Hertha-Niederlage gegen Paderborn "Standortverstimmung" - die Hertha-Niederlage gegen Paderborn in der Analyse
Hertha BSC hatte sich für den Saisonauftakt gegen den SC Paderborn viel vorgenommen, aber nur wenig gezeigt. Die ernüchternde 1:2-Heimniederlage zeigt mehr Probleme als Lösungen - und bedeutet viel Arbeit für Trainer Cristian Fiél. Von Marc Schwitzky
Fußballfans haben ein dringliches Verlangen danach, sich mit den Verantwortlichen ihres Vereins identifizieren zu können. Dahingehend war die 1:2-Heimniederlage von Hertha BSC gegen den SC Paderborn tatsächlich ein Erfolg. Denn das Bild, das Trainer Cristian Fiél nach dem Spiel auf der Pressekonferenz abgab, ist eines, dass die Anhänger der "alten Dame" nur allzu gut kennen. Desillusioniert, ernüchtert, ein wenig ratlos – ja, Fiél ist nun einer von ihnen.
Hertha hatte eine fußballerisch ansehnliche Saisonvorbereitung absolviert, die mit vielen Prinzipien von Fiél-Vorgänger Pal Dardai brach. Neuzugänge wie Diego Demme und Michael Cuisance fügten sich bestens ein. Zum ersten Heimspiel kamen 48.000 Zuschauer, die Ostkurve eröffnete die Partie mit einer schönen Choreo. Selbst der mittlerweile 82-jährige Frank Zander gab sich die Ehre und performte ein weiteres Mal die Hymne "Nur nach Hause". Es war angerichtet.
"Ich hatte in der letzten Trainingswoche das Gefühl, dass die Jungs brennen und loslegen wollen", sagte Fiél. "Davon haben wir nicht sehr viel auf den Platz bekommen. Ich bin ehrlich, ich kann es nicht sagen, woran es lag." Ein Urteil, das schon viele Hertha-Trainer vor ihm genau so fällten. Der Abgleich von Erwartung und Realität ist bei den Berlinern oft kein schmeichelhafter und wirft Rätsel auf - so auch am Samstagnachmittag.
Viele Ansätze, wenig Ertrag
Und doch ist – selbst bei Niederlagen – ja meist nicht alles schlecht. Die Blau-Weißen zeigten gegen die Ostwestfalen vor allem im ersten Durchgang einige vielversprechende Ansätze. Mit Ball bewies sich das neue Aufbauspiel mehrmals. Hertha gelang es immer mal wieder gut, den Ball flüssig in die gegnerische Hälfte zu bringen – die womöglich größte Schwäche unter Vorgänger Dardai, unter dem die Spieleröffnung meist sehr behäbig und ideenlos daherkam.
Der Aufbau mit einer Dreierkette und dem ins Zentrum oder den Halbraum einrückenden Linksverteidiger funktionierte und bereitete Paderborn zunächst Probleme. Auch die Variabilität durch mehrere Positionswechsel wie beispielsweise einem abkippenden Diego Demme machte Hertha kaum pressbar. Hertha zeigt hier eine deutlich verbesserte Haltung zum Spiel als in der Vorsaison.
Doch der Ertrag fiel mickrig aus. Das lag zum einen an der mangelnden Passstärke ins letzte Angriffsdrittel, zu viele Bälle wurden zu lasch oder unpräzise gespielt. Zum anderen am Verhalten der offensiven Flügelspieler. "Wir haben uns oft außen frei gespielt, aber sind dann doch nicht ins Eins-gegen-eins gegangen, sondern haben nochmal abgebrochen und nach hinten gespielt", kritisierte Demme nach Abpfiff. "Wir haben ein bisschen zu schüchtern gespielt."
Dabei ist Mut die entscheidende Eigenschaft, um den Fiél-Fußball vollumfänglich auf den Rasen bringen zu können. Ansonsten lahmt er. Die richtige Entscheidungsfindung der offensiven Flügelspieler ist ein Schlüssel, denn sonst entsteht nicht die benötigte Tiefe im Angriff – Hertha kam gegen den tiefstehenden SCP viel zu selten hinter die Abwehrkette.
Reese-Ausfall kann nicht aufgefangen werden
Palko Dardai, Derry Scherhant, Marten Winkler – alle Berliner Flügelstürmer blieben am Samstag blass. Und Herthas Angriffsspiel dadurch überaus zahnlos. Das Fehlen des verletzten Unterschiedsspielers Fabian Reese machte sich schmerzlich bemerkbar – und kann nur schwer von einem Trainer aufgefangen werden. Zum einen sucht Reese konsequent die Tiefe und die direkten Duelle gegen die Verteidiger. Zum anderen schlägt der 26-Jährige mit Abstand die besten Flanken der Hauptstädter. 17 Pflichtspieltore bereitete er in der vergangenen Spielzeit vor. Diese Qualität fehlt aktuell und kann nicht ersetzt werden.
Gegen Paderborn schlugen die Berliner 20 Flanken – nur die wenigsten fanden ihr Ziel und waren scharf genug geschlagen. Mittelstürmer Haris Tabakovic war der Leidtragende, er bekam wenige und unbrauchbare Bälle. Auch deshalb, weil er lange Zeit im Strafraum vereinsamte, erst mit der Hereinnahme von Co-Stürmer Luca Schuler konnte er etwas Freiraum für sich gewinnen. Die ungenügende Strafraumbesetzung ist ein weiteres Manko der Berliner, das zur mangelnden Torgefahr beiträgt.
Alte Schwächen
Zu Herthas durchwachsenen Auftritt gesellten sich auch altbekannte Schwächen. Beginnend mit mangelhaftem Verteidigen von Standardsituation. Das 0:1 nach Eckball kann nur fallen, weil die Zuordnung im Strafraum überhaupt nicht stimmt und Torschütze Felix Götze leichtes Spiel hat. Die Berliner hatten jene Schwäche bereits in der vergangenen Saison und auch jüngsten Vorbereitung ausgemacht und extra dafür in der zurückliegenden Trainingswoche Einheiten veranschlagt – geholfen hat es nicht.
Auch die leichten Fehler im Abwehrverhalten kann Hertha noch nicht abstellen, das 0:2 resultiert aus schlafmützigem Verteidigen des Rückraums, den kein Abwehrspieler als seinen Aufgabenbereich erkannte.
Hertha braucht Geduld, hat aber keine Zeit
Nur wenige Fußballteams wissen vor Saisonbeginn, wo sie im Kräfteverhältnis der Liga stehen. Und so ist der Saisonauftakt stehts eine Standortbestimmung, wie weit sie in ihrem Spiel sind. Die Heimpleite gegen Paderborn macht deutlich, dass noch viel Arbeit vor dem Trainerteam um Fiél steht – womöglich mehr als zunächst angenommen. Zwar können erste Lernerfolge im Aufbauspiel und Gegenpressing verzeichnet, aber weitaus mehr Probleme ausgemacht werden. So hat die sehr gute Torchance von Cuisance in der 47. Minute, die beinahe zum 1:1-Ausgleich führte, sehr gut illustriert, wo Hertha spielerisch hin will - doch es blieb beinahe die einzige Szene ihrer Art.
Die Abwehr macht in den entscheidenden Momenten noch zu viele Fehler, das Übergangsspiel ins letzte Drittel muss deutlich dynamischer und präziser werden, und die Lösungen gegen tiefstehende Gegner, auf die Hertha öfter treffen wird, erarbeitet werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass solch eine tiefgreifende Veränderung wie der Wechsel von Dardai- zu Fiél-Fußball nicht reibungslos verläuft. Der neue, komplexe Spielansatz braucht Geduld.
Doch hier befindet sich Hertha in einem Dilemma, denn in der zweiten Saison im Unterhaus ist Geduld ein Luxusgut. Die Berliner stehen unter dem Druck, in der noch frischen Saison um den Aufstieg mitzuspielen zu müssen, allzu großes Stolpern ist dahingehend kaum erlaubt. Sprich: Für Geduld ist kaum Zeit, Fiél wird trotz eines verständlichen Transformationsprozesses schnell Ergebnisse liefern müssen. Einen Fehlstart wie vor einem Jahr darf Hertha nicht hinlegen, sonst könnte es schnell ungemütlich werden.
Sendung: rbb24 inforadio, 03.08.2024, 22 Uhr