Wichtiges Spiel bei der Handball-EM Gegen Frankreich startet für Deutschland die heiße Phase
Die beiden Auftritte des DHB-Teams bei der Heim-EM waren sehr überzeugend - gegen Frankreich zählt das aber alles nicht mehr.
Zwei Kantersiege gegen die Schweiz und Nordmazedonien haben Deutschlands Handballer bei der EM zu verbuchen - Hauptrundeneinzug gesichert. Der dritte und letzte Vorrundengegner Frankreich überzeugte indes beim eigenen Sieg gegen Nordmazedonien so richtig nur in der Schlussphase, spielte gegen die Schweiz überraschend nur unentschieden und ist zumindest rechnerisch noch nicht sicher in der Hauptrunde (auch wenn die Schweiz am dritten Spieltag wohl eher nicht 23 Tore auf die Franzosen aufholen wird). Und trotzdem ist die Ausgangslage für den DHB und die Franzosen vor dem Spiel heute Abend (16.01.2024, ab 20.15 Uhr live im Ersten und im Stream, sowie hier im Audiostream) eigentlich identisch: Verlieren (quasi) verboten.
Denn: Wie so oft bei Handballturnieren werden nur die Punkte aus der Vorrunde mit in die Hauptrunde genommen, die man gegen das andere qualifizierte Team aus der eigenen Gruppe geholt hat. Bedeutet: Verlieren die Deutschen gegen Frankreich, ginge man mit 0 Punkten in die Hauptrunde, die Franzosen hätten zwei - und umgekehrt. Wer ohne Punkte in die Hauptrunde einzieht, darf dort dann von den vier Spielen wahrscheinlich keines mehr verlieren, wenn das Halbfinale noch erreicht werden soll - so war es zumindest bei der vergangenen EM.
Auch Sportvorstand Axel Kromer sagt deshalb in einem digitalen Medientermin am Montag, dass "die EM für uns jetzt richtig losgeht". Dieses Frankreich-Spiel, da sind sich alle beim DHB einig, ist de facto der Beginn der Hauptrunde.
Legendäres Spiel 2007 - zuletzt aber meist unterlegen
Von den jüngsten fünf Spielen bei großen Turnieren gegen die Franzosen konnte der DHB kein einziges gewinnen. Die Menge an denkwürdigen Spielen gegen Frankreich ist darüber hinaus enorm. Allein das WM-Halbfinale 2007, das die Deutschen nach zweimaliger Verlängerung gewannen, bot genug Aufreger und legendäre Szenen für drei Handballspiele.
Zuletzt schied man vor ziemlich genau einem Jahr im WM-Viertelfinale mit einem 28:35 (16:16) aus. Damals hatte die deutsche Mannschaft lange gut mitgehalten, war in der zweiten Halbzeit aber mehrfach frei an Frankreichs Torhüter Remi Desbonnet gescheitert, was die erfahrenen Franzosen eiskalt bestraften.
Frankreich sehr erfahren - aber noch nicht so richtig im Turnier
Mit herausragenden Torhüterleistungen sind die Franzosen bei diesem Turnier bisher noch nicht besonders aufgefallen, lediglich Kiels Samir Bellahcene hatte gegen die Schweiz ein paar gute Momente, sah aber bei einigen Gegentoren auch nicht ganz glücklich aus. Insgesamt ist die Mannschaft, die vom ehemaligen Bundesligaspieler Guillaume Gille trainiert wird, noch nicht voll im Turnier angekommen.
Das ist für den Olympiasieger von 2020 aber nicht untypisch. Die mit erfahrenen Stars wie Nikola und Luka Karabatic, Nedim Remili oder Ludovic Fabregas gespickte Mannschaft ist eher für die "großen Spiele" gebaut. Acht Akteure im Aufgebot haben schon über 100 Länderspiele bestritten, sogar der erst 26 Jahre alte Dika Mem kommt auf 108. Bei den Deutschen sind nur Kai Häfner, Andreas Wolff und seit kurzem Jannik Kohlbacher Teil dieses erlesenen Klubs.
In Sachen internationaler Erfahrung, individueller Klasse und jüngster Aufeinandertreffen sind die Franzosen der Favorit für das Duell am Dienstag. Die Leistungen in den ersten beiden Spielen und der Heimvorteil sprechen aber für die Deutschen. Wo konkret könnte die Mannschaft von Bundestrainer Alfred Gislason ansetzen? Welche Schwächen hat das französische Starensemble bisher gezeigt?
Mit Geduld und Übersicht kann man Frankreich aus der Deckung locken
Frankreichs Defensive hat zwar eine enorme Physis, die es erst einmal zu überwinden gilt, aber in beiden Spielen ließen sich die Franzosen das ein oder andere Mal aus der Reserve locken und verspekulierten sich, was Lücken für Kreisläufer, aber auch für die Außen schuf. 23 Gegentore kassierten die Franzosen in den ersten beiden Spiele allein von gegnerischen Kreisläufern - Deutschlands Spielmacher Juri Knorr ist für sein starkes Zusammenspiel mit Kapitän Johannes Golla am Kreis und sein gutes Auge im Passspiel bekannt.
Wenn die Deutschen genügend Gefahr aus dem Rückraum ausstrahlen und die französische Defensive so etwas öffnen können - wie es beispielsweise Andy Schmid mit der Schweiz gelang - sollten sich, so die Theorie, die notwendigen Räume ergeben. Leichte Fehler oder Fehlwürfe führen aber dazu, dass Frankreich diese wie im WM-Viertelfinale 2023 im Gegenstoßspiel eiskalt bestraft. Auch deswegen sagt der Bundestrainer: "Wir brauchen eines unserer besten Spiele."
Frankreich mit großer individueller Klasse, eher keine taktischen Überraschungen
Im Angriff spielen die Franzosen im Vergleich zu den Deutschen eher statisch. Zunächst kontern sie eben überfallartig aus der eigenen Abwehr, wenn das aber nicht zum Erfolg führt, setzen sie nicht so sehr auf viel Bewegung, sondern eher auf die individuelle Klasse und die schlauen Entscheidungen ihrer Stars. "Die große Stärke der Mannschaft ist ihre Individualität", erklärt auch ARD-Experte Dominik Klein.
Das klappt bisher noch nicht immer zuverlässig, gerade aus dem Rückraum ist bisher nur Linkshänder Dika Mem wirklich konstant gefährlich. Mem und die Anspiele auf Kreisläufer Fabregas oder den von außen an den Kreis einlaufenden Dylan Nahi waren gegen die gute Schweizer Defensive die Mittel, die funktionierten und auf die Frankreich vermehrt setzte. Klar ist, auch wenn die französischen Angriffszüge nicht so filigran daherkommen wie bei anderen Nationen: Eine solche Aufgabe hatte die deutsche Deckung allein physisch in diesem Turnier bisher noch nicht. Die große taktische Überraschung ist von der "Equipe Tricolore" aber eher nicht zu erwarten.
Es ist alles angerichtet für eine Partie, die für den weiteren Turnierverlauf entscheidend sein kann. Ein lang ersehnter Sieg gegen die Franzosen bei einem großen Turnier und vor allem eben auch die zwei Punkte für die Hauptrunde in Köln könnten dem deutschen Team den entscheidenden Schub geben, den es braucht, um auch in der Hauptrunde weiter auf der Erfolgswelle zu reiten. Eine womöglich sogar klare Niederlage wäre noch nicht das Ende aller Hoffnungen, aber doch ein extrem schwerer Rucksack für die kommenden Tage.