Liverpools Stürmer vor Duell mit City Darwin Núñez - Klopps Rekordeinkauf schwankt zwischen den Extremen
Darwin Núñez brauchte eine Weile, um sich beim FC Liverpool einzuleben. In seiner zweiten Saison findet der Rekordeinkauf endlich zu Konstanz und ist entscheidend für den Kampf um vier Titel zum Abschied von Trainer Jürgen Klopp. Doch er bleibt unberechenbar.
Erling Haaland? Was für ein Versager. Geldverschwendung für Manchester City. Da war sich die englische Presse einig. Der Stürmer hatte eine schwache Partie gemacht und sich in der Nachspielzeit sogar die Peinlichkeit erlaubt, aus wenigen Metern über das praktisch leere Tor zu schießen. Ganz anders fiel das Urteil über den neuen Angreifer des FC Liverpool aus. Darwin Núñez hatte den Elfmeter zur 2:1-Führung herausgeholt und den 3:1-Endstand selbst erzielt. Die Presse feierte den Uruguayer als neuen Superstar, jeden Cent seiner Rekord-Ablöse von umgerechnet 85 Millionen Euro wert.
Das Spiel um den englischen Supercup im Jahr 2022 war der erste Auftritt der neuen Angreifer von Manchester City und des FC Liverpool, und die Bewertungen zeigten wieder einmal, dass die englische Presse anfällig ist für vorschnelle Urteile. Denn Erling Haaland, der Versager dieses Tages, bricht seitdem bekanntlich einen Tor-Rekord nach dem anderem und verhalf City in der vergangenen Saison zum Triple aus Meisterschaft, FA Cup und dem lang ersehnten Champions-League-Titel. Darwin Núñez dagegen, der Held des Supercups vor zwei Jahren, tat sich in der Folge schwer in Liverpool. Erst jetzt scheint er sich so richtig eingewöhnt zu haben – rechtzeitig zum Spitzenspiel der Premier League zwischen Tabellenführer Liverpool und Verfolger City am Sonntag.
Schwierigkeiten prägen erste Saison in England
Die erste Saison nach seinem Wechsel von Benfica nach England war von Schwierigkeiten geprägt für Núñez. Sie begannen schon bei seinem Heim-Debüt. Gegen Crystal Palace rammte er seinen Gegenspieler Joachim Andersen um als Revanche für mehrere Provokationen, sah die Rote Karte und wurde für drei Spiele gesperrt. Im weiteren Verlauf der Spielzeit plagte er sich immer wieder mit kleineren Verletzungen herum. Er kam auf verschiedenen Positionen zum Einsatz, wurde vom linken Flügel in die Mitte geschoben und zurück. Außerdem war Núñez Teil einer Mannschaft, die nicht funktionierte wie gewohnt. Liverpool verpasste die Champions-League-Qualifikation, wurde nur Fünfter.
Die Bedingungen waren schwierig für einen Spieler, der neu war in der Premier League und das Siegel als teuerster Zugang der Vereinsgeschichte mit sich herum schleppte. 15 Tore in 42 Spielen waren eine enttäuschende Bilanz für Núñez in seiner Premierensaison.
Anfield und Klopp hatten Geduld mit Núñez
Das Publikum in Anfield hielt trotzdem zu ihm, weil er sich stets bemühte. Trainer Jürgen Klopp wies immer wieder darauf hin, dass Stürmer nicht nur an Toren gemessen werden sollten, sondern an ihrem Beitrag zum Spiel insgesamt. Er hatte Geduld mit Núñez. Diese Geduld wird gerade belohnt. Der Angreifer steht bei 16 Toren in dieser Spielzeit, ist Liverpools zweitbester Schütze hinter Mohamed Salah, dazu kommen elf Vorlagen. In der Liga kam Núñez in seinen vergangenen acht Einsätzen auf sechs Treffer. Insgesamt leistete er seit dem Jahreswechsel in zwölf Spielen zwölf Torbeteiligungen, mehr als jeder andere Premier-League-Profi. Beim 5:1 im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League bei Sparta Prag am Donnerstag traf er doppelt.
Darwin Núñez (r.) mit Trainer Jürgen Klopp
Der 24 Jahre alte Angreifer profitiert davon, dass er nicht mehr zwischen verschiedenen Positionen wechselt, sondern einen festen Platz gefunden hat – in der Mitte von Liverpools Dreiersturm. Auch kommt ihm entgegen, dass es für den Verein deutlich besser läuft als in der vergangenen Spielzeit. Zum Abschluss der Ära von Trainer Klopp könnte die Mannschaft vier Titel gewinnen. Den Ligapokal hat sie schon eingefahren, FA Cup, Europa League und Meisterschaft sind möglich. Nùñez könnte entscheidend werden in der finalen Phase der Saison. "Er ist ein wundervoller Junge, ein wundervoller Typ. Die Qualität kommt ihm zu den Ohren raus. Aber mit Stürmern ist es eben so: Manchmal treffen sie, manchmal treffen sie nicht", sagt Klopp über ihn.
Was Nùñez zu einem so unterhaltsamen Spieler macht, ist die Unberechenbarkeit, wann er trifft und wann nicht. Er spielt erst seine zweite Saison in England, trotzdem hat er schon eine beachtliche Menge an Material für YouTube-Zusammenschnitte seiner vergebenen Großchancen produziert. Im Gegenzug gelingen ihm manchmal Tore aus Situationen, die eigentlich gar keine Chancen sind. Bestes Beispiel ist sein Doppelpack gegen Prag. Erst traf er aus rund 20 Metern mit einem Schuss direkt unter die Latte, dann per Direktabahme aus kniffligem Winkel.
Kein Mann für die einfachen Treffer
Das Portal “The Athletic” beschreibt Núñez als "Spieler der Extreme" und urteilt, dass wenige Fußballer "einen so sehr begeistern und so sehr zur Weißglut bringen können" wie der Stürmer aus Uruguay. Die Erklärung dafür: Núñez ist ein Instinktstürmer. Je weniger Zeit er vor dem Tor zum Nachdenken hat, desto höher die Chance auf Erfolg. Desto mehr Gedanken er sich machen kann, desto wahrscheinlicher scheitert er. Er ist kein Mann für die einfachen Treffer.
Núñez in Jubel-Pose
Sein Potenzial ist enorm, darin sind sich alle Beobachter einig, doch so richtig schlau werden sie nicht aus ihm. "Er macht das Überragende und das Lächerliche. Er folgt nicht immer dem Lehrbuch, wie man sich vor dem Tor verhalten sollte", sagte gerade Ex-Liverpool-Stürmer Michael Owen und sprach davon, dass Núñez ein Torjäger wie Harry Kane oder Erling Haaland werden könnte. Mit der Betonung auf: könnte.