Schwimmen bei Olympia Lukas Märtens - über 400 m in die Geschichtsbücher?
Plötzlich Goldfavorit: Lukas Märtens könnte den deutschen Schwimmern am Samstag (27.07.2024) über 400 Meter Freistil die erste Olympia-Medaille bescheren. Im Gepäck: die Aussicht auf einen Weltrekord.
Noch ruht das Wasser in der Rugbyarena Paris La Défense. Rugbyarena? Richtig. Dort, wo für gewöhnlich der sechsmalige französische Meister Racing 92 seine Heimspiele austrägt, werden bei den Olympischen Spielen 2024 erstmals Schwimmwettkämpfe ausgetragen.
Und mittendrin: Lukas Märtens. Wenn am Samstagabend (ab 20.42 Uhr live im Ersten) die ersten Medaillen über 400 m Freistil und in den 4x100-m-Freistil-Staffeln (21.34/21.44 Uhr) vergeben werden, ruhen die Hoffnungen des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) vor allem auf dem 22-jährigen Magdeburger.
Fulminante Entwicklung
Märtens könnte als erster deutscher Schwimmer seit Michael Groß und Uwe Daßler 1988 in Seoul wieder Olympisches Gold im Becken holen. Die Vorschusslorbeeren sind groß - und allemal berechtigt. Märtens' Entwicklung in den vergangenen Jahren lief fulmimant und kannte nur eine Richtung.
2022 gewann er über seine Paradestrecke WM-Silber, bei den darauffolgenden beiden Weltmeisterschaften jeweils Bronze. Hinzu kommt der EM-Titel 2022 in Rom. "Seine Entwicklung war der Hammer", lobte Olympiasieger Florian Wellbrock unlängst seinen Teamkollegen.
Fällt Biedermanns Weltrekord in Paris?
Spätestens bei den Deutschen Meisterschaften im April schwamm sich Märtens in den Kreis der Goldfavoriten für Paris. Mit einer Fabelzeit von 3:40,33 Minuten kratzte er über 400 m Freistil am Weltrekord vom Hallenser Paul Biedermann aus dem Jahr 2009. 26 Hundertstel fehlten. Und dennoch: Es war mit Abstand die schnellste Zeit in diesem Jahr weltweit und die sechstschnellste überhaupt. Ein Ausrufezeichen - zumal Biedermann den Rekord vor 15 Jahren noch im Hightech-Anzug aufgestellt hatte, der seit 2010 verboten ist.
"Ich war schon sprachlos über das, was ich da geleistet habe. Das war so nicht geplant", sagte Märtens über seine jüngste Leistung. "Ich bin beständig auf einem aufsteigenden Ast und habe in dieser Saison wieder einen Riesensprung nach vorne gemacht."
Und natürlich soll nun auch der ganz große Wurf gelingen: Gold bei Olympia und im Idealfall der neue Weltrekord, was "natürlich eine absolut tolle Story" wäre. Mentaler Druck? Fehlanzeige. "Die Mitfavoritenrolle zu haben, ist okay. Damit kann ich umgehen." Und auch Bundestrainer Bernd Berkhahn erklärte zuletzt: "Mental ist er richtig stark."
Unter Berkhahn kam der Wandel
Es ist nicht zuletzt Berkhahns Verdienst, dass Märtens aktuell derart brilliert. Paradoxerweise gehörten die 400 m Freistil zunächst nicht zu seinen Lieblingsstrecken. Im Gegenteil: In seinen jungen Jahren war Märtens vor allem auf den Rückenstrecken unterwegs, bezeichnete die 200 m und 400 m Freistil gar als ehemalige "Hassstrecken". Das änderte sich erst unter Berkhahn, der nicht nur Märtens in den letzten Jahren in neue Sphären geführt hat. Dass der Magdeburger in den vergangenen zwölf Monaten gesundheitlich angeschlagen mehrfach aussetzen musste, macht dessen Leistungsexplosion umso aussagekräftiger.
Da braucht man nicht viel rumzureden, dass man Medaillenambitionen hat.
Die jüngsten Auftritte, gepaart mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein, sollen nun ihre vorläufige Krönung in Paris finden. Die Favoritenrolle sei "kaum zu leugnen", weiß Märtens, der in Paris auch über 200 m Freistil und 200 m Rücken antritt: "Da braucht man nicht viel rumzureden, dass man Medaillenambitionen hat. Aber ich gehe nicht dahin und sage: Ich muss gewinnen. Ich kann gewinnen, aber dafür muss alles passen." Zumal die Konkurrenz um die beiden Australier Samuel Short und Elijah Winnington sowie Doha-Weltmeister Kim Woomin (Südkorea) "absolut brachial" ist.
Schafft Vielschwimmerin Gose die Überraschung?
Mentale Unterstützung in Paris wird es vor Ort direkt von der Familie geben. Denn auch in den Startlisten der Frauen taucht der Name Märtens auf. Schwester Leonie hat sich ebenfalls für die Olympischen Spiele qualifiziert und wird gemeinsam mit Isabel Gose die 400 m Freistil in Angriff nehmen. Vor allem Letztere darf sich Hoffnung auf ihre erste Olympische Medaille machen. Gose gewann 2022 ebenfalls EM-Gold über 400 m Freistil. Bei den Deutschen Meisterschaften war sie mit vier Titeln die erfolgreichste Athletin. Gleich auf vier Strecken (200, 400, 800 und 1.500 m Freistil) hat sich die 22-Jährige vom SC Magdeburg in Paris qualifiziert.
Isabel Gose holte 2022 über 400 Meter Freisitil den EM-Titel.
Entsprechend groß ist die Erwartungshaltung für Gose bei ihren zweiten Olympischen Spielen. Etwaige Gold-Ansagen sind aber nicht von ihr zu hören. Vielmehr gehe es darum, jeweils "die bestmögliche Leistung" abzurufen - und auf mögliche Ausrutscher der Konkurenz zu hoffen. Dazu gehört allen voran Katie Ledecky, die zu den absoluten Goldfavoritinnen zählt
Die US-Amerikanerin könnte am Samstag über 400 m Freistil ihre achte Goldmedaille bei Olympischen Spielen aus dem Wasser fischen. "Ich werde mein Bestes geben", versprach die 27-Jährige vorab, wohl wissend, dass "ein tolles Feld am Start" ist, "von oben bis unten. Viele Leute haben eine Chance" - auch Gose, die gemeinsam mit Märtens für einen goldenen Start der deutschen Schwimmer in Paris sorgen könnte.