Trotz positivem Dopingtest Amtsgericht Chemnitz spricht Gewichtheberin von Dopingvorwurf frei
Das Amtsgericht Chemnitz hat die deutsche Nachwuchs-Gewichtheberin Vicky Schlittig vom Dopingvorwurf freigesprochen. Das Gericht folgte in der Verhandlung am Dienstag (28.02.2023) den Anträgen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, die jeweils auf Freispruch plädiert hatten. Sportrechtlich droht Schlittig allerdings noch immer eine Vier-Jahres-Sperre.
Der Internationale Sport-Gerichtshof CAS berät derzeit über die Entscheidung in dem Fall. Den Zeitpunkt eines Urteils ließ der CAS auf ARD-Anfrage offen. Das Chemnitzer Urteil verstärkt nun die Debatte über die Beweislast, die Athletinnen und Athleten im Sportrecht grundsätzlich aufgebürdet wird. Dort muss nicht wie im Strafrecht die Anklage-Vertretung einen Täter zweifelsfrei überführen. Athleten müssen in der Sportjustiz nach dem Prinzip der sogenannten Beweislastumkehr selbst nachweisen, dass eine verbotene Substanz ohne ihr Wissen in ihren Körper gelangt ist.
"Vernünftige Zweifel" an Schlittigs Schuld
Richter Karlheinz Gräwe genügten "vernünftige Zweifel" an der Schuld Schlittigs für einen Freispruch. Er kam zu dem Schluss, dass Schlittig das Mittel unbewusst eingenommen haben muss. Ihre Unschuld bewiesen habe sie allerdings nicht. Schlittigs Anwalt Steffen Lask sagte: "Nach diesem Urteil kann man sich mehr denn je fragen, ob die Umkehr der Beweislast im Sport noch zeitgemäß ist."
Schlittig selbst zeigte sich mit dem Urteil dennoch "überglücklich". Nächster Schritt sei das CAS-Urteil. "Mein Ziel bleibt es, schnell wieder Wettkämpfe bestreiten zu können", sagte sie. Die 19-Jährige war im Rahmen der Junioren-EM in Finnland im September 2020 positiv auf das anabole Steroid Oral-Turinabol getestet worden. Strafrechtliche Konsequenz für die Gewichtheberin aus Gröditz in Sachsen war das Verfahren in Chemnitz wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen das Anti-Doping-Gesetz.
Entlastung durch Gutachten
Ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten hatte Schlittig vor Prozessbeginn stark entlastet. Verfasst haben es Experten des von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA akkreditierten Kontrolllabors im sächsischen Kreischa bei Dresden. Sie sprachen die Athletin im Grunde vom Vorwurf des vorsätzlichen Dopings zur Leistungssteigerung frei.
Es wurden zwar Auffälligkeiten, die den Verdacht der Einnahme des DDR-Dopingklassikers Oral-Turinabol begründen, in Schlittigs Urin festgestellt. Übliche Abbauprodukte der Substanz fehlten aber. Ungewöhnlich zudem: Weitere Routine-Tests unmittelbar vor und nach dem Wettbewerb in Finnland waren negativ ausgefallen.
"Kein Anhaltpunkt für Manipulation von außen"
Auch ein von der Verteidigung in Auftrag gegebenes niederländisches Gutachten hatte vorsätzliches Doping quasi ausgeschlossen und stattdessen auf die Möglichkeit einer Manipulation durch Dritte hingewiesen. Die Expertise verwies auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus Köln über ein Experiment, das die ARD im Film "Geheimsache Doping: Schuldig" im Sommer 2022 thematisiert hatte. Das Experiment zeigt, wie einfach ein positiver Test bereits über flüchtige Berührungen der Haut – etwa einen Handschlag – verursacht werden kann.
Eine darauf fußende Studie des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Köln bestätigte die Ergebnisse dieses Experiments. Darin hatte auch Oral-Turinabol, das bei Schlittig nachgewiesene Mittel, nach einer flüchtigen Berührung zu einem positiven Befund geführt. Das Gericht betonte am Dienstag allerdings, dass es "keinen Anhaltspunkt für eine Manipulation von außen" sehe.