Vor dem Bundesliga-Neustart gegen Bayern München Turbine Potsdam - Absturz eines Vorzeigeprojektes
Mit nur einem Punkt ist Turbine Potsdam abgeschlagen Letzter der Frauen-Bundesliga. Dem einstigen Erfolgsklub droht der Abstieg.
Sven Weigang packt mit an. Im verregneten Januar-Grau stellt er mit einigen Spielerinnen die Tore auf dem Trainingsplatz im Sportforum Waldstadt auf. Es wird erzählt und gelacht. Die Laune ist gut beim Turbine-Coach und seinem Team. Jedoch nur, solange er eines meidet: den Blick auf die Tabelle. "Das mache ich bestimmt nicht", erklärt der 58-Jährige, "denn das macht die Stimmung nicht besser."
Einst Vorzeigeprojekt, nun auf dem letzten Tabellenplatz: Turbine Potsdam steckt in der Krise. Frühere Spielerinnen sprechen von schlechten Bedingungen und chaotischen Strukturen. Auch im zurückgetretenen Vorstand soll es eine Spaltung gegeben haben. Von Tamara Kellermehr
Neun Punkte Rückstand auf Nichtabstiegsplatz
Lediglich ein einziger Punkt ist dort für die Brandenburgerinnen verzeichnet. Nach zehn Spieltagen ist der sechsmalige Deutsche Meister Letzter der Frauen-Bundesliga und damit so schlecht wie nie zuvor. Dem einstigen Vorzeige-Klub im Frauenfußball droht der Abstieg. Über dieses Szenario nicht nachzudenken, "wäre mehr als realitätsfern", sagte Präsident Karsten Ritter-Lang dem Sport-Informationsdienst (SID). Ganze neun Punkte Rückstand hat Turbine auf einen Nichtabstiegsplatz. Und dennoch geht bei Coach Weigang, der die Mannschaft seit dem Aus von Trainer Sebastian Middeke im November interimsmäßig leitet, der Blick nach oben.
Dort standen die Potsdamerinnen noch in der letzten Saison, verpassten nur knapp die Qualifikation für die Champions League. "Wenn man sich die Entwicklung im Frauenfußball anschaut, ist es natürlich logisch, dass es eigenständige Frauen-Fußballvereine immer schwerer haben, aber dass es jetzt so abrupt passiert, kam dann doch sehr überraschend", sagt Torfrau Vanessa Fischer zum Absturz ihres Klubs. Mit zwei Trainerwechseln, einem Umbruch im Team und dem Zerfall der Führungsebene blickt Turbine auf turbulente Zeiten zurück.
"Wenn jemand anfängt zu zweifeln, hat es keinen Sinn"
Und als wäre es nicht schon schwer genug, kommt im ersten Spiel nach der Winterpause am Sonntag (13 Uhr) mit Vize-Meister Bayern München gleich ein scheinbar übermächtiger Gegner ins Karl-Liebknecht-Stadion. "Mal schauen, wie weit wir gegenhalten können. Sie sind der Favorit und wir der Außenseiter", fasst Weigang die klare Rollenverteilung zusammen.
"Wir haben nichts zu verlieren. Tiefer können wir nicht abstürzen", stimmt Dirk Heinrichs, seit inzwischen 20 Jahren Co-Trainer bei Turbine, zu. Angesichts der Lage sind er und sein Trainerteam derzeit nicht nur als Fußball-, sondern auch als Mentaltrainer gefragt. "Unser Job wird es jetzt sein, die Mädels locker zu halten, damit sie daran glauben, dass sie Fußball spielen können", erklärt der 54-Jährige, denn: "Wenn jemand anfängt zu zweifeln, hat es keinen Sinn."
Turbine will gegen direkte Konkurrenten punkten
In der Wintervorbereitung habe das Team die Intensität und Qualität im Training immer weiter steigern können, um gerade die jungen und unerfahrenen Spielerinnen an die Belastung und das Niveau der Bundesliga zu gewöhnen. "Wir haben hart trainiert, damit wir auf den Kampf vorbereitet sind, den wir jetzt abliefern müssen", so Torhüterin Fischer. Selbstvertrauen konnte sich Turbine mit einem 2:0-Sieg im Testspiel gegen Slask Wroclaw (Platz fünf der polnischen Liga) holen. Gegen Regionalligist Union Berlin gab es dagegen eine knappe 0:1-Niederlage.
Am Sonntag wird die Potsdamerinnen gegen den aktuellen Bundesliga-Zweiten Bayern ein deutlich höheres Niveau erwarten. "Vielleicht ist es aber auch nicht verkehrt, dass wir erst recht nichts zu verlieren haben in dem Spiel, sondern relativ befreit aufspielen können", hofft Fischer und weiß: "Die wichtigen Spiele kommen danach gegen Duisburg und Bremen, wo wir Punkte mitnehmen müssen."