Timo Boll beim Finale der Tischtennis-Bundesliga

Deutsches Tischtennis-Team Nicht nur Boll träumt von einer Olympia-Medaille

Stand: 21.07.2024 14:24 Uhr

Zum siebten Mal nimmt Timo Boll an Olympischen Spielen teil. Der 43-Jährige hofft zum Abschluss seiner großen Karriere noch einmal auf eine Medaille. Ohnhin reist das deutsche Tischtennis-Team trotz Rückschlägen optimistisch nach Paris.

Von Christian Adolph

Bundestrainer Jörg Roßkopf steht in der Trainingshalle in Düsseldorf und ruft seine Mannschaft zu sich. Er hält die Akkreditierungen für Olympischen Spiele in Paris in der Hand und teilt sie aus, unter anderem auch an Timo Boll. Ein formloser Akt, der aber gerade für den 43 Jahre alten Boll so viel Symbolkraft hat. Es werden seine siebten Spiele. Danach will Boll seine grandiose internationale Karriere beenden.

"Sieben Teilnahmen sind schon der absolute Wahnsinn, zeigt aber, über welchen langen Zeitraum Timo auf dem absoluten Top-Level gespielt hat", lobt Roßkopf den viermaligen Olympia-Medaillengewinner.

Für die Teilnahme in Paris musste Boll nochmal alles aus seinem mittlerweile sehr verletzungsanfälligen Körper herausholen. Eine langwierige Schulterverletzung ließ Bolls Olympiatraum in weite Ferne rücken. Der Odenwälder kurierte die Blessur gerade noch rechtzeitig aus und spielte plötzlich Anfang des Jahres wieder überragendes Tischtennis.

Boll gewann das Turnier in Doha, schlug mehrere Spieler aus den Top Ten der Weltrangliste. Bei der Nominierung im April bekam Boll ganz knapp den Zuschlag vor Patrick Franziska.

Eine echte Härtefall-Entscheidung, die auch Boll unter Druck setzt. "Ich habe auch ein wenig Angst, dass es schiefgeht und das Ergebnis nicht so wird, wie man sich das vorstellt. Zumindest habe ich das Gefühl, ich habe alles probiert, und das beruhigt ein bisschen", gewährte Boll sehr ehrliche Einblicke.

Boll und Ovtcharov hadern mit Generalprobe

Vielleicht auch deshalb ging Boll mit sich härter als sonst ins Gericht, nach der mäßigen Generalprobe beim Vorbereitungsturnier in Düsseldorf. "Ich war im Kopf einfach schlecht", fasste Boll die beiden Niederlagen gegen die Teamkollegen Fanbo Meng und Franziska zusammen: "Ich habe die letzten fünf Wochen oder noch mehr am absoluten Maximum trainiert, da hatte ich schon gewusst, dass etwas die Frische fehlen würde".

Boll wird nur in der Mannschaft an den Start gehen und sich bis dahin in seinem Heimatort Höchst noch den letzten Feinschliff holen.

Im Einzel zählen aus deutscher Sicht sowohl Dimitrij Ovtcharov als auch Dang Qiu zu den Medaillenkandidaten. Ovtcharov haderte ebenfalls mit dem Vorbereitungsturnier, denn er zog sich in seinem Einzel gegen Fanbo Meng eine leichte Zerrung im rechten Fuß zu.

Der Hallenboden machte dem sechsfachen Olympiamedaillengewinner Probleme. Die Entwarnung kam aber schnell: Der Olympiastart scheint nicht in Gefahr, trotzdem kostete ihn das zwei wichtige Trainingstage kurz vor dem Start der Spiele.

Ovtcharov mit bester Form seit Tokio

Ovtcharov sorgte in Tokio vor drei Jahren für einen der großen Höhepunkte. Das epische Halbfinale gegen Olympiasieger Ma Long aus China ging in die Geschichte ein, nach einhelliger Meinung von Experten und Fans als eines der besten Tischtennisspiele, die je gespielt wurden.

Trotz der sehr knappen und enttäuschenden Niederlage nach sieben spektakulären Sätzen holte sich Ovtcharov noch Bronze und ist seitdem mit seinen sechs Medaillen Rekordhalter im Tischtennis. 

Zuletzt trumpfte er nach schwankenden Leistungen mit dem Sieg beim WTT-Turnier in Nigeria wieder auf. "Ich habe das Gefühl, dass ich nun das erste Mal seit Tokio wieder wirklich in absoluter Topform bin. Es ist die beste Form, die ich seit 2021 habe und aktuell traue ich mir alles zu", betonte der 35-jährige.

Dang Qiu ist lange nicht so präsent in der Öffentlichkeit wie Boll oder Ovtcharov, aber nach seinem Europameistertitel 2022 der konstanteste deutsche Spieler. Für den gebürtigen Nürtinger, der aus einer chinesischen Tischtennisfamilie kommt, sind es die ersten Olympischen Spiele.

"Wenn man die Ehre hat, für Deutschland zu starten, dann gehört man automatisch zur Weltspitze, denn man muss sich schon intern gegen Weltklassespieler durchgesetzt haben. Es ist fantastisch, in Paris zu den Medaillenkandidaten zu zählen. Ich weiß jedoch auch, wie schwer es angesichts der Vielzahl an unfassbar starken Konkurrenten werden wird", sagte Qiu.

Herren-Team mit guten Chancen auf eine Medaille

Die größte Medaillenchance gibt es aber mit der Mannschaft. Silber gewann das Männer-Team in Tokio, unterlag im Finale den hochfavorisierten Chinesen. Nur: Dieses Mal wird der Kampf um die Medaillen deutlich härter. Mit Frankreich kommt ein großer Konkurrent dazu - mit Heimvorteil.

Die Franzosen haben mit dem Brüderpaar Felix und Alexis Lebrun zwei absolute Top-Talente hervorgebracht. Der Hype in Frankreich ist riesig. Felix ist erst 17 Jahre alt, derzeit schon bester Europäer in der Weltrangliste und im Einzel an Position drei hinter den Chinesen gesetzt.

Zusammen mit seinem Bruder Alexis und Simon Gauzy holte er im Team Silber bei der Mannschaft-WM im Februar. Deutschland schied, damals noch ohne Boll, im Viertelfinale gegen Taiwan aus.

Neben Taiwan sind auch Japan, Korea oder auch Schweden weitere Medaillenkandidaten auf höchstem Niveau, die den Traum von einem fünften olympischen Podestplatz für Timo Boll platzen lassen könnten. "Es kämpfen sechs, sieben, acht Mannschaften um die Medaillen, wir gehören dazu, aber hinter dem absoluten Topfavoriten China ist das Rennen völlig offen", so Boll.

Verletzung von Ying Han überschattet die Vorbereitung

Bei den Frauen hat das Verletzungspech das Team emotional und sportlich ziemlich durcheinander gewirbelt. Deutschlands Nummer eins Ying Han zog sich beim Turnier in Bangkok Anfang Juli einen Achillessehnenriss am linken Fuß zu.

Ein echter Schock für das Team um Bundestrainerin Tamara Boros, da sich Han gerade erst von einem Achillessehnenriss am rechten Fuß erholt hatte. Han kämpfte sich mit hartem Training zurück und gab erst im Mai ihr Comeback nach viermonatiger Pause.

"Jetzt sind wir gefühlt ins kalte Wasser geworfen worden", sagt Teamkollegin Nina Mittelham, die in Paris die neue Führungsspielerin sein wird. Die Weltranglisten-16. gibt ihr Olympia-Debüt und geht mit Dang Qiu auch im Mixed-Wettbewerb an den Start.

"Insbesondere im Mixed gibt es immer wieder jede Menge Überraschungen. Dang und ich haben leider keine so gute Setzung. Aber wir können fast jedes andere Duo schlagen und deshalb will sicherlich keiner gerne gegen uns spielen", so die 27-jährige.

Nach der Verletzung von Han rückt Annett Kaufmann ins Frauen-Team. Die 18-Jährige ist das hoffnungsvollste deutsche Talent und steht noch ganz am Anfang ihrer Karriere. 

Timo Boll hingegen will zum Abschluss nochmal das olympische Flair aufsaugen. Seit 2008 holte Deutschland im Tischtennis immer mindestens eine Medaille. Gerade Boll wäre es zu wünschen, wenn das auch in Paris 2024 so bleibt.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr