Radsport Virtuelles Radfahren mit Zwift: Eine Ergänzung, keine Revolution
Vor allem in der Corona-Pandemie haben viele das virtuelle Radfahren für sich entdeckt. Rollentrainer und Onlinespiele wie Zwift boomen. Auch Radprofis fahren mit - glauben aber nicht an ein Ende des klassischen Straßenradsports.
Dieses Radjahr stand für Nico Denz zunächst unter keinem guten Stern. Im Februar, am Anfang der Saisonvorbereitung, stürzte der deutsche Radprofi unglücklich: Handbruch, fünf Wochen Pause. "Das konnte ich mit Zwift echt gut auffangen“, erinnert sich der 27-Jährige.
Draußen zu fahren, wäre zu gefährlich gewesen. Drinnen auf der Radrolle, die gekoppelt mit dem Programm Zwift echte Berge und intensive Intervalleinheiten simulieren kann, konnte Denz trainieren. "Ich habe im Winter viele Kilometer auf Zwift abgerissen“, sagt Denz. "Es ersetzt zwar niemals das Fahren draußen, aber für uns als Profis ist das ein wunderbares Werkzeug, um bei jedem Wetter oder sogar einer Verletzung trainieren zu können.“
Virtuell fährt man den Mont Ventoux hinauf
Rollentrainer für das Rennrad erleben während der Corona-Pandemie einen wahren Boom. Bei den bekanntesten von Marken wie Wahoo und Peloton wird das Hinterrad abgeschraubt und das Rad auf einen Trainer geschraubt, der den Widerstand regelt. Über Bluetooth verbindet sich der Trainer mit dem PC oder Fernseher – wer im heimischen Wohnzimmer dann in die Pedalen tritt, sieht dann etwa den Mont Ventoux vor sich und quält sich Steigungen von bis zu 16 Prozent hinauf.
Zwift hat seinen Hauptsitz in Long Beach, Kalifornien. Hinter den USA und Großbritannien ist Deutschland inzwischen der drittgrößte Markt für den Videospielanbieter. "Zwift soll zu einer ganz neuen Disziplin im Radsport werden und genauso etabliert sein wie Cyclocross oder Track“, teilt Pressesprecherin Abigail Flynn auf sportschau.de-Anfrage mit.
Bei der Online-WM gewann ein Deutscher
Im vergangenen Jahr richtete Zwift zusammen mit dem Weltradverband UCI erstmals eine E-Sports-Weltmeisterschaft im Radsport aus. Bei den Männern gewann der Mönchengladbacher Jason Osborne. Osborne ist hauptberuflich Ruderer, fährt aber viel Rennrad und hat sich auf Onlinefahrten bei Zwift spezialisiert. "Über das Radfahren hole ich mir die Ausdauer und das Trainingsvolumen für das Rudern“, sagte Osborne damals. Nach den Olympischen Spielen will Osborne "in jedem Fall versuchen, im Radsport Fuß zu fassen“.
Er wäre nicht der erste Fahrer, der über das Rollentraining den Einstieg in den professionellen Straßenradsport schafft. Die Deutsche Tanja Erath etwa gewann vor einigen Jahren die "Zwift Academy“, eine Trainingsrundfahrt, und fährt inzwischen für das Team Tibco-Silicon Valley Bank.
"Wir wollen die Leute nicht von der Straße holen, sondern mehr Leute zum Sport bringen“, sagt Pressesprecherin Abigail Flynn. Vor allem jüngere und berufstätige Menschen würden Zwift nutzen - wer nur eine Stunde Zeit hat an einem langen Arbeitstag, kann sich bei Zwift in einem Workout oder kurzen Rennen dann immer noch auspowern.
Bis zu acht Mal mehr Fahrten in Corona-Zeiten
3,5 Millionen Zwift-Accounts gibt es weltweit inzwischen. Während der Corona-Pandemie wurden teilweise bis zu acht Mal mehr Gruppenfahrten am Tag angelegt als vorher. 130 der für die diesjährige Tour de France gemeldeten Fahrer hätten einen Zwift-Account.
Vom deutschen Team DSM, früher Sunweb, sind viele Fahrer auf Zwift. Felix Gall hat es bis Level 35 geschafft und führt damit die teaminterne Wertung an – auch Romain Bardet oder Chris Hamilton fahren regelmäßig bei Zwift. "Wir nutzen die Rolle vor allem im Winter, bei den Rennen zum Aufwärmen oder zum Cool-Down direkt nach dem Rennen“, erzählt Sebastian Deckert, der sportliche Leiter des Teams.
Technik und Koordination spielen kaum eine Rolle
Vor einem Tour-Zeitfahren könnten sich die Fahrer etwa sehr gut bei Zwift warmfahren. "Die Rolle kann man auch als Radprofi vielseitig nutzen, aber sie wird das Training draußen niemals ersetzen“, sagt Deckert. "Auf der Rolle geht es fast nur um die Leistung. Die technisch-koordinative Komponente spielt kaum eine Rolle - wie teile ich mir meine Kräfte ein, wie fahre ich möglichst effektiv in den Kurven, wie komme ich über eine nasse Straße?“
Eine Dynamik in einem echten Straßenradrennen ließe sich auf Zwift auch nur schwer kopieren, auch wenn die Rennen auch dort sehr schnell und kompetitiv sind. "Wir trainieren das im Trainingslager in der Gruppe, insbesondere die Rhythmuswechsel“, sagt Deckert. Für ihn steht fest: "Die Rolle wird den Radsport draußen niemals ersetzen.“ Trotzdem freut er sich über das neue Interesse am Radsport und lobt den "Eventcharakter“ von Zwift.
Team Bora-hansgrohe hält sich bedeckt
Das Team DSM hat schon an mehreren Wettkämpfen auf der Plattform teilgenommen, etwa bei der virtuellen Tour de France im vergangenen Jahr. Auch das zweite deutsche Team Bora-hansgrohe war dort dabei. Auch wenn Fahrer wie Emanuel Buchmann (Level 15) oder Wilco Kelderman (Level 28) bei Zwift sind, hält man sich dort zum Thema bedeckt. "Zwift ist ein gutes Hilfsmittel, wenn es gar nicht anders geht, spielt bei den Profis aber sonst kaum eine Rolle“, sagt Pressesprecher Ralph Scherzer.
DSM-Profi Nico Denz fährt auf der Plattform sogar mit Freunden: "Es gibt ja die Funktion, dass alle Fahrer automatisch zusammen bleiben – sonst würde es für meine Freunde wenig Spaß machen“, lacht Denz. Auch mit Teamkollegen verabredet er sich manchmal für eine virtuelle Teamfahrt. Gerade im vollgepackten Sommer sind Profis wie Denz aber ausschließlich draußen auf der Straße unterwegs.
"Beastmode": Erstes deutsches Zwift-Team
Sebastian Wolf konzentriert sich dagegen komplett auf das virtuelle Fahrterlebnis. Wolf, 39 Jahre alt und aus der Nähe von Köln, hat das erste deutsche Profi-Zwift-Team "Beastmode“ gegründet. Gesponsert wird das Team vom Ausrüster Rose, der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) unterstützt das Vorhaben und hilft bei Events.
Die Idee für ein Zwift-Team kam Wolf, als er Ende vergangenen Jahres Zwift-Weltmeister Jason Osborne bei seinem großen Erfolg begleitete. "Ich saß quasi im Teamauto, habe die taktischen Anweisungen gegeben“, sagt Wolf. "Ich komme selbst mit Ende 30 nicht mehr auf das Level wie Jason, möchte aber im Team diese Erfolge haben. Da war die Idee mit Beastmode geboren.“
Der BDR unterstützt das Online-Radeln
Sowohl das Herren- als auch Frauenteam schaffte zunächst den Aufstieg in die höchste Liga und im Frühjahr dann den Klassenerhalt in der Premier Division bei Zwift. Beim BDR sei eine "große Offenheit“ für das Thema vorhanden, sagt Wolf. Der deutsche Verband sei da weiter als viele andere europäische Verbände.
Bei Zwift dauern Rennen und Trainingseinheiten oft nur etwa eine Stunde. "Das passt besser zu Sprintern und Fahrern mit viel Punch, die viele kleine Attacken fahren können“, sagt Wolf. Fahrer wie Wout Van Aert oder Julian Alaphilippe wären sicher auch gute Zwift-Fahrer. Im Team "Beastmode“ sind auch viele Läufer, Ruderer oder Kurzdistanz-Triathleten. Für Triathleten wie Jan Frodeno gehört Zwift fast selbstverständlich zum Training dazu, zumal man auf der Plattform auch laufen kann.
Cheating ist ein Problem: Hoffen auf Live-Events
Auch Zwift-Enthusiasten wie Sebastian Wolf sehen den virtuellen Radsport nicht als Ende des Straßenradsports, sondern als Ergänzung. Sein Team fiebert nun der nächsten Online-WM auf Zwift entgegen. Für Fahrerinnen sind die Online-Ligen auch deshalb interessant, weil es für beide Geschlechter dieselben Preisgelder gibt.
Probleme gibt es - wie bei vielen anderen E-Sport-Disziplinen auch - mit dem Thema Cheating. Wer bei Zwift ein falsches Gewicht angibt oder seinen Smarttrainer unrechtmäßig aufmotzt, liegt im Rennen manchmal weit vorne. "Für uns ist es ein großer Aufwand, alle unseren Athleten zu zertifizieren und die Geräte zu kalibrieren“, erzählt Wolf. Viele Leistungen müssten detailliert gefilmt und an Zwift übertragen werden. In Zukunft träumt Wolf deshalb von Live-Events: Mehrere Fahrer gegeneinander auf dem Smarttrainer – und das Publikum fiebert über einen Live-Bildschirm und im Publikum mit.