
Aufstiegskampf "Auf die Fresse bekommen" - Wie reagiert der HSV auf den Totalausfall?
Der HSV hat am Freitag gegen Eintracht Braunschweig die erste Heimpleite der Saison kassiert. Die war aber mehr als eine einfache Niederlage, sondern wirft grundlegendere Fragen vor den verbleibenden fünf Partien der Spielzeit auf. Der Club hat sich unnötig wieder selbst unter Druck gesetzt.
Das Feld für einen aus Hamburger Sicht schönen Fußballabend war bestellt: neuer Rasen, das Volksparkstadion mal wieder ausverkauft, Rest-Sonne, die in die Arena fiel, dazu eine gigantische, griechisch angehauchte Choreografie auf der Nordtribüne mit dem Slogan "Du bist zu Höherem bestimmt".
Mit dem beeindruckenden Bild, das unter anderem die Akropolis in Athen zeigte, erinnerten die HSV-Fans an den größten Triumph der Vereinsgeschichte im Pokal der Landesmeister über Juventus Turin 1983.
Knapp zwei Stunden später stand eine krachende Niederlage im Zweitliga-Nordduell gegen Eintracht Braunschweig - die erste Heimpleite seit knapp einem Jahr. Der Kritiker wird das Drama, den größtmöglichen Bruch in der vorhergesehenen Geschichte dieses Abends und den unerwarteten Twist in der Erzählung feiern. David hatte Goliath besiegt.
Es ging um Aufstiegspläne statt um Eintracht Braunschweig
Für den HSV aber wirft das blutleere 2:4 jede Menge Fragen auf. Zumal am Ende einer Woche, in der sich im Umfeld hauptsächlich mit Aufstiegsplänen und der Ticketvergabe für das letzte Heimspiel gegen den SSV Ulm 1846 und weniger mit eben dem nächsten Gegner beschäftigt wurde.
In der es angesichts von sechs Punkten Vorsprung auf Relegationsrang drei und verbleibenden Duellen gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte vor allem über das wann und nicht über das ob eines Aufstiegs geredet wurde. Du bist zu Höherem bestimmt. Was kann schon noch schief gehen?
Nun, der Freitag - und eigentlich die Erfahrung der vergangenen Jahre - sollten gelehrt haben: so ziemlich alles. Zumindest dann, wenn die Lehren aus der Vergangenheit in Vergessenheit geraten. Denn speziell im Sport ist eben nicht die Ehrung von Triumphen wichtig, sondern die Auseinandersetzung mit Traumata und Niederlagen, um aus diesen gestärkt hervorzugehen und wachsen zu können.
HSV vergaß alles, was ihn zuletzt stark gemacht hat
Gegen die abstiegsbedrohten Niedersachsen vergaßen die Hamburger allerdings nahezu alles, was sie in den vergangenen Wochen und Monaten gelernt hatten und was sie bis auf wenige Phasen stark gemacht hatte: Tempoläufe, Rotationen, Passstafetten, konsequente Zweikampfführung, Ballgewinne und Gegenangriffe. Kurzum: Aktivität mit und ohne Ball.
Da es das alles gegen bissige "Löwen" aus Sicht des HSV nicht gegeben hatte, war Innenverteidiger Daniel Elfadli auch so gar nicht nach Diplomatie zumute: "Wir haben heute ganz klar auf die Fresse bekommen. Wir waren mit und gegen den Ball nicht mutig genug und haben nicht in den Prinzipien gespielt", zürnte er nach Abpfiff. "Wir haben verdient verloren."
"Was mich heute wirklich nervt, dass wir es nicht geschafft haben, unsere Art und Weise von Fußball auf den Platz zu bringen."
— HSV-Coach Polzin
So sah das auch sein Coach Merlin Polzin: "Was mich heute wirklich nervt, dass wir es nicht geschafft haben, unsere Art und Weise von Fußball auf den Platz zu bringen", sagte der 34-Jährige, der "diesen mutigen Offensivfußball, der uns auszeichnen soll, beziehungsweise auch in den vergangenen Monaten immer ausgezeichnet hat", vermisste. "Das ist natürlich extrem enttäuschend."
Gründe dafür gab es gegen Braunschweig viele, die Mängelliste war lang: fehlende Struktur, keine Robustheit in den Zweikämpfen, zu wenig Bewegung gegen die gute Staffelung der Eintracht, mangelnde Tiefe, fehlende Passschärfe, zu wenig Tempo und Kreativität.
"Es geht um eine grundsätzliche Haltung, wie wir unseren Fußball interpretieren", sagte Polzin. "Ich kann damit leben, wenn Fehler passieren, weil es immer darum geht, wie wir darauf reagieren. Aber ich habe ein Problem damit, wenn wir kein Risiko eingehen, einen Fehler zu machen."
Zweiter Anzug des HSV ist eher eine Flicken-Sammlung
Besonders bitter war für Polzin die Erkenntnis, dass Leistungsträger wie Ludovit Reis, Miro Muheim und Dennis Hadzikadunic für ihn nicht zu ersetzen sind. Marco Richter mit zwei groben Ballverlusten vor den ersten beiden Gegentoren, Silvan Hefti mit einem fahrigen Auftritt (und einem Eigentor) und Kapitän Sebastian Schonlau, der in der Abwehr kein Stabilisator war, sind aktuell nicht gut genug in Form. Und schon gar nicht gegen einen aggressiven Gegner wie den BTSV.
Keine Frage, der zweite Anzug des HSV, er passte nicht. Am Freitag zumindest war er eher eine lose zusammenhängende Flicken-Sammlung auf neuem grünen Teppich. Hauptsächlich verbunden durch die gleichen Trikots, nicht aber durch ein gemeinsames Spiel: "Wir haben gerade in der ersten Halbzeit extrem viele Lösungen immer wieder nur nach hinten gesucht, waren einfach weit auseinander, haben keine Verbindung zueinander hergestellt", ärgerte sich Polzin über den Totalausfall.
Reaktion auf Schalke gefordert
Der junge Coach richtete den Blick allem erkennbaren Frust zum Trotz dennoch schnell nach vorne: "Ich habe der Mannschaft gesagt, dass es ab morgen weiter geht. Wir werden es inhaltlich aufarbeiten." Nach seiner zuvor einzigen Niederlage als Hamburger Chefcoach (0:2 in Paderborn) hatte der HSV mit drei Siegen und einem Remis bis Freitag einen guten Zwischensprint hingelegt.
Es wird am 34-Jährigen und dem Team liegen, beim FC Schalke 04 am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr, im NDR Livecenter) erneut eine entsprechende Reaktion auf einen schwachen Auftritt zu zeigen. Das Lernen aus Niederlagen kann dann auch zu Triumphen führen.
Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 13.04.2025 | 22:50 Uhr