Nachhaltigkeit bei EURO 2024 EM wird zum Härtetest für öffentlichen Nahverkehr
DFB und UEFA haben versprochen, die nachhaltigste Fußballeuropameisterschaft aller Zeiten auszurichten. Deswegen sollen an den Stadien möglichst wenige PKW-Parkplätze angeboten werden. Aber nicht überall ist der ÖPNV stark genug.
Zur Fußballeuropameisterschaft werden allein zu den Spielen in den Stadien rund 2,7 Millionen Besucher erwartet. Auf den Fanmeilen der zehn Gastgeberstädte könnten sogar bis zu 12 Millionen Menschen feiern und Fußball schauen.
Wie schon bei vorigen Sportgroßereignissen bedeutet das: Von den CO2-Emissionen, die die Veranstaltung verursacht, entstehen bis zu 80 Prozent bei der Anreise der Fans. Auch, wenn wohl nur wenige von Übersee und nur einige aus dem europäischen Ausland anreisen werden. Rund 65 bis 70 Prozent der Ticketinhaber sollen aus Deutschland kommen.
Soll die Fußball-Europameisterschaft wie versprochen die nachhaltigste aller Zeiten werden, muss der Großteil der Fans das Auto zu Hause lassen. Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz forderte bereits vergangenes Jahr: "Den Leuten muss klargemacht werden: Der günstigere, bequemere und der ökologischere Weg ist die Anreise mit der Bahn."
Neben ermäßigten Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn und Interrail-Tickets gibt es für EM-Ticketinhaber deswegen auch ein kostenloses 36-Stunden-Nahverkehrsticket zu jedem Spiel. Und die UEFA wollte an der Hälfte der Stadien keine öffentlichen Parkplätze für die Fans anbieten.
An vier von zehn Stadien keine PKW-Parkplätze für die Fans
Eine Nachfrage der Sportschau zeigt jetzt: Mit Hamburg, Leipzig, Berlin und Frankfurt wird es für die Fans tatsächlich an vier von zehn Stadien keine Parkplätze geben. Die Parkplätze rund um die Stadien sind dann Reisebussen, Polizei und Feuerwehr, den Organisatoren, den Medien, den Stadionbesuchern mit Behinderung und den UEFA-Gästen vorbehalten.
An allen anderen EM-Stadien werden den Fans im direkten Umfeld deutlich weniger Parkplätze angeboten, als es zu Bundesligaspielen üblich ist. Die wenigen Parkplätze dort müssen im Vorhinein über die Euro2024-App gebucht werden und kosten 24 Euro. Davon will die UEFA fünf Euro Klimaschutzprojekten zugutekommen lassen. Zum Vergleich: Beim Hamburger SV kostet ein Parkticket für ein Zweitligaspiel 9 Euro.
Dass die eigene Anreise mit dem Auto unattraktiver wird, begrüßen Experten aus dem Umweltschutz ausdrücklich. Für die Veranstalter der EM bringen die Nachhaltigkeitsbemühungen – weniger Parkplätze, mehr Fern- und Nahverkehr über die Bahn – aber auch Herausforderungen mit sich.
Herausforderung 1: Die Kapazitäten im öffentlichen Nahverkehr
"Erfahrungsgemäß nutzen bis zu 80 Prozent der Gäste bei Fußball-Europameisterschaften den ÖPNV", sagt die EURO 2024 GmbH, die das Turnier für DFB und UEFA organisiert. Aber eine Abfrage durch die Sportschau ergab, dass wohl nur die Hälfte der zehn Ausrichterstädte in Deutschland in der Lage wäre, 80 Prozent der Ticketinhaber mit dem öffentlichen Nahverkehr innerhalb von drei Stunden zum Stadion hin oder zurück zu bringen. Und zwar Stuttgart, Hamburg, Leipzig, Düsseldorf und Berlin.
Wobei Berlin nicht nur das größte Stadion der EM (71.000 Plätze), sondern auch die stärkste Infrastruktur verspricht: In nicht mal 1,5 Stunden sollen dort theoretisch 80 Prozent der Zuschauer mit dem öffentlichen Nahverkehr an- oder auch abreisen können.
Die Ausrichterstädte Dortmund, Gelsenkirchen, Köln und Frankfurt wollten keine Angaben machen, wie viele Fans sie pro Stunde unter Höchstlast mit dem ÖPNV zum oder vom Stadion weg transportieren können. "In einzelnen Host Cities ist die Leistungsfähigkeit des ÖPNV aufgrund der Infrastruktur limitiert", schreibt die EURO 2024 GmbH. In München soll der städtische ÖPNV durch einen externen Anbieter mit Shuttlebussen zum Stadion verstärkt werden, um die Nachfrage zu decken.
An den Standorten, an denen die ÖPNV-Infrastruktur limitiert ist, habe man sich entschieden, Parkplätze anzubieten, schreibt die EURO 2024 GmbH. Gelsenkirchen plant mit nur 50 Prozent ÖPNV-Anreise der Zuschauer und in Stadionnähe sollen knapp 4.000 der bei Bundesligaspielen üblichen 14.000 Parkplätze buchbar sein. In Köln sind es knapp 3.000, etwas mehr als die Hälfte des gewohnten Parkplatz-Angebots am Müngersdorfer Stadion.
In Dortmund werden 3.000 von rund 10.000 Parkplätzen im Stadionumfeld zur Verfügung gestellt. Dort sind die Organisatoren der Stadt darauf angewiesen, dass sie einen signifikanten Teil der Stadionbesucher für einen 45-Minuten-Fußmarsch zum Stadion motivieren können, wenn alle pünktlich zum Anpfiff im Stadion sein wollen. Dafür wird ein grüner Teppich als sogenannter Fan-Walk den Weg weisen.
Herausforderung 2: Die Kommunikation mit den Fans
Damit alle Fans wissen, ob es klug ist, mit dem Auto zu kommen, auf eine S-Bahn zu warten oder den Weg zum Stadion zu Fuß anzutreten, müssen die Ausrichterstädte viel Aufwand betreiben. Beschilderungen, digitale Leitsysteme und freiwillige Helfer sollen Fußgängern, Radfahrern, E-Scooter-Nutzern und Autofahrern den Weg weisen.
Über eine App versucht die UEFA alle Ticketinhaber darauf hinzuweisen, dass es an ihrem Spielort entweder gar keine Parkplätze gibt oder die Plätze vorab gebucht werden müssen. Diese Informationen sind wichtig, damit es kein Verkehrschaos gibt. In Hamburg stehen an den Spieltagen gar keine öffentlichen Parkplätze zur Verfügung. Deswegen werden dort Polizisten eingesetzt, die Autofahrern ohne Berechtigung die Zufahrt zum Stadionumfeld verweigern und falsch geparkte Autos abschleppen lassen sollen.
Was passieren kann, wenn die Stadionbesucher nicht gut Bescheid wissen, hat Frankfurt 2018 bei einem Konzert von Helene Fischer erlebt. Damals parkten die Fans mit ihren Autos Wohnsiedlungen und Straßenbahnstrecken zu und stellten sie sogar an der Seite der A3 ab, weil ein Parkplatz neben der Autobahn überfüllt war. Auch Reisebusse hielten im Stau auf der Autobahn, um Konzertbesucher aussteigen zu lassen.
Zuletzt hat Frankfurt aber Pionierarbeit geleistet: Bei einem ausverkauften Football-Spiel der NFL im vergangenen November standen den Fans bereits deutlich weniger Parkplätze zur Verfügung als üblich. Die An- und Abreise mit dem öffentlichen Nahverkehr habe gut funktioniert, so die Stadt. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist Berlin bereits einmal ganz ohne öffentliches Parkplatzangebot am Stadion ausgekommen und sagt, auch damals habe es gut geklappt.
Herausforderung 3: Die Autos von vornherein aus den Städten heraushalten
Um den eigenen Ansprüchen im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz gerecht zu werden und mit den wenigen Parkplätzen an den Stadien auszukommen, ist es wichtig, dass möglichst viele Fans bereits im Fernverkehr den Zug nutzen.
Doch bei der Vergabe der ersten 1,2 Millionen EM Tickets Mitte November lief die Kommunikation dazu nicht optimal: Die ermäßigten DB- und Interrail-Tickets kamen erst zwei Monate später auf den Markt.
Für die Ausrichterstädte ist es schwer, sich darauf zu verlassen, dass genug Fans die Angebote mitbekommen und die Bahntickets auch wirklich nachgefragt werden. Das zeigt das Beispiel Düsseldorf, wo es am Stadion trotz aller Nachhaltigkeitsambitionen 10.000 Parkplätze geben wird – verglichen mit den anderen Spielorten mit Abstand die meisten.
Und das, obwohl die Stadt auf Sportschau-Nachfrage eine gute ÖPNV-Verbindung zum Stadion präsentiert. Ihren Angaben nach könnten Busse und Bahnen in nur etwas mehr als zwei Stunden 80 Prozent der Zuschauer zum Stadion bringen. Die EURO 2024 GmbH erklärt jedoch: In Düsseldorf werde mit mehr Auto-Anreisen gerechnet, weil die französische Nationalmannschaft dort spielt. Dass Fans aus einem Nachbarland mit dem Auto und nicht mit dem Zug kommen, wollten die Organisatoren mit dem ermäßigten Interrail-Ticket und dem Angebot der Deutschen Bahn aber eigentlich möglichst vermeiden.
EURO 2024 will Vorbild für nachfolgende Sport-Großveranstaltungen sein
Es wird spannend sein zu sehen, wie gut der Versuch einer klimafreundlicheren Verkehrsplanung bei der Europameisterschaft gelingt. Schließlich wollen die Organisatoren nicht nur die nachhaltigste Fußball-EM aller Zeiten ausrichten, sondern haben den Anspruch, auch darüber hinaus etwas zu verändern.
Vielleicht werden also auch bald im Bundesligaalltag weniger PKW-Parkplätze für die Fans angeboten, wenn es sich bei der EM bewährt. Und vielleicht wird es zukünftig bei vielen Sportevents ermäßigte Zugtickets für den Fernverkehr geben.