Nationalspieler im Interview SG-Kapitän Golla zur Flensburg-Krise - "Erschüttert eine Mannschaft"
Handball-Bundesligist SG Flensburg-Handewitt steckt zum Jahresende in der Krise. Bei einigen Spielern herrscht offenbar Unmut über die Entlassung von Trainer Nicolej Krickau. Kapitän Johannes Golla spricht im NDR Interview offen über die schwierige Lage, die Krickau-Entscheidung und seinen Wechsel zur MT Melsungen im Sommer 2026.
Mit der Schlusssirene war der Krimi noch nicht vorbei. Ein Siebenmeter blieb der SG Flensburg-Handewitt in der Hamburger Arena noch, um das Schlimmste zu verhindern. Emil Jakobsen schnappte sich den Ball, trat an die Linie, täuschte einmal kurz an und traf dann per Aufsetzer zwischen Robin Haugs Beine hindurch ins Tor der Gastgeber - 32:32!
"Immerhin noch ein Zähler, sonst hätte es nicht gut ausgesehen", räumte SG-Interimstrainer Anders Eggert nach der Partie ein. Hätten dem zweimaligen dänischen Weltmeister Jakobsen die Nerven versagt, wäre die Bilanz nach den ersten drei Partien nach der Entlassung von Trainer Nicolej Krickau in der Tat richtig schlecht ausgefallen.
Nur ein Sieg nach dem Trainerwechsel
Es gelang zwar in der ersten Bundesligapartie dank eines Kraftakts ein 38:37-Heimsieg gegen das Top-Team Füchse Berlin. Doch danach folgte auch schnell das Ausscheiden im Viertelfinale des DHB-Pokals bei der MT Melsungen, wodurch die erste Titelchance der Saison dahin ist.
Und eine weitere Niederlage in Hamburg hätte vermutlich auch schon die zweite Chance auf den Gewinn einer Trophäe in dieser Saison zunichte gemacht. Durch den geretteten Punkt in Hamburg sind es nach dem 16. Spieltag nun 22:10 Zähler. So bleibt in dem Wettbewerb zumindest noch eine Resthoffnung. Nur in der European League ist alles im Lot.
"Wir sind nicht näher an die Ziele gekommen, die wir uns gesteckt haben. Eigentlich sollten wir weiter sein als das, was wir gerade auf der Platte zeigen."
— Johannes Golla
Klar ist aber in jedem Fall: Die SG Flensburg-Handewitt hinkt deutlich den eigenen Erwartungen hinterher. Das räumt auch Joahnnes Golla ein: "Es hätte uns sehr gut getan, wenn wir die zwei Punkte mitgenommen hätten, weil wir gerade nicht vor Selbstvertrauen strotzen", sagte der SG-Kapitän. "Wir hatten uns sicherlich mehr erhofft von der letzten Woche und auch von dem Spiel in Hamburg. Das ist uns nicht geglückt. Es passt irgendwie zur Saison."
Der Nationalspieler, der im Sommer 2026 zur MT Melsungen zurückkehren wird, redete im NDR Sportclub Klartext: "Wir sind nicht näher an die Ziele gekommen, die wir uns gesteckt haben. Eigentlich sollten wir weiter sein als das, was wir gerade auf der Platte zeigen." Die Mannschaft sei zu einem "richtig guten Top-Niveau" im Stande, sagte Golla: "Aber die Schwankungen sind zu groß. Ich glaube, da hat gerade jeder Spieler mit sich selbst zu tun, seine Form konstant zu zeigen."
Kritik im Team an der Krickau-Entlassung
Bezogen auf die vergangenen Tage könnte dies auch auf die Entlassung von Krickau zurückzuführen sein. Einige im Team konnten diese Entscheidung nicht nachvollziehen. So soll nach Informationen der "Bild" Torhüter Kevin Møller in der Kabine der Kragen geplatzt sein. Auch viele Anhänger des Clubs kritisierten den Schritt. Schließlich waren dem Team nur zwei Wochen zuvor ein klarer Erfolg im DHB-Pokal bei der TSV Hannover-Burgdorf und ein souveräner Sieg im 111. Landesderby beim THW Kiel gelungen. Krickau wurde Ende November nach der 24:33-Abreibung im Bundesligaspiel bei der MT Melsungen entlassen.
Vranjes entschuldigt sich für Mikrofon-Wurf
Im Pokalspiel bei den Nordhessen lagen dann die Nerven der Flensburger blank. Während einer Auszeit warf Mads Mensah Larsen das per langer Stange über den Mannschaftskreis hineingehängte Mikrofon weg, obwohl so etwas seit vielen Jahren Standard ist. Bei der nächsten Auszeit wiederholte sich dies. Geschehen sei dies aus Furcht davor, von den Melsungern abgehört werden zu können, so wie sie dies im Bundesligaspiel getan hätten, hieß es vonseiten der Flensburger. Die Melsunger bestritten dies vehement. Flensburgs Sportlicher Leiter Ljubomir Vranjes entschuldigte sich für den Mikrofon-Wurf.
"Ich glaube, wir müssen jetzt nicht mehr über die Situation reden. Darüber ist viel gesagt worden", sagte Golla zu den Vorfällen. Aber klar, das sei "ein Signal", räumte er ein. "Solch eine Trainerentlassung hinterlässt natürlich auch bei den Spielern Spuren. Es ist eine Extremsituation, weil man sich nicht nur mit der Mannschaft, sondern sich auch in Verbindung mit dem Trainerteam auf einen gemeinsamen Weg begibt. Und wenn dann ein Teil wegbricht, dann erschüttert das natürlich auch eine Mannschaft."
"Solch eine Trainerentlassung hinterlässt natürlich auch bei den Spielern Spuren."
— Johannes Golla
Im Team habe es "sicherlich gemischte Gefühle" nach der Krickau-Entlassung gegeben, so Golla. "Es ist kein Geheimnis, dass bei uns viele Spieler jahrelang mit Nicolej Krickau als Trainer zusammengearbeitet haben und dann auch ein großes Vertrauensverhältnis besteht. Deswegen waren die ersten Tage nicht leicht. Das wird auch noch ein paar Tage dauern, bis man das alles komplett verarbeitet hat."
Es stehe ihm aber nicht zu, sich dazu zu äußern, ob die Entscheidung alternativlos gewesen sei, sagt der 27-Jährige: "Ich glaube, dass sich die Entscheider in der Situation schon überlegt haben, was sie tun. Und dann auch wahrscheinlich Argumente hatten, um diese Entscheidung zu treffen."
Golla: "Als Familie oft sehr alleine in Flensburg"
Eine Entscheidung hat auch Golla getroffen. Er wird im Sommer nächsten Jahres die SG verlassen und zur MT Melsungen zurückkehren. Er begründete diesen Schritt mit mehr gewünschter Nähe zur Familie und Freunden. "Wir merken, dass wir als Familie oft sehr alleine sind in Flensburg. Ich bin viel unterwegs, sowohl mit Nationalteam als auch mit Auswärtsspielen. Wenn mal etwas ansteht, entweder meine Frau ist krank, meine Kinder sind krank, dann ist es sehr schwer, Hilfe zu bekommen. Die Familie ist sehr weit weg."
Golla entschuldigt sich für Zeitpunkt der Wechsel-Nachricht
Zudem würden die Kinder oft nach Oma und Opa fragen. "Und wir können ihnen dann nur sagen, dass sie vielleicht in zwei, drei Monaten zu Besuch kommen. Meine Frau und ich haben uns monatelang über die Situation ausgetauscht und sind am Ende zum Entschluss gekommen, dass die Sehnsucht nach Nähe zur Heimat einfach zu groß ist", sagte der Kreisläufer. Dass dies kurz vor dem Pokalspiel bei der MT öffentlich wurde, "war ein absolut blöder Zeitpunkt. Dafür muss man sich auch in gewisser Weise entschuldigen."
Es sei eine sehr turbulente Woche gewesen, sagte Golla. Und noch ist ja nicht Schluss in diesem Jahr. Am kommenden Freitag (20 Uhr) ist Aufsteiger SG BBM Bietigheim zu Gast in der heimischen Arena. Danach geht die SG wegen der WM im Januar in die Pflichtspielpause. Es scheint, als könnte der Club diese Phase bestens gebrauchen.
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 22.12.2024 | 22:50 Uhr