Heimlicher Brief aus dem Bundestag Führungskrise der WADA verschärft sich – Klage gegen USADA
Nationale Anti-Doping-Agenturen organisieren derzeit Widerstand gegen die WADA-Führung wegen des von der ARD-Dopingredaktion enthüllten China-Skandals. Weltweit formiert sich offen eine Opposition von nie dagewesenem Ausmaß.
Ein heimlicher Brief aus dem Bundestag, eine Klage mit womöglich gravierenden Folgen und neue Attacken gegen die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA: Der Streit über den Umgang mit dem Fall der 23 chinesischen Schwimmer spaltet die Anti-Doping-Szene immer mehr und nimmt an Intensität zu. Und auch weil der Druck immer mehr steigt, entschied sich die WADA zu einem drastischen Schritt: einer Verleumdungsklage gegen die Anti-Doping-Agentur der USA.
Doch nicht nur diese bislang beispiellose Attacke der WADA sorgt in der Szene für wachsende Spannungen. 18 führende nationale Anti-Doping-Agenturen, darunter die aus Frankreich, Deutschland, USA und Japan, haben einen gemeinsamen Brief mit Fragen und Forderungen an die internationale Aufsichtsorganisation geschickt. Nachdem ein von der WADA eingesetzter unabhängiger Ermittler offiziell festgestellt hatte, dass sich die Chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA nicht an den weltweit geltenden Kodex gehalten hat, ohne dafür von der WADA zur Räson gerufen worden zu sein, geht es den nationalen Dopingjägern nun darum, aus dem China-Skandal Lehren für die Zukunft zu ziehen.
Erkenntnisse aus dem China-Fiasko sollen in der im kommenden Jahr anstehenden Modifikation des weltweiten Anti-Doping-Kodex möglichst berücksichtigt werden. "Wir sehen, dass hier eine Institution, eine NADO, sich nicht an die Regeln gehalten hat, die der Welt-Anti-Doping-Code vorgibt", sagt der Chef der deutschen NADA, Lars Mortsiefer: "Und in dem Zusammenhang war es uns wichtig, dass da entsprechend auch unabhängig recherchiert wird, welche Konsequenzen sich daraus ergeben."
Vorgänge totgeschwiegen
Die ARD-Dopingredaktion hatte enthüllt, dass 2021 kurz vor den Olympischen Spielen in Tokio 23 chinesische Top-Schwimmer positiv auf ein Dopingmittel getestet worden waren, ohne dafür sanktioniert zu werden. Die Erklärung der CHINADA: Das bei allen nachgewiesene, verschreibungspflichtige verbotene Herzmittel Trimetazidin sei angeblich über Suppentöpfe oder ähnliche Utensilien in der Küche eines Hotels unverschuldet in die Körper der Sportler gelangt.
Die WADA akzeptiert diese Erklärung bis heute, ermittelte nicht vor Ort, fragte bei den Chinesen offenbar nie im Detail nach. Glaubwürdige Beweise wurden nie vorgelegt. Athleten weltweit und die globale Anti-Doping-Gemeinschaft reagierten entsetzt – zumal die WADA jahrelang bis zur Aufdeckung durch die ARD-Dopingredaktion die Vorgänge totschwieg.
Eingeschränkte Untersuchung
Als der internationale Druck zu groß wurde, betraute die WADA in einem intransparenten Auswahlverfahren den früheren Schweizer Staatsanwalt Eric Cottier mit einer angeblich unabhängigen Untersuchung. Gab es schon an der undurchsichtigen Auswahl eines einzelnen Ermittlers internationale Kritik, so betonen nun auch noch einmal die NADOs ihre Skepsis an dem mit zwei Fragen auffällig eng zugeschnittenen Arbeitsauftrag:
"1. Gibt es Hinweise auf eine Voreingenommenheit gegenüber China, eine unzulässige Einmischung oder andere Unregelmäßigkeiten […] durch die WADA?"
"2. War die Entscheidung der WADA, keine Berufung gegen das von CHINADA vorgebrachte Kontaminationsszenario einzulegen […] vernünftig?“
"Es ist bedauerlich, dass das Mandat des Cottier-Berichts auf sehr präzise Fragen beschränkt war, und es gibt einen ganzen Bereich, der vom Cottier-Bericht nicht wirklich untersucht wurde, da dies nicht in seinem Mandat enthalten war", sagt der Generaldirektor der französischen Anti-Doping-Agentur AFLD, Jeremy Roubin, der ARD.
Für einige internationale Fachleute ist der Eindruck entstanden, die WADA-Führung um den umstrittenen polnischen Präsidenten Witold Banka und seinen Schweizer Generaldirektor Olivier Niggli habe sich ein reines Gefälligkeitsgutachten bestellt. "Man tut etwas, um es zu tun, aber man will ein bestimmtes Ergebnis erreichen", sagt Khalid Galant, Chef der südafrikanischen Anti-Doping-Agentur (SAIDS): "Es ist das erste Mal, seit ich in der Dopingbekämpfung arbeite, dass ich eine WADA-Führung erlebe, die derart unempfänglich für Kritik oder konstruktives Engagement ist."
Vollständige Fall-Akte fehlt
Tatsächlich lässt der Jurist Cottier zwischen den Zeilen seines Anfang August während der Olympischen Spiele in Paris verfassten Berichts auch Kritik erkennen. Obwohl er in beiden ihm vorgelegten Fragen kein Fehlverhalten der WADA feststellt, finden sich in seinem Bericht deutliche Hinweise darauf: "Das offensichtliche Schweigen der WADA ist kaum mit ihrer Rolle als weltweiter Hüter der Regelkonformität vereinbar."
Auch vermag Cottier kaum sein Entsetzen über chaotische Organisationsstrukturen in der WADA-Fallbearbeitung zu kaschieren. Er rügt Zustände wie das Fehlen einer vollständigen Fall-Akte, das Fehlen formalisierter Vorgaben zur Fallbearbeitung, das Fehlen interner Arbeitsprozesse, das Nichtmitwirken der Ermittlungsabteilung bis hin zum willkürlichen Fallabschluss per formloser interner Mail.
Jagd auf Kritiker
International wächst das Misstrauen an der WADA, weil die - statt konstruktiv der Kritik Abhilfe zu schaffen - Jagd auf ihre Kritiker macht. Der ARD-Dopingredaktion bestätigte die WADA die Information, sie habe in der Schweiz Klage gegen die USADA wegen Diffamierung eingereicht. International staunt die Dopingbekämpfer-Schar über offenkundige Versuche der WADA, die Anti-Doping-Gemeinschaft zu spalten, statt sie zu einen: Auf den gemeinsamen Brief mit Gesprächsangebot hätten die 18 NADOs eine eindeutige Antwort von der WADA erhalten, sagt der Südafrikaner Galant: "Sie meinten 'Ja, wir wollen mit euch reden. Aber die USADA darf nicht mit an den Tisch.'"
Derzeit hindert die WADA-Führung sogar USADA-Leute, die in ihren Kommissionen oder Gremien sitzen, am Zutritt zu ihren Sitzungen. Sie gewährt ihn nur online. Angeblich, so teilt die WADA mit, weil die USADA eine "Kampagne zur Diffamierung und Verunglimpfung der WADA" organisiere. Die Folgen eines langwierigen Rechtsstreits der Dachorganisation mit der wohl einflussreichsten nationalen Agentur für den weitweiten Anti-Doping-Kampf sind unabsehbar – eine Zerreißprobe ist es schon jetzt.
"WADA hat sich auf Trumps Liste gesetzt"
Der Krawallkurs der Führung droht die WADA mittelfristig jedenfalls noch schwerer in die Bredouille zu bringen. Schon jetzt haben die Amerikaner als größter nationaler Subventionierer ihren in diesem Jahr fälligen Beitrag zum WADA-Jahresbudget (46 Millionen Dollar) vorerst einbehalten: 3,6 Millionen Dollar.
Unter der neuen Trump-Regierung könnte sich der Konflikt noch verschärfen, sagt der US-Anwalt Bill Bock, der sowohl für die USADA als auch schon für Trump tätig war: "Präsident Trump hat eine sehr klare Meinung zu internationalen Organisationen, die von den Vereinigten Staaten finanziert werden, aber die USA nicht fair behandeln. Die WADA hat sich quasi selbst auf Trumps Liste gesetzt, indem sie die staatlich finanzierte US-Anti-Doping-Agentur verklagt hat. Ich bin mir sicher, dass das WADA-Budget und die Zuschüsse der USA dafür nun noch genauer unter die Lupe genommen werden.“
Hilfe aus dem Bundestag
In die Enge getrieben, hat die WADA-Führung sich vor dem vergangenen Vorstandstreffen offenbar Luft zu verschaffen versucht – mit Unterstützung aus Deutschland. In den Tagungsunterlagen findet sich mit dem Vermerk "Vertraulich" ein Brief des Sportausschussvorsitzenden im Bundestag, Frank Ullrich. Darin erklärte er auf offiziellem Bundestagspapier einen Ärger der Sportpolitiker über die WADA wegen des China-Skandals nach einer Aussprache während Olympia für ausgeräumt: "Die Erklärung eines 'Dopingfalls ohne Verschulden', dürfte für die meisten nach diesem Treffen nachvollziehbar sein", schrieb Ullrich, "insgesamt lässt sich das Thema Doping eben nicht in kurzen Zeilen erklären."
Ullrich, ein früherer Weltklasse-Biathlet, wurde einst von früheren Schützlingen beschuldigt, ihnen als Trainer in der DDR Dopingmittel verabreicht zu haben. Als Ullrich das bestritt, attestierte eine Untersuchungskommission des Deutschen Ski-Verbandes ihm wohlwollend einen "unbewusst gesteuerten Verdrängungsmechanismus".
"Enttäuschung gegenüber der WADA groß"
Geht es aber nach seinen Sportausschusskollegen, könnte er nun womöglich einen Rückfall erlitten haben, denn den Brief war nach Informationen der ARD-Dopingredaktion ein ziemlicher Alleingang des Verfassers. "Ich kenne diesen Brief nicht. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn so ein Brief vorab mindestens in der Obleute-Runde besprochen worden wäre mit der Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen", sagt der Grünen-Politiker Philip Krämer, Ullrichs Stellvertreter im Ausschuss. "Wenn der Eindruck entstanden ist, dass jegliche Kritik jetzt eben nicht mehr auf dem Tisch liegen würde, hätten wir ein Problem. Und da müssen wir dann noch mal entgegensteuern und deutlich machen, dass wir die Kritik an der WADA aufrechterhalten."
Die erste Seite des Briefs von Frank Ullrich an Witold Banka
Auch das einflussreiche Sportausschuss-Mitglied Stephan Mayer (CSU) zeigt sich überrascht, als ihm das Ullrich-Schreiben von der ARD-Dopingredaktion mit Bitte um Stellungnahme gezeigt wird: "Inhaltlich gibt der Brief in keiner Weise mein Empfinden und ich glaube auch nicht das Empfinden weiterer Delegationsmitglieder aus diesem Gespräch wieder. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass hier zahlreiche Fragen offen sind, nicht ausreichend geklärt worden sind. Und deswegen ist die Enttäuschung gegenüber der WADA nach wie vor sehr groß." Ullrich selbst, so ließ er durch das Sportausschuss-Büro mitteilen, versteht den Brief an Banka als "übliches Dankesschreiben, welches die Atmosphäre des Hintergrundgesprächs wiedergibt".
In der ersten Dezember-Woche trifft sich das WADA-Foundation Board, eine Art Aufsichtsrat, zur Sitzung in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad. Dem Präsidenten Banka und seinem Generaldirektor Niggli drohen sehr unangenehme Fragen der Kontrolleure.