NDR-Sport Herbert Zimmermann: Die Reporter-Legende vom WM-Endspiel 1954
Heute vor 70 Jahren gewinnt die Bundesrepublik Deutschland sensationell die Fußball-Weltmeisterschaft. Maßgeblichen Anteil am "Wunder von Bern" und seiner Bedeutung haben nicht nur die Spieler, sondern auch Kommentator Herbert Zimmermann.
Hier sind alle Sender in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin angeschlossen. Wir übertragen aus dem Wankdorf-Stadion in Bern das Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Ungarn. Reporter ist Herbert Zimmermann."
— BR-Hörfunkchef Robert Lembke am 4. Juli 1954
Mit diesen Worten übergibt der damalige Hörfunkchef des Bayerischen Rundfunks, Robert Lembke, an seinen Kollegen Herbert Zimmermann, der den Radio-Kommentar zum Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 spricht. Sein Name und seine Worte sind seither mit dem "Wunder von Bern", zu dem sich das anfangs für die deutsche Seite noch aussichtslose Spiel entwickeln sollte, untrennbar verbunden.
Und das, obwohl die WM in der Schweiz das erste Sportereignis war, das auch vom Fernsehen in mehrere Länder direkt übertragen und live mitverfolgt werden konnte. Doch der Fernsehkommentar von Bernhard Ernst ist heute völlig vergessen. Zum einen gab es damals noch keine technische Möglichkeit, Fernseh-Livesendungen aufzuzeichnen. Zum anderen hatte das vergleichsweise neue Medium in Deutschland recht wenige Nutzer. Nur rund 27.000 Fernsehgeräte waren damals in der Bundesrepublik angemeldet.
Die Worte von Herbert Zimmermann sind untrennbar mit dem "Wunder von Bern" verbunden.
50 Millionen Menschen lauschen Zimmermanns Kommentar
Demgegenüber hängen geschätzt 50 Millionen Menschen gebannt an Zimmermanns Lippen. Es ist ein letzter großer kollektiver Radio-Moment, den der Reporter so beginnt:
Deutschland im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft, das ist eine Riesen-Sensation, das ist ein echtes Fußball-Wunder. Ein Wunder, das allerdings auf natürliche Weise zustande kam und das wir dem Fußballverstand unserer Spieler und der Vollkommenheit ihres Spiels verdanken."
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Zimmermann und sein Kollege Rudi Michel hatten sich im Vorfeld gesorgt, wie sie dem Radiopublikum nach dem deutlichen 3:8 in der Vorrunde eine erneute Niederlage gegen die Ungarn, eine Macht im damaligen Fußball, erklären könnten. "Wir haben im Hotel in einem Zimmer gewohnt und sind zusammen nach Bern gefallen, und ich habe alle Nöte eines Endspiel-Reporters miterlebt", erinnerte sich Michel später noch genau an die Zeit vor dem Finale: "Wir haben eine halbe Nacht lang darüber diskutiert: Was wirst du denn sagen, wenn wir wieder 3:8 verlieren?"
Finalspiel beginnt enttäuschend
Insofern ist das Herausstellen des Finaleinzuges als Wunder bereits als Versuch zu werten, nicht allzuviel Enttäuschung über eine drohende Niederlage aufkommen zu lassen. Und in der Tat beginnt das Endspiel für die deutsche Mannschaft wenig vielversprechend: In der 6. Minute geht Ungarn mit 1:0 in Führung. Und kurz darauf dann das:
Czibor, wie der Wirbelwind vom rechten Flügel aufgetaucht, dribbelt nach links hinüber und erzielt das zweite Tor für Ungarn. Ungarn führt mit 2:0."
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Karriere in der Wehrmacht bis zum Ritterkreuz
Wenig vielversprechend hatte auch Zimmermanns Karriere beim Rundfunk begonnen. Er wird als Herbert Antoine Arthur Zimmermann am 29. November 1917 in Alsdorf bei Aachen geboren. Die Mutter war Dolmetscherin und Lektorin, sein Vater Versicherungskaufmann. MIt 20 Jahren besteht Zimmermann sein Abitur - und dient ab 1937 in der Wehrmacht. Während des Zweiten Weltkriegs meldet er sich dreimal freiwillig zum Einsatz an der Front, wird Offizier, erhält das Eiserne Kreuz und das Ritterkreuz. Letzteres stellt eine große Ehrung dar, unter Vorgesetzten genießt er einen guten Ruf:
Einwandfreie klare Persönlichkeit; steht auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung; vor dem Feind voll bewährt; sehr gute dienstliche Leistungen. Besonders zuverlässig, umsichtig und gewandt. Besitzt mein volles Vertrauen."
— Beurteilung Zimmermanns durch einen Vorgesetzten in der Wehrmacht
1942 erleidet Zimmermann eine Beinverletzung und kommt ins Lazarett. Dienstuntaugliche Offiziere werden zu dem Zeitpunkt für den Rundfunk rekrutiert. Zimmermann lässt sich von Rolf Wernicke ausbilden, dem Chefsprecher der Wochenschau, der zudem von vielen Sportwettkämpfen und Veranstaltungen der NSDAP im Radio berichtete. Nach dem Krieg gerät Zimmermann in englische Gefangenschaft, die er im Dezember 1945 verlassen darf. Mit 28 Jahren und einem Reporterdiplom aus der NS-Zeit muss er völlig neu anfangen.
Beginn beim Rundfunk mit Wasserstandsmeldungen
Im Frühjahr 1946 stellt er sich in Hamburg beim damaligen Nordwestdeutschen Rundfunk vor. Doch die Aufträge sind zunächst bescheiden. Zimmermann darf die Wasserstandsmeldungen und die Listen der Suchdienste nach vermissten Familienmitgliedern vorlesen.
Zimmermann (l.) berichtet als Reporter auch über andere Sportarten wie hier vom Sechstage-Rennen im Radsport.
Es gelingt ihm, Probereportagen in der Sportredaktion unterzubringen - und 1948 berichtet er erstmals von den Olympischen Spielen. Dieses Großereignis hat es ihm angetan, in den Folgejahren ist er noch mehrmals dabei. "Die Spiele in Helsinki werden meine dritten Olympischen Spiele sein, die ich für den deutschen Rundfunk übertragen darf", sagt er im Vorfeld im Sommer 1952. "In meiner fast siebenjährigen Funktätigkeit ist das zweifellos der Höhepunkt." Das Ereignis wertet er damals noch höher als Fußball-Weltmeisterschaften.
Ein Fußball-Endspiel kann noch so faszinierend sein, ein großer Boxkampf noch so dramatisch. Olympische Spiele sind einfach nicht zu überbieten.
Er sollte sich mit dieser Selbsteinschätzung gewaltig irren - denn Zimmermanns eigentlicher Karriere-Höhepunkt folgt zwei Jahre später - in Bern.
1952 erfindet Zimmermann die Fußball-Konferenzschaltung
Doch vorher, kurz nach der Rückkehr aus Helsinki, erfindet Zimmermann - mittlerweile Sportchef beim NWDR - noch die Konferenzschaltung beim Fußball. Am 21. September 1952 geht die erste davon über den Äther, von Zimmermann so angepriesen: "In diesen Tagen soll die Millionenzahl der am Fußball interessierten Hörer im Rahmen einer 45-Minuten-Sendung auf der Ultrakurzwelle Nord am Lautsprecher an sämtlichen Spielen der norddeutschen Oberliga in spannenden Ausschnitten teilnehmen dürfen."
Die noch heute beliebte Konferenzschaltung haben Fußballfans Herbert Zimmermann zu verdanken.
Tonaufnahmen der ersten Schalte gibt es leider nicht mehr, doch sie setzte Maßstäbe. Rasch zogen die anderen ARD-Sender nach und schon im März 1953 brachte die erste bundesweite Konferenz Spitzenspiele aller bundesdeutschen Oberligen. Eine Schalte, alle Spiele: ein Versprechen, das bis heute hält - etwa mit der NDR 2 Bundesligashow.
Deutschland kommt in Bern zurück ins Spiel - und siegt sensationell
Und damit zurück ins Wankdorf-Stadion: Denn dort wendet sich an jenem 4. Juli 1954 das Blatt. Bereits in der 10. Minute gelingt Deutschland der Anschlusstreffer durch Max Morlock. "Es steht nur noch 2:1. Zehn Minuten sind gespielt", spricht Zimmermann dazu in sein Mikrofon. Schon kurz danach folgt der Ausgleich: "Eckball von Fritz Walter, Tor von Rahn." Da sind erst 18 Minuten gespielt. In die Halbzeit geht es mit dem Unentschieden.
Vor Beginn des Spiels haben wir rund 30, 40 Pressekollegen gefragt: Wer gewinnt? Ein einziger von ihnen hat gesagt Deutschland. Alle anderen sagten Ungarn. Jetzt in der Halbzeit haben wir wieder gefragt. Und die Sensation: Der Außenseiter hat gleich gute Chancen."
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Wiederholt drängen die Ungarn auf den Führungstreffer, doch Deutschlands Torhüter Toni Turek lässt nichts mehr durch. Auf ihn bezogen kommt es zum ersten legendären Zitat Zimmermanns:
Jetzt heben sie den Ball in den deutschen Strafraum hinein. Schuss! Abwehr von Turek. Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott! Entschuldigen Sie die Begeisterung. Die Fußball-Laien werden uns für verrückt erklären."
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Für verrückt nicht direkt, aber für unchristlich. Kirchenvertreter im Rundfunkrat protestieren gegen die Gleichsetzung eines irdischen Hoffnungsträgers mit Gott. Zimmermann muss in einer Sitzung dazu Stellung nehmen.
Doch das ist nur eine Fußnote, in die Geschichte geht die 84. Spielminute ein - und Zimmermanns Kommentar dazu:
Sechs Minuten (noch) im Berner Wankdorfstadion und keiner wankt ... Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Außenläufer der Ungarn, er hat den Ball verloren, dieses Mal an Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball. Abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen ... Rahn schießt ... Tooor! Tooor! Tooor! Tooor!"
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Mit dem Siegtreffer von Helmut Rahn ringt das Team von Bundestrainer Sepp Herberger die Ungarn nieder - und trägt die Führung über die verbleibende Zeit, ehe die erlösenden Rufe Zimmermanns verkünden:
Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus. Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit 3:2 Toren im Finale in Bern!"
— Herbert Zimmermann, Radiokommentar zum Finale der Fußball-WM 1954
Reportage-Töne auch für "Das Wunder von Bern"
Die Rechte an der Reportage halten die Erben von Zimmermann, darunter über Jahrzehnte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele - ein Neffe des Reporters. Einnahmen aus dem Verkauf der Rechte - etwa auch für den Erfolgsfilm "Das Wunder von Bern" mit Peter Lohmeyer - werden für wohltätige Zwecke genutzt.
In "Das Wunder von Bern" schlüpfte Andreas Obering in die Rolle des Reporters.
Zimmermanns letzter großer Auftritt ist das WM-Finale 1966, das gegen England verloren geht und in dessen Mittelpunkt das bis heute umstrittene "Wembley-Tor" steht. Mittlerweile hat das Fernsehen allerdings deutlich mehr Zuschauer als das Radio Hörer hat - ganz anders als zwölf Jahre zuvor.
Zimmermann stirbt nach Autounfall in Bassum
Wenige Monate nach dem für Deutschland unglücklich ausgegangenen WM-Finale stirbt Zimmermann - mit nur 49 Jahren. Am 11. Dezember 1966 hat er auf einer Bundesstraße in Bassum (Landkreis Diepholz) einen schweren Autounfall, als er auf dem Weg zu einem Interview mit dem damaligen DFB-Präsidenten Hermann Gösmann in Osnabrück ist. Zimmermann stirbt fünf Tage später an den Folgen des Unfalls im Hamburger UKE. Doch sein Torjubel und seine "Aus"-Schreie leben weiter - und sind längst in den nationalen Zitateschatz übergegangen.
In etwa an dieser Stelle auf der B51 bei Bassum-Wiebusch ereignete sich der Autounfall, an dessen Folgen Reporterlegende Herbert Zimmermann im Dezember 1966 starb.
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NDR Info | Deine Geschichte – unsere Geschichte | 18.07.2021 | 14:33 Uhr