auch überzeugt, dass Labbadia den Klassenerhalt aufgrund seiner Erfahrung realisieren wird. Darüber hinaus konnte ich mir keine große Entwicklung der Mannschaft unter ihm vorstellen, weil sich für mich bereits abzeichnete, dass das junge Team eine andere Art von Führung braucht.
Ein Jahr später lässt sich festhalten: Labbadias Mission ist grandios gescheitert. Was seither mit dem VfB Stuttgart passiert ist, ist schwer zu glauben.
Es passte nicht so richtig zwischen Mannschaft und Trainer
Doch der Reihe nach. Schnell stellte sich heraus, dass Labbadias fußballerischer Ansatz nicht zur Mannschaft passte. Der zum damaligen Zeitpunkt weitgehend von Ex-Sportdirektor Sven Mislintat zusammengestellte Kader war für schnellen Umschaltfußball konzipiert worden. Das biss sich mit Labbadias Idee, dass die Basis für Erfolge vor allem defensive Stabilität und das Reagieren auf die Stärken der jeweiligen Gegner sei.
Ob seine disziplinarischen Maßnahmen - wie etwa Training extrem früh am Morgen - Erfolg hatten, lässt sich nicht messen. Aus meiner Sicht definitiv ein Fehler war das öffentliche kritisieren einzelner Spieler, etwa Enzo Millot. Klar, das sind alles Profis, dachte ich mir, wenn es in Spieltagspressekonferenzen mal wieder um den Franzosen ging, doch ich war skeptisch, ob ein pädagogischerer Ansatz nicht besser sei.
Und dann kommt auch noch Pech dazu
Das ist nur ein Beispiel von vielen, letztlich zeichnete sich schnell ab, dass es zwischen Labbadia und dem Team kein Match war. Es war eine zähe Zeit mit uninspirierten Vorträgen, dazu hatte Labbadia Pech, etwa mit dem Ausfall von Top-Stürmer Serhou Guirassy. In der Summe hat es jedenfalls nicht gereicht und so war nach 26 Spieltagen am absoluten Tiefpunkt Schluss. Platz 18 mit lediglich 20 Zählern, Labbadia verließ den Klub in schlechterer Lage, als er ihn vorgefunden hatte.
Hoeneß sorgt für eine breite Brust
Ich gebe zu: Für mich war der Abstieg des VfB zum damaligen Zeitpunkt so gut wie besiegelt. Doch ich registrierte schnell: Hoeneß krempelte die Mannschaft einmal auf links, vor allem mental. Der neue Coach strahlte vom ersten Tag an Energie, Selbstbewusstsein und, am wichtigsten, Glaube aus. Glaube an den Erfolg seiner Mission - und an seine Mannschaft. Er lamentierte nicht, suchte nicht vorab nach Gründen, möglichen Misserfolg zu erklären, sondern ging von Tag eins an voran.
Das kam an bei der Mannschaft, die wieder anfing, an sich selbst zu glauben. Deren Brust wieder breiter wurde, die sich auch auf dem Platz etwas zutraute und sich letztlich zwar dramatisch, aber spielerisch überzeugend rettete. Dieses Selbstbewusstsein nahm das Team mit in die neue Spielzeit, wo es mit mutigem Spiel die Liga aufmischt.
Und zwar so sehr, dass man den VfB Stuttgart gar nicht wiedererkennt. Hohes Pressing, überfallartige Konter, extreme Passsicherheit und ein vertikales, auf Dominanz ausgelegtes Spiel sind zum Markenzeichen der Schwaben geworden, viele Fußballfans - nicht nur Anhänger des VfB - sind begeistert. Das zahlt sich aus: Tabellenplatz drei mit 31 Punkte aus 14 Spielen.
Ein Bessermacher für die Spieler
Hoeneß hat die Taktik und den Spielstil perfekt auf die Spieler ausgerichtet, der Abgang von Leistungsträgern im Sommer konnte überkompensiert werden. Zudem macht der 41-jährige Coach die Spieler besser. Chris Führich, Waldemar Anton, Enzo Millot und Co. sind fast nicht wiederzuerkennen.
Das gilt für den gesamten VfB Stuttgart. Vergleicht man die Situation, in der sich der Klub vor zwölf Monaten befand mit der aktuellen Lage, so muss es einem wie ein Traum vorkommen. Ein Jahr das sich anfühlt wie zehn Jahre, aus einer bleiernen Schwere wurde eine helle Leichtigkeit. Ob es in diesem Tempo weitergehen wird, bezweifle ich zwar, Dämpfer werden sicher auch wieder kommen, aber ich traue der Mannschaft mittlerweile sehr viel zu. Deshalb bin ich sehr gespannt, wo der Klub in zwölf Monaten stehen wird.