NDR-Sport Mission Aufstieg: Diese fünf HSV-Probleme muss Trainer Polzin lösen
Der HSV ist trotz einer durchwachsenen Hinrunde in der 2. Liga auf Tuchfühlung mit den Aufstiegsplätzen. Damit es mit der ersehnten Bundesliga-Rückkehr klappt, müssen die Hanseaten unter Neu-Cheftrainer Merlin Polzin allerdings mehrere Baustellen in ihrem Spiel beackern.
Beim HSV sehnen sie sich nach Licht. Als der Club kurz vor Weihnachten bekanntgab, dass Polzin zum Cheftrainer aufsteigt, erschien auf der Homepage des Vereins eine Erläuterung von Stefan Kuntz zur Entscheidung für den 34-Jährigen. Einer der Gründe für den Sportvorstand war demnach, dass "Merlin und sein Team in den vergangenen vier Wochen genau gezeigt haben, dass sie versuchen, die dunklen Türen aufzumachen".
Übertragen auf die nach sieben Remis im wahrsten Sinne "unentschiedene" Hinrunde könnte man das auch so interpretieren: Es gab mit dominanten Vorstellungen wie in Düsseldorf (3:0), gegen Magdeburg (3:1), in Karlsruhe (3:1) oder kurz vor Weihnachten gegen Fürth (5:0) einiges an Licht. Andererseits mit so irritierend-ernüchternden Darbietungen wie in Elversberg (2:4), in Braunschweig (1:3), gegen Nürnberg (1:1) oder in Ulm (1:1) aber auch ziemlich viel Schatten.
Fünf Probleme hemmen das HSV-Spiel
Oder, um das Bild auf das große Ziel des Clubs zu übertragen: Soll die Rückkehr aus der gefühlten "Dunkelheit" der 2. Liga ins "Licht" der Bundesliga im siebten Anlauf endlich klappen, müssen mehr Konstanz und mehr Entschiedenheit in die Auftritte. Und eben die "dunklen Türen" geöffnet werden.
Polzin startete den von ihm selbst ausgerufenen "Angriff" auf den Aufstieg mit der ersten Übungseinheit des neuen Jahres am Donnerstag. Heute geht es dann ins Trainingslager in die Türkei. Er und das Team haben bis zum Rückrundenstart am 18. Januar zu Hause gegen den 1. FC Köln (20.30 Uhr, im NDR Livecenter) viel Arbeit vor sich, denn Probleme offenbarte das Spiel des HSV trotz Platz drei und nur einem Zähler Rückstand auf einen direkten Aufstiegsplatz in der Hinrunde zuhauf.
Den Daten des Global Soccer Networks (GSN) zufolge sind es vor allem fünf Baustellen, die Polzin in der Vorbereitung angehen muss:
- die defensive Stabilität in Verbindung mit kritischen Ballverlusten
- die Luftzweikämpfe (trotz zwölf eigener Kopfballtreffer)
- die Ineffizienz im zentralen Angriffsspiel
- die Schwächen im offensiven Passspiel
- die Inkonsequenz im Mittelfeld
Defensive Stabilität und kritische Ballverluste
Der HSV ist mit 98,29 Ballverlusten pro Spiel ligaweit das Team mit der geringsten Zahl an Ballverlusten. Dieser Wert spiegelt laut GSN "die Vorsicht und das sichere Passspiel wider, das die Mannschaft im Aufbau bevorzugt". Im Club sprechen viele gerne von "Kontrolle". Doch die ist äußerst trügerisch, denn obwohl die Gesamtzahl niedrig ist, liegt hier ein großes Problem: 40 Prozent dieser Fehler geschehen in der eigenen Hälfte, der höchste Anteil aller Teams. Diese riskanten Ballverluste setzen die Abwehr regelmäßig unter Druck und führen oft zu gefährlichen Umschaltsituationen für den Gegner.
Hinzu kommt eine Fortsetzung einer bereits seit Längerem bestehenden Schwäche der Hamburger: ein extrem schwaches, beinahe non-existentes Gegenpressing. Nach einem Ballverlust gelingt es den Norddeutschen nur selten, den Ball schnell zurückzuerobern. Besonders eklatant ist das in der gegnerischen Hälfte. Keine einzige Rückeroberung gelang dem Team binnen fünf Sekunden nach einem Ballverlust in der Hinrunde (Platz 18). Dieses fehlende Gegenpressing ermöglicht es den Gegnern, den Ball ungestört zu kontrollieren und eigene Angriffe aufzubauen.
Lösungen könnten in einer klareren Struktur im Spielaufbau mit definierten Anspielstationen im Mittelfeld liegen. Ein Spieler wie Immanuel Pherai könnte helfen, den Ball zu behaupten und Druckphasen des Gegners zu überbrücken. Zudem könnte ein defensiver Mittelfeldspieler als Anspieloption in schwierigen Situationen dienen. Die Umstellung auf ein 4-1-2-1-2-System mit Raute würde das den Daten nach begünstigen.
Schwäche bei Luftzweikämpfen
Der HSV hat zwar bereits zwölf Kopfballtore erzielt, liegt mit nur 15,59 offensiven Luftduellen pro Spiel aber auf Platz 15 der Liga. Die GSN-Analysten konstatieren: "Standardsituationen wie Ecken oder Freistöße bleiben weitgehend ungefährlich." Zumal das Angriffsspiel "ohne eine verlässliche Präsenz in der Luft" deutlich leichter zu verteidigen ist.
In der Defensive zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Hamburger liegen mit einer Erfolgsquote von 49 Prozent bei defensiven Luftduellen im Mittelfeld der Liga (Platz 11): Es fehle "an Dominanz, um gegnerische Kopfballspieler konsequent" zu verteidigen. Hinzu kommt, dass Teams, die auf lange, hohe Zuspiele setzen, es immer wieder schaffen, den Ball in für die "Rothosen" gefährliche Zonen zu lenken.
Mögliche Lösungen: In der Defensive geht es beim Polzin-Team vor allem um noch mehr Robustheit und physische Präsenz. Und im Angriff darum, die Stärken von Spielern wie Davie Selke (und wenn er wieder fit ist: Robert Glatzel) einzusetzen. Einerseits bei ruhenden Bällen, andererseits aber auch aus dem Spiel heraus über gezielte Verlängerungen - oder über Ablagen und Verlagerungen im Zusammenspiel mit einem Aufbauspieler wie Pherai.
Ineffizienz im zentralen Angriffsspiel
Der Niederländer könnte, bekommt er das Vertrauen und findet erstmals in seiner HSV-Karriere in einen Rhythmus, zu einer Lösung eines weiteren eklatanten Problems beitragen. Mit einer Erfolgsquote von nur 30 Prozent bei Angriffen durch die Mitte liegen die Norddeutschen auf dem letzten Platz der Liga. Die Abhängigkeit von Flügelangriffen - die linke Seite mit Miro Muheim und Jean-Luc Dompé ist mit 41 Prozent erfolgreicher Angriffe Ligaspitze - macht das Spiel berechenbar.
Pherai könnte als Dreh- und Angelpunkt in der Mitte fungieren. Eine Rolle, die er bei seiner vorherigen Station in Braunschweig bereits erfolgreich ausfüllte. Seine Hauptaufgabe: die gegnerische Defensive mit präzisen Pässen auseinanderziehen. Zudem könnte laut GSN auch hier ein 4-1-2-1-2 helfen. Mit einer Mittelfeldraute könnten zwei "Achter" die Halbräume nutzen, während Pherai die zentrale Angriffszone orchestriert. Auch hier könnte das Zusammenspiel von Selke und Pherai etwa über Chip-Bälle effektiver machen.
Immanuel Pherai könnte, wenn er in Form kommt, ein wichtige Rolle im HSV-Spiel übernehmen.
Schwächen im offensiven Passspiel
Dafür muss Polzin aber auch eine andere Schwäche in den Griff bekommen. Der HSV versucht kaum, das Spiel schnell in die Tiefe zu verlagern. Mit nur 35,88 langen Pässen pro Spiel (Platz 18) spielt die Mannschaft die wenigsten langen Bälle - und ist dabei auch noch ineffizient (nur 18,59 erfolgreiche Pässe, ebenfalls Platz 18).
Nimmt man noch die geringe Anzahl an Pässen ins letzte Drittel (42,71 pro Partie, Platz 14) hinzu, ergibt sich ein insgesamt zu langsames und vorhersehbares - und oberflächlich betrachtet ideenlos wirkendes - Spiel, auf das sich Gegner gut einstellen können. Natürlich wiegen die Verletzungen von Spielern wie Stürmer Glatzel oder Mittelfeldmotor Ludovit Reis in dieser Hinsicht schwer, als Ausrede aber können sie nicht gelten.
Neu-Chefcoach Polzin wird darauf setzen müssen, dass aus dem zentralen Mittelfeld heraus mehr "präzise vertikale Pässe die Verbindung zwischen Abwehr und Angriff" gespielt werden, um den Gegner zu attackieren. Zudem wird auch hier eine mögliche Lösung in mehr langen und hohen Anspielen auf einen Spieler wie Selke liegen, um weniger ausrechenbar zu werden.
HSV-Mittelfeld: Defensiv inkonsequent, wenig Offensiv-Impulse
Das hat auch damit zu tun, dass das gesamtmannschaftliche Offensivspiel lahmt. Blickt man auf das Mittelfeld des HSV als Ganzes, so lautet das Zeugnis zugespitzt: offensiv eingeschränkt kreativ, defensiv inkonsequent. In Daten dokumentiert: Mit nur 1,18 "smarten Pässen" (Platz zwölf) und 3,59 Schlüsselpässen pro Spiel (Platz sieben) ist der offensive Impuls aus der Spielfeld-Mitte mau. Und mit nur 40,47 gewonnenen Bodenzweikämpfen pro Spiel (Platz 13) fällt es den Akteuren schwer, gegnerische Angriffe zu stoppen.
Die Hamburger werden ihre Rollen klarer definieren müssen, um ihr Spiel in beide Richtungen besser auszubalancieren. Sollten sie eine Umstellung auf ein 4-1-2-1-2 vornehmen mit einem "Sechser" (Absicherung), zwei "Achtern" (Box-to-Box-Spielern) und einem "Zehner" (Kreativspieler) könnten in Verbindung mit Selke als Verbindungsspieler das Mittelfeld effektiver machen.
Systemumstellung oder Schulungen?
Die Schwierigkeit einer Systemumstellung, wie sie Polzins Vorgänger Steffen Baumgart in einem seiner Experimente ausprobiert hat, könnte an der Notwendigkeit des kurzfristigen Erfolgs scheitern. Eine Änderung von Formation, Abständen und Abläufen kostet Zeit. Zeit, die der Club eigentlich nicht hat. Zumal im Kader etwa ein wirklicher Box-to-Box-Spieler fehlt - am ehesten sind das noch Lukasz Poreba, Marco Richter oder Reis.
Bleibt Polzin beim 4-3-3, wird er die fünf Baustellen in dem System über individual- und mannschaftstaktische Schulungen beheben müssen. Mittelfeldabräumer Jonas Meffert ist überzeugt, dass dem 34-Jährigen das gelingt: "Er hat an bestimmten Dingen und Abläufen etwas verändert, dabei auch versucht, die Spieler auf die Positionen, auf denen sie sich am wohlsten fühlen, zu bringen."
Wenn sich der Club aber weiter vor allem auf die individuelle Qualität einzelner Spieler verlassen muss und wenn die Kuntz'schen "dunklen Türen" auch unter Polzin weiter geschlossen bleiben, besteht für den mittlerweile zum Zweitliga-Dino mutierten Club erneut die akute Gefahr, dass das "Licht" der Bundesliga, nach dem sich beim HSV alle so sehnen, wieder einmal andere erblicken.
Mögliche HSV-Aufstellung ohne Robert Glatzel: 4-1-2-1-2
Heuer Fernandes - Muheim, Schonlau, Hadzikadunic, Hefti - Meffert - Reis, Poreba - Pherai - Selke, Königsdörffer
Mögliche HSV-Aufstellung mit Robert Glatzel: 4-2-4
Heuer Fernandes - Muheim, Schonlau, Hadzikadunic, Hefti - Meffert, Pherai - Dompé, Richter, Selke, Glatzel
Dieses Thema im Programm:
Hamburg Journal | 03.01.2025 | 19:30 Uhr