Vereinsikone statt "Jammer-José" De Rossi soll die AS Rom wiederbeleben
Das letzte Mal habe ich Daniele De Rossi gesehen, als er sich am Morgen in T-Shirt und kurzer Hose fröhlich schwitzend einen der Hügel in Rom hochkämpfte. Hinten auf dem kindgerecht umgebauten Fahrrad saßen Tochter und Sohn, die der Papa von der Wohnung an der Engelsburg zur Schule brachte. De Rossi, der Familienvater.
Für diese Rolle bleibt demnächst weniger Zeit. Der 44-Jährige, seit seinen 19 Jahren als Spieler für die "Giallorossi" ein Ikone des Vereins, soll nun als Trainer die AS Roma retten, die unter Vorgänger José Mourinho im freien Fall war.
Im Trainingszentrum Trigoria südlich von Rom ist der Pressesaal überfüllt, als sich De Rossi zur der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Verona aufs Podium setzt. Schwarzer Trainingsanzug, links auf der Brust das Vereinwappen mit der römischen Wölfin, links seine Initialien "DDR".
Mann der klaren Worte
Der lange Bart glänzt gepflegt, wie es sich gehört für einen, den die Italienerinnen und Italiener in den letzten Monaten vor allem aus Werbespots für Bartpflegeprodukte kannten. De Rossis Antworten sind überlegt und auf den Punkt. Schon als Spieler galt er als ein Mann der klaren Worte, jenseits des üblichen Fußball-Sprechs.
459 Mal stand De Rossi für die AS Rom als Aktiver auf dem Platz, wurde 2006 Weltmeister und spielte 117 Mal für die Nationalmannschaft. Als Trainer aber ist De Rossi unerfahren, auf seiner ersten Station im vergangenen Jahr bei SPAL Ferrara in der zweiten Liga scheiterte er nach nur 17 Spielen kläglich.
500.000 für sechs Monate
Das jetzige Engagement als Roma-Coach sei für ihn "eine große Chance", die Vertragsverhandlungen hätten nur wenige Augenblicken gedauert. "Ich habe gesagt", erzählt De Rossi vom Telefongespräch mit den Friedkins am frühen Morgen, "setzt die Summe ein, die ihr wollt, dazu einen Bonus für das Erreichen der Champions League und dann geht es los". Für den Sechs-Monate-Vertrag erhält De Rossi laut Medienberichten 500.000 Euro, ein Bruchteil des Sieben-Millionen-Jahresgehalt seines Vorgängers Mourinho.
De Rossi war für die Friedkins im Grunde die einzige Option. Nur mit dem im römischen Vorort Ostia Gebornen hat sich nach dem Mourinho-Rauswurf ein Aufstand in der Roma-Fansszene verhindern lassen. Denn der überwiegende Teil der "Romanisti" vergöttert Mourinho, den desaströsen Ergebnissen und dem unansehnlichen Fußball zum Trotz. Am Morgen des Rauswurfes überfluteten die Fans der Roma die sozialen Netzwerke mit Beschimpfungen für die Friedkins und Liebeserklärungen für Mourinho. Erst am Nachmittag, als die Verpflichtung der Vereinikone De Rossi öffentlich verkündet wurde, ebbte die Welle der Empörung ab.
Mourinho: Studienobjekt für Massenpsychologie
Warum Mourinho unter den AS Rom Fans so verehrt wird, eignet sich als Studienobjekt in Massenpsychologie, Spezialgebiet Fußball. Mourinhos sportliche Hinterlassenschaft ist desaströs: Platz 9 in der Tabelle und punktmäßig die zu diesem Zeitpunkt schlechteste Bilanz der AS Rom seit 20 Jahren, im Pokal am Lokalrivalen Lazio gescheitert und in der Europa League zur Bewährung in den Play-offs gezwungen, weil sich die glorreiche Roma in der Gruppe von Slavia Prag abgehängt ließ.
Dazu Leistungen zum Davonlaufen in den vergangenen beiden Spitzenspielen gegen Lazio und den AC Mailand, ständig lamentierende Spieler, Versuche, Freistöße zu schinden, gelbe und rote Karten zuhauf, aber keine Spielidee. Selten war ein Trainerrauswurf logischer. Was aber machte die Roma-Fans? Sie pilgerten zu Mourinhos Hotel in Rom und huldigten dem Gefeuerten mit Sprechchören.
Mögliche Erklärung für Beliebtheit: "Wagenburg-Botschaften"
Eine Erklärung: Mourinho, mit insgesamt 26 Titeln einer der erfolgreichsten Trainer aller Zeiten, war zuletzt weniger als Fußballübungsleiter denn als Volkstribun unterwegs. Seine Botschaft: Wir Romanisti stehen gegen den Rest der Welt, die Schiedsrichter sind gegen uns, ich lehne mich für euch auf gegen die dunklen Fußballmächte. Wagenburg-Botschaften, die in der stolzen, aber traditionell zum Selbstmitleid neigenden Roma-Fanszene auf fruchtbarsten Boden fielen. Von den AS-Anhängern gab es nie Vorwürfe für die 28 (!) roten Karten, die Mourinho und sein Staff in zweieinhalb Jahren wegen ihrer Meckereien am Spielfeldrand kassierten, sondern Bewunderung.
Kritik an der sportliche Bilanz Mourinhos begegnen seine Bewunderer mit dem Hinweis, der "Special One" habe nach 50 Jahren wieder einen internationalen Titel nach Rom geholt. Es war allerdings der Pokal in der Conference League, dem sportlich am wenigsten wertvollen UEFA-Wettbewerb, in dem sich die Roma zudem gegen Klubs durchsetzte, die größtenteils ein deutlich geringeres Budget hatten.
800-Mio.-Investment: zu wenig für "The Special One"
Rund 800 Millionen Euro hat die Friedkin-Familie in den vergangenen Jahren in den Verein gepumpt, die Mannschaft ist die viertteuerste der Serie A. Trotzdem beklagte sich Mourinho nach Niederlagen ständig über angeblich zu schlechte und zu wenig Spieler, die ihm zur Verfügung gestellt wurden. Erstaunlich lange hatte die Vereinsführung Geduld mit Jammer-José.
De Rossi hat nun das Ziel ausgegeben, noch Platz vier und damit die Qualifikation für die Champions League zu schaffen. "Ich hätte die Mannschaft nicht übernommen, wenn ich glauben würde, sie sei mittelmäßig. Ich halte sie für stark", sagt der neue Trainer, mit Seitenhieb auf Mourinho.
De Rossi will fußballerisch radikale Wende
Fußballerisch will De Rossi offensichtlich eine radikale Wende. Inspiriert zum Trainerjob, erzählte er während seiner Antrittspressekonferenz, hätten ihn seine ehemaligen Chefs Luciano Spalletti und Luis Enrique. Wie sie, meinte De Rossi, möchte auch er als Trainer erfolgreichen und schönen Fußball spielen lassen. Als ersten Schritt deutete er eine Umstellung in der Abwehr von Dreier- auf Viererkette an.
Mit dem Fahrrad ist De Rossi jetzt weniger unterwegs. Er wolle authentisch sein, in all seinen Facetten. In erster Linie auf dem Platz. "Da bin ich der Chef, aber in der Kabine mache ich kein Geheimnis daraus, das es zu vielen Spieler Vertrautheit gibt und ich Lorenzo Pellegrini und Bryan Cristante seit langem mag", erklärt der neue Roma-Trainer. Auch beim Drumherum will er nichts vorspielen. "Einige haben mir geraten, aus Imagegründen nicht mit meinem Auto vorzufahren", sagt De Rossi. Ins einige Kilometer außerhalb der Stadt liegende Trainingszentrum kam er trotzdem im Lamborghini.