Beatrice Masilingi in Aktion
Player: videoZerreißprobe für den Weltsport: Diskussion über Startrecht von Transgender- und DSD-Athletinnen

Streit um DSD-Athletinnen hält an Geschlechterfrage stellt den Weltsport vor Zerreißprobe

Stand: 30.03.2025 11:00 Uhr

Keine Diskussion wird im Sport so unversöhnlich geführt wie die um das Startrecht für Frauen mit Abweichungen in der Geschlechtsentwicklung. Nun wird die Problematik zur Zerreißprobe – auch dank Donald Trump.

Von Hajo Seppelt, Peter Wozny und Jörg Mebus

Es gibt Tage, an denen Beatrice Masilingi ihr Traumziel aus den Augen verliert. Die Testosteron-Blocker, die die 200-m-Läuferin aus Namibia nehmen muss, um die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles überhaupt im Blick behalten zu dürfen, machen sie müde und langsamer. Die mitunter auch schmerzhaften Nebenwirkungen der Medikamente zermürben sie. Ihr Weg, so glaubt die einstige Medaillenhoffnung des afrikanischen Landes dann an diesen schlechten Tagen, führt sie nicht nach Kalifornien, sondern geradewegs Richtung Karriereende und in die Vergessenheit.

"Eigentlich wollte ich nichts in meinem Körper haben, was ich nicht brauchte", erzählt Masilingi der ARD in ihrer Heimat Windhoek. Sie begann dann trotzdem, hormonsenkende Mittel zu nehmen, weil die Regeln ihres Sports sie dazu zwingen: "Ich bekomme einmal im Monat Injektionen. Damit behandelt man eigentlich Prostatakrebs bei Männern. Aber man kann damit auch die Hormone beeinflussen." Von ihren persönlichen Bestzeiten ist sie momentan weit entfernt.

Sprinterin Beatrice Masilingi (Namibia)

Sprinterin Beatrice Masilingi (Namibia)

Was zählt mehr?

Masilingi ist eine sogenannte DSD-Athletin, eine Frau mit Abweichungen in der Geschlechtsentwicklung. Dass ihr Körper zu viel Testosteron produziert, erfuhr die 21-Jährige erst vor knapp vier Jahren. Danach durfte sie nur noch über Distanzen bis 200 Meter starten. 2023 stellte eine neue Regel sie vor die Wahl: Testosteron-Blocker oder Karriereende.

Masilingi und andere DSD-Athletinnen, die im Gegensatz zu Transgender-Athletinnen nicht bewusst ihr Geschlecht gewechselt haben, stellen den Weltsport vor eine, so scheint es, unlösbare Aufgabe. Vor ein Dilemma, das wie kaum ein anderes Thema die Gemüter erhitzt. Die Kernfrage, auf die sich letztlich alles reduziert, lautet: Was zählt mehr? Das Persönlichkeitsrecht von Sportlerinnen, die als Frauen geboren und aufgewachsen sind, oder der Schutz der Integrität des Wettbewerbs?

Verhindert Inklusion Chancengleichheit?

Die Debatten begannen mit der DSD-Läuferin Caster Semenya, ausgelöst durch die erdrückende, etwa ein Jahrzehnt andauernde Dominanz der Südafrikanerin über die 800-Meter-Distanz seit ihrem WM-Titel 2009 in Berlin. Für den vorläufigen Höhepunkt der Kontroverse sorgten die Fälle von Imane Khelif (Algerien) und Lin Yu-ting (Taiwan). Der Weg der DSD-Boxerinnen zur Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Paris war gepflastert von erbitterten Diskussionen, und Social Media wirkte wie ein Brandbeschleuniger.

Geht Inklusion im Leistungssport über Chancengleichheit? Die Debatte darüber ist längst zum Kulturkampf mutiert, und sie sorgt auch für tiefe Verunsicherung, nicht nur bei Athletinnen. Nach dem olympischen 800-m-Finale von Rio 2016, das Semenya vor zwei weiteren DSD-Athletinnen gewann, habe er nach dem Rennen einen Anruf bekommen, sagte Kanadas ehemaliger Nationaltrainer Peter Eriksson der ARD über sein angebliches Gespräch mit einem Verbandsanwalt: "Mir wurde mitgeteilt, dass ich auf Lebenszeit für alle Funktionen im Sport gesperrt würde, wenn ich irgendetwas sage, was mit DSD- und Transgender zu tun hat." Eriksson trainierte damals die viertplatzierte Melissa Bishop.

Im Internet am Pranger

Auch in Organisationen, die sich für die Rechte von Nicht-DSD-Athletinnen einsetzen, wird immer wieder darüber berichtet, dass das Thema aus Angst vor Repressionen tabuisiert werde. "Wir haben von Leuten gehört, die aus ihren Vereinen geworfen wurden, weil sie es gewagt haben, ihre Meinung zu sagen", berichtet Fiona McAnena, Aktivistin bei "Sex Matters" der ARD in London. Zur Entspannung der Lage trägt die Organisation nicht bei, im Gegenteil. DSD-Athletinnen werden bei "Sex Matters" als "Männer" bezeichnet, und McAnena sagt, grundsätzlich sollten Medaillen nur "an Frauen gegeben werden, die sie verdient haben".

Im Internet sind mehrere anonym geführte Seiten zu finden, auf denen DSD-Athletinnen an den Pranger gestellt werden – aufgelistet werden Namen und persönliche Daten. Eine Differenzierung zu Transgender-Athletinnen, die sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren und deshalb bewusst die Geschlechtsidentität wechseln, findet dort nicht statt. Alle werden pauschal als "Männer" tituliert.

Vorteil wissenschaftlich erwiesen

Doch es gibt sie noch, die ruhigen Einordnungen des Themas fernab jedes Hasses. "Auf der menschlichen Seite finde ich es schwierig vertretbar, jemanden zu zwingen, Hormone zu nehmen oder Ähnliches", sagt die deutsche 200-m-Meisterin Jessica Wessolly der ARD: "Aber ja, für uns Frauen, die vielleicht normale Hormonwerte haben, ist es ein bisschen fairer, wenn es vergleichbar ist."

Die deutsche Sprinterin Jessica-Bianca Wessolly während der Leichtathletik WM 2022 in Eugene.

Dass DSD-Athletinnen in vielen Sportarten bevorteilt sind, ist wissenschaftlich erwiesen. Unter hoher Testosteroneinwirkung ließen sich Muskeln wesentlich besser und kräftiger aufbauen, erklärt die Endokrinologin Annette Richter-Unruh. Diese Veränderungen führten, so sagt sie, "zu klaren Vorteilen im Sport". Die Wissenschaftlerin verweist darauf, dass der Testosteron-Wert bei Frauen normalerweise unter 2,5 Nanomol pro Liter Blut liegt, der bei Männern bei über 8,0. Ihre Wertung: Wer über 2,5 liegt, "sollte nicht bei den Frauen starten dürfen".

2,5 Nanomol Testosteron pro Liter Blut war zwei Jahre lang auch der Grenzwert in der Leichtathletik, bis kürzlich der Weltverband ankündigte, seine Regeln zum wiederholten Male verschärfen zu wollen: Künftig sollen nur noch Athletinnen mit weiblichem Chromosomensatz – die meisten DSD-Athletinnen haben einen männlichen - bei den Frauen starten dürfen. Ein einmaliger Wangenabstrich-Test soll Gewissheit bringen. Die Aktivistin Payoshni Mitra, die seit Jahren Caster Semenya und andere DSD-Athletinnen unterstützt, hält diese Entscheidung für einen "Rückschritt um Jahrzehnte".

Keine einheitlichen Regeln

Von einheitlichen DSD-Regeln ist der Sport weit entfernt. Eine Umfrage der Sportschau unter den 45 wichtigsten Weltverbänden belegt dies eindrücklich. 24 haben keine oder nur sehr vage Regeln für DSD-Athletinnen oder verlassen sich auf die Angaben im Reisepass. 21 Verbände haben Regeln, die jedoch stark variieren.

Unter Kirsty Coventry, der künftigen Präsidentin des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), soll sich dies ändern. Dabei scheint das Pendel immer weiter in Richtung Schutz der Integrität des Wettbewerbs auszuschlagen. "Ich möchte sicherstellen, dass wir vor allem die weiblichen Kategorien schützen. Ich wünsche mir, dass das IOC mit der Unterstützung der internationalen Verbände diesbezüglich eine stärkere Position einnimmt", sagt Coventry.

Offener Bruch der Olympischen Charta

Ist also ein Ende der Kontroverse in Sicht, zumindest eine Beruhigung der aufgeheizten Lage? Dass dem nicht so ist, liegt vor allem an Donald Trump. Der US-Präsident verfügte zuletzt per Dekret, alle Visumsanträge abzulehnen, und zwar, so sagte er, "von Männern, die versuchen, auf betrügerische Art in die USA einzureisen, indem sie sich als weibliche Athleten ausgeben, die an den Spielen teilnehmen".

Gemeint sind die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028. Ob an den US-Grenzen zwischen DSD und Transgender differenziert wird, ist unklar. Falls nicht, wäre es das Ende des olympischen Traumes von Beatrice Masilingi, der 200-m-Läuferin aus Namibia. Aber es wäre auch ein klarer, offener Bruch der Olympischen Charta durch Trump, auf den eigentlich der Entzug der Spiele folgen müsste. Die wahre Zerreißprobe in der Geschlechterfrage könnte dem Weltsport also noch bevorstehen.