Duell zwischen Rostocks Nils Fröling (l.) und Osnabrücks Maxwell Gyamfi

3. Liga Hansa Rostock gegen VfL Osnabrück - Ähnliche Probleme vor dem Krisenduell

Stand: 02.11.2024 10:06 Uhr

Hansa Rostock und der VfL Osnabrück treffen heute im Nordduell aufeinander. Es ist auch ein Drittliga-Krisengipfel: Sowohl die Mecklenburger als auch die Niedersachsen tun sich nach dem Abstieg aus der 2. Liga schwer. Die Clubs haben viele Probleme gemein, wie die Daten zeigen - und ein "negatives Vorbild".

Von Tobias Knaack

Noch bevor die Partie heute (14 Uhr, im NDR Livecenter) im Ostseestadion angepfiffen wird, steht es zwischen dem FC Hansa und dem VfL 1:1. Zumindest was die frühen Trainerentlassungen in einer Saison angeht - einem verlässlichen Indikator dafür, wie sehr eine Spielzeit gegen die Erwartungen und Hoffnungen eines Vereins läuft. Die Osnabrücker hatten Uwe Koschinat bereits nach dem sechsten Spieltag freigestellt, die Rostocker zogen mit der Entlassung von Bernd Hollerbach vergangene Woche nach der Niederlage gegen Saarbrücken am elften Spieltag nach.

Weniger eigene Tore, aber mehr Gegentreffer als erwartet

Die Kernmerkmale der Krise sind bei beiden Zweitliga-Absteigern ähnlich - strukturell, planerisch, statistisch, fußballerisch. Das veranschaulichen auch die Daten des Global Soccer Networks (GSN). Die Clubs eint zunächst, dass sie in vielen Kategorien nach mittlerweile zwölf Spieltagen in der 3. Liga unterdurchschnittliche Leistungen bringen: Beide schießen weniger Tore als sie könnten (Expected Goals), beide bekommen mehr Gegentreffer als sie sollten (Expected Goals Against).

Das "Expected goals"-Modell

"Expected goals" sind "zu erwartende Tore" und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt - unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen. Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. "Expected goals"-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als 3 Millionen Tore ausgewertet.

Was ist das "Expected points"-Modell?

Die Expected points ermitteln die Anzahl der Punkte, die eine Mannschaft aus einem Spiel hätte holen "müssen", basierend auf den Torchancen, also den "Expected goals", die sie in diesem Spiel generierte bzw. hätte bekommen müssen. Jedes Team bekommt zwischen 0,1 und 2,7 Expected points, je nachdem, wie einseitig das Spiel aus Sicht der "Expected goals" war.

Insgesamt sammelten sowohl Rostock als auch der VfL bislang weniger Punkte als erwartet. Beim Tabellenletzten aus Niedersachsen ist die Diskrepanz dabei besonders groß. Im Schnitt 0,83 Zähler holten die Osnabrücker bislang pro Spiel, 1,29 hätten es sein können. Doch auch beim FCH klafft eine Lücke zwischen den bisher erzielten (1,08) und den erwarteten Punkten (1,43).

Hansa und der VfL wie Arminia Bielefeld

Und so stecken sowohl der FC Hansa, der zudem mit Fan-Ausschreitungen, einem Sponsoren-Streit sowie Querelen im Aufsichtsrat kämpft, als auch die Lila-Weißen nach einem knappen Drittel der Drittliga-Saison im Tabellenkeller fest: Rostock ist 15., der VfL sogar Letzter. Die beiden Nordclubs folgen damit dem negativen Beispiel von Arminia Bielefeld aus der Vorsaison. Die Ostwestfalen hatten als Zweitliga-Absteiger ebenfalls größte Probleme und mussten lange Zeit um den Ligaverbleib bangen.

Die Analogie geht aber tiefer: Sowohl die Arminia in der Saison 2023/2024 als auch Rostock und Osnabrück in dieser Spielzeit hatten nach dem Abstieg aus der 2. Liga einen großen Kader-Umbruch zu bewältigen. Alle drei verloren ihre besten Spieler, alle schafften es zudem nicht, durch Konstanz auf der Trainerposition und in der sportlichen Leitung Ruhe und Stabilität zu gewährleisten.

Kader-Umbruch in Rostock und Osnabrück nicht gelungen

Auffällig ist den GSN-Analysen zufolge, dass es weder Bielefeld vor einem Jahr, noch den beiden Nordclubs in diesem Sommer gelungen ist, den Kader-Umbruch so zu gestalten, dass ein drittligafähiges Ensemble zusammengestellt wird. Die Schwierigkeiten alleine auf die mittlerweile geschassten Coaches zu reduzieren, greift also zu kurz. Zumal sowohl Koschinat als auch Hollerbach frühzeitig auf die Zusammenstellungen ihrer jeweiligen Teams hingewiesen hatten.

Dass Clubs, die von der 2. in die 3. Liga runtergehen, ihre besten Spieler bei einem Abstieg verlieren können, ist ein gängiger Marktmechanismus im Fußball-Geschäft. Das liegt auch daran, dass "die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen zweiter und dritter Liga sehr groß sind", sagt Peter Vollmann, der den FC Hansa einst als Trainer zum Aufstieg führte.

In Bielefeld waren das etwa Janni Serra, Masaya Okugawa und Robin Hack. Bei Hansa schmerzten vor der aktuellen Saison die Abgänge von Markus Kolke, Svante Ingelsson, Dennis Dressel und Sarpreet Singh - Osnabrück verlor in Charalambos Makridis, Florian Kleinhansl und Maximilian Thalhammer wichtige Stützen.

Probleme mit der Anpassung an die 3. Liga

Ein Problem, das dadurch verstärkt wird, dass die Neuzugänge sowohl bei den Mecklenburgern als auch bei den Niedersachsen das entstandene sportliche, aber auch führungstechnische Vakuum - zumal in einer Liga mit deutlich anderen Anforderungen - bislang nicht haben erfüllen können. Das gilt laut GSN für Franz Pfanne, Cedric Harenbrock, Marco Schuster oder Albin Berisha auf Seiten des FCH ebenso wie für die VfL-Akteure Liridon Mulaj, Ba-Muaka Simakala und Brian Beyer.

"Die 3. Liga ist im Vergleich zur 2. Bundesliga deutlich physischer und kampfbetonter", erklären die Analysten. Und Vollmann sagt: "Die Fußballer, die da spielen, sind sehr oft nur drittklassig. Der Stil ist sehr physisch. Die Spielidee ist sehr häufig nur auf den Gegner ausgerichtet." Sowohl Rostock als auch Osnabrück haben Probleme, sich an diese Spielweise anzupassen. Für Hansa drückt sich das laut GSN so aus: "Die Liga zeichnet sich durch viele intensive Zweikämpfe und Umschaltsituationen aus, in denen die Rostocker oft das Nachsehen haben." Zudem gehen der Mannschaft nach den Abgängen von Ingelsson und Singh die kreativen Momente ab.

Beim VfL hingegen falle auf, dass "mit den Abgängen wichtiger Leistungsträger wie Kleinhansl und Thalhammer erfahrene Führungsspieler fehlen, die das Team in schwierigen Phasen anleiten können".

Ineffiziente Offensiven, instabile Defensiven

In beiden Fällen sind den Daten nach vor allem eine ineffiziente Offensive und eine instabile Defensive augenfällig - eine gefährliche Kombination. Der VfL erzielt mit seiner im 4-3-3 offensiven Ausrichtung zwar 1,33 Tore pro Spiel, offenbart allerdings "drastische Defizite bei Dribblings". Insgesamt reicht die Angriffsleistung bislang nicht, "um die defensiven Schwächen zu kompensieren. Insbesondere bei Kontern und Standardsituationen ist Osnabrück anfällig."

Hansa Rostock vor dem Spiel gegen VfL Osnabrück

In Rostock hingegen "ist das Team trotz mehr Ballbesitz ineffizienter", schlechter im Pressing "und defensiv fehlt es an der nötigen Stabilität" - insbesondere in der Zentrale. Der Trainerwechsel habe "die Situation zusätzlich erschwert, da die Mannschaft weiterhin nach einer stabilen Form und einem klaren Spielstil sucht".

Beide Clubs suchen mentale Stabilität

Aktuell leiten die Interimstrainer Simon Pesch und Marcus Rabenhorst das Team an ("Ein geiler Laden hier"). Dauerhaft aber werden sie das nicht tun können, weil ihnen die dafür nötige Lizenz fehlt, die UEFA Pro Lizenz. Es wird also ein neuer Coach das finden müssen, was Hollerbach, aber auch schon sein Vorgänger Mersad Selimbegovic nicht kreiert haben: ein stabiles System sowie ein verlässliches Gerüst an Spielern.

Osnabrücks neuer Trainer Pit Reimers hatte dazu bereits einen guten Monat Zeit - mit bislang ergebnistechnisch betrachtet überschaubarem Erfolg. Nur ein Sieg gelang bislang unter seiner Führung (1:0 gegen Stuttgart II), zuletzt blieben die Lila-Weißen wieder dreimal ohne Dreier. Den schafften Pesch und Rabenhorst in Rostock auf Anhieb beim Debüt gegen Rot-Weiss Essen mit dem 4:0 am vergangenen Wochenende.

Ein kleiner Vorteil für Hansa? Vielleicht. Vor dem Duell aber lastet nach den bisherigen Leistungen neben allen technischen und taktischen Problemen auf beiden Mannschaften unverändert auch ein mentaler Druck, endlich anzukommen. Die 3. Liga sei "ein Kraftakt auf allen Ebenen", sagt der Ex-Rostocker Vollmann. Wer damit besser klarkommt, hat sicher gute Chancen, den Krisen-Gipfel für sich zu entscheiden - und sich ein Stück weit freizuschwimmen.

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 02.11.2024 | 16:17 Uhr