Startblock in einer Leichtathletik-Halle (Foto: IMAGO / Beautiful Sports)

Exklusive Sportschau-Umfrage DSD- und Transgender-Regeln - Flickenteppich im Weltsport

Stand: 30.03.2025 11:00 Uhr

Die Sportschau befragte 45 internationale Sportfachverbände, nach welchen Regeln DSD- und Transgender-Athletinnen starten dürfen. Das Ergebnis zeigt: Von einheitlichen Vorgaben ist der Weltsport weit entfernt.

Von Hajo Seppelt, Peter Wozny und Jörg Mebus

Klar ist nur, dass nichts klar ist: Die Regelungen des Startrechts für DSD- und Transgender-Athletinnen gleichen im Weltsport einem Flickenteppich. Das ist das Ergebnis einer exklusiven Umfrage der ARD unter den 45 wichtigsten internationalen Fachverbänden - von denen viele die brisante Geschlechter-Frage gelinde gesagt stiefmütterlich behandeln. 24 der angefragten Weltverbände haben keine wissenschaftlich basierte Regeln für DSD- und Transgender-Athletinnen implementiert, nur 21 stützen ihre Regularien im Zusammenhang mit dieser substanziellen Streitfrage auf medizinische Expertisen.

Betroffen sind auch Sportarten, in denen der wissenschaftlich erwiesene, hormonell bedingte Kraftvorteil von DSD-Athletinnen durchaus eine gewichtige Rolle spielen könnte, darunter Kanu, Moderner Fünfkampf und Turnen. Meist gilt in diesen Verbänden: Wer laut Reisepass eine Frau ist, darf auch bei den Frauen starten.

Neuregelungen in Arbeit

Diese Regelung hatte auch das Internationale Olympische Komitee für die Box-Wettkämpfen bei Olympia in Paris 2024 angewandt, nachdem es wegen der Suspendierung der International Boxing Association (IBA) die Organisation übernommen hatte. Das Ergebnis: Hitzige weltweite Diskussionen um die DSD-Kämpferinnen Imane Khelif (Algerien) und Li Yu-Ting (Taiwan), die in Paris jeweils Gold gewannen.

Olympia in Paris

Olympia in Paris

DSD steht für "differences in sexual development", also Abweichungen in der Geschlechtsentwicklung. DSD-Athletinnen sind als Frauen geboren und aufgewachsen, während Transgender-Athletinnen bewusst die Geschlechtsidentität gewechselt haben. Die bedeutendste DSD-Abweichung betrifft eine mitunter stark erhöhte Testosteron-Produktion, die das Muskelwachstum und damit häufig das Leistungsvermögen verstärkt.

Viele Verbände wiesen in der Antwort auf die Umfrage darauf hin, dass eine Neuregelung in Arbeit sei und man dazu momentan Experten zu Rate ziehe. Das Fehlen von Regeln führt dazu, dass DSD-Athletinnen in diesen Sportarten gar nicht erfasst werden - unklar also, wie viele überhaupt Leistungssport betreiben.

Große Grenzwert-Unterschiede

21 der befragten Weltverbände haben Regeln, die wissenschaftliche Erkenntnisse zu körperlichen Vorteilen von DSD- und Transgender-Athletinnen berücksichtigen. Jedoch variieren diese Regeln sehr stark: Im Baseball, Klettern, Ringen und Taekwondo müssen die betroffenen Sportlerinnen ihren Testosteronwert auf 10 Nanomol pro Liter Blut senken. Damit bewegen sie sich jedoch immer noch deutlich im "männlichen" Bereich (ab ca. 8,5).

Weitere sechs Verbände lassen 5 Nanomol pro Liter zu, was immer noch doppelt so viel ist wie bei Frauen üblich. Beim Surfen und Skaten mag das weniger relevant sein als beim Rudern, Eisschnelllauf, Tennis und Eishockey.

Differenzierung im Rudern, Segeln und Gewichtheben

Nur 11 von 45 Weltverbänden – darunter Schwimmen, Radsport und Gewichtheben - verlangen einen Testosteronspiegel auf weiblichem Niveau (unter 2,5 Nanomal pro Liter) und teilweise auch eine Transformation vor der Pubertät. Letzteres ist in den meisten Fällen rechtlich gar nicht möglich und medizinisch hoch umstritten. Eine Unterscheidung zwischen DSD- und Transgender-Athletinnen machen laut Umfrage nur drei Verbände: die für Rudern, Segeln und Gewichtheben.

Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics, den das Thema schon seit zwei Jahrzehnten intensiv beschäftigt und der schon mehrere Regeländerungen hinter sich hat, plant momentan eine Angleichung von DSD- und Transgender-Regeln. Ein eindeutiger weiblicher Chromosomensatz, ermittelt durch einen einmaligen Wangenabstrich-Test, soll Grundvoraussetzung für das Startrecht in Frauen-Wettkämpfen werden. Das gab der World-Athletics-Präsident Sebastian Coe bekannt.

Die neue IOC-Präsidentin: Kirsty Coventry

IOC will stärker eingreifen

Der Schutz der Integrität von Frauen-Wettkämpfen soll in der Leichtathletik mehr Bedeutung erhalten – und womöglich nicht nur dort. Kirsty Coventry, die künftige Präsidentin des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), hat dies bereits betont und angedeutet, man wolle die Fachverbände bei der Umsetzung neuer Regeln stärker unterstützen.

Das nächste olympische Box-Turnier in Los Angeles 2028 wird durch den neuen Verband World Boxing ausgerichtet, der momentan neue Regeln für DSD-Athletinnen entwirft und zeitnah veröffentlichen will. Dann entscheidet sich, ob Imane Khelif und Li Yu-Ting noch einmal antreten dürfen.